Alice Creischer: Das Etablissement der Tatsachen
"You poor take courage. You rich take care. The earth was made a common treasury. For everyone to share!" (aus: "The World Turned Upside Down", britische, gegen die Regierung gerichtete Ballade aus den 1640er-Jahren; zuerst als Flugschrift veröffentlicht).
Mit der Ausstellung nimmt der Heidelberger Kunstverein Bezug auf seinen städtischen Kontext; den Wissenschaftsstandort Heidelberg, der nicht zuletzt mit der ältesten Universität im heutigen Deutschland aufwartet.
"The Establishment of Matters of Facts" lautete das Motto der frühen empirischen Wissenschaften. Sie brachten eine neue Macht in die Welt: die Macht der Tatsachen. Experimentelle Forschung sollte Wahrheiten wie von allein liefern, unbeeinträchtigt von Glaubensregimen, frei von Herrschaftsinteressen. Reine Tatsachen eben …
Dieses zentrale Motto des 17. Jahrhunderts hat die Künstlerin Alice Creischer, Jahrgang 1960, für ihren Ausstellungstitel bewusst falsch übersetzt in: "Das Etablissement der Tatsachen". Das klingt anrüchig. Aus gutem Grund: Denn Creischers vielteilige Installation zeigt die normative Macht des Faktischen selbst als ein Regime, das von ökonomischen und politischen Interessen geprägt wird.
Im Zentrum der Ausstellung steht der lapidare Nachbau einer Vakuumpumpe, mit der Robert Boyle, Wissenschaftler und Mitbegründer der Royal Society, in den 1660er-Jahren die Existenz des luftleeren Raumes bewies. Darüber geriet er in Streit mit dem Staatstheoretiker Thomas Hobbes. Denn während Boyle wahre Aussagen mit technischer Apparaturen und neutralen Beobachtern treffen wollte, bestand Hobbes darauf, dass sich auch die wissenschaftliche Erkenntnis der Herrschaft des Absolutismus unterwerfen müsse, dem Leviathan. Denn würde sich ein luftleerer Raum experimentell nachweisen lassen, ohne Rücksicht auf die Gesetze der reinen Vernunft und staatstragender Philosophie, dann wäre er jeder weiteren Regierungskontrolle entzogen und provoziere, potenziell auch ein politisches Vakuum – für den Staatsphilosophen Anarchie und Bürgerkrieg …
Seit den Neunzigerjahren gilt Alice Creischer als eine einflussreiche Position im politischen Diskurs der deutschen Kunstszene. Als Kuratorin wirkte sie an bedeutenden Ausstellungen zur Kritik von Neoliberalismus und Kolonialismus mit: Die Gewalt ist der Rand aller Dinge (2002), ExArgentina (2004), Das Potosí-Prinzip (2010/2011). 2007 war sie auf der documenta 12 vertreten.