ED ATKINS. TWO BURLESQUES
Der Espace Louis Vuitton München freut sich, mit Two Burlesques, eine neue, dem britischen Künstler Ed Atkins gewidmete Ausstellung präsentieren zu dürfen, die gleichzeitig das Ziel der Fondation Louis Vuitton verfolgt, im Rahmen des “Hors-les-murs”-Programms Werke aus dem Sammlungsbestand einem internationalen Publikum zugänglich zu machen. Ausstellung und Programm werden in den Espaces Louis Vuitton in Tokio, München, Venedig, Beijing, Seoul und Osaka realisiert.
Ed Atkins definiert sich als visueller Künstler, als Schriftsteller, Lyriker, Drehbuchautor und Musiker. Im Zentrum seines künstlerischen Schaffens stehen der Einsatz digitaler Bilder sowie die Auseinandersetzung mit deren Einfluss auf unsere Alltagserfahrung. Akteure in seinen Videoinstallationen sind 3D-Figuren, die oft einsam und alleine in Szenen auftreten, die “sowohl skurril lebendig als auch völlig tot” wirken. Dass Atkins häufig selbst Protagonist der eigenen Videos ist, zeugt von der Bedeutung, die er der Performance beimisst. Seine Dekonstruktion von Sprache stützt sich auf das Denken von Jacques Derrida sowie auf Paul de Mans Vortrag The Concept of Irony aus dem Jahr 1977 und bezieht sich auf die einsame Begegnung von Angesicht zu Angesicht zwischen Mensch und Maschine.
In Atkins’ Schaffen werden die verschiedensten Elemente verbunden: Passagen aus der Gothic-Horror-Schauerliteratur,
Videosequenzen von analogen Bildern gepaart mit 3D, und nicht zuletzt Musik. Dabei werden in dem Betrachter Erinnerungen wachgerufen – es gilt das Prinzip des unwillkürlichen Erinnerns. Weitere Merkmale seiner Arbeiten sind der Gebrauch von digitalen Texturen sowie das Spiel mit Darstellungskonventionen, wobei abrupte Übergänge erzeugt werden, die bewusst den Spezialeffekten in zeitgenössischen Filmen ähneln. Obwohl das Werk den Einfluss von Hollis Frampton und Michael Snow, von den frühen Videos von Vito Acconci (insbesondere Theme Song, 1973) und den Gedichten von Gilbert Sorrentino (speziell The Morning Roundup, 1971) verrät, ist die vorherrschende Stimmung
die einer gleichzeitig alltäglichen und bizarren Allgegenwärtigkeit, welche die handelnden Figuren zu Avataren macht. Vom Künstler selbst stammt die Aussage, dass Schriftsteller, Musiker (allen voran Graham Lambkin) und Regisseure auf sein Schaffen mehr Einfluss ausgeübt haben als visuelle Künstler. Funktion der genannten Ironie in seinen Arbeiten ist es, das Subjekt von der Tyrannei der Objektivität zu befreien, die Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen und Erfahrungen neu zu entdecken, und somit der von der digitalen Welt bedingten Verflachung der Gefühlswelt, der menschlichen Interaktion und der Körperlichkeit entgegenzuwirken, um dabei einen Grad an Spontaneität und Realitätssinn wiederzugewinnen. Als immer wiederkehrendes Thema in Atkins’ Oeuvre tritt der Tod als tragische Erfahrung, als künstlerische Herausforderung und als unabdingbarer Gegenstand der Philosophie auf sowie als Allegorie des substanzentleerten digitalen Bildes. Und dennoch: Hinter der scheinbaren, werkprägenden Stimmung von Schwermut und Trauer verbirgt sich in Wirklichkeit eine Botschaft der Hoffnung und der Liebe.
Für die Ausstellung Two Burlesques kommt Ed Atkins auf zwei seiner früheren Arbeiten zurück. Das 2012 entstandene Werk Us Dead Talk Love präsentiert eine Meditation über Liebe und Tod in der Form einer autobiografischen, von zwei abgetrennten Köpfen vorgetragenen Beichte, während im Hintergrund Musik aus dem Musical Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street zu hören ist. Hauptinhalt der ebenfalls gezeigten Arbeit Even Pricks (2013) ist eine Serie von Reflexionen über psychische Depressionen, die in eine immersive, labyrinthische und dennoch jubilierende Erfahrung mündet.
Zum Künstler
Der 1982 in Oxford, England geborene Ed Atkins studierte von 2007 bis 2009 an der Slade School of Fine Art in London. Nach dem Studium lehrte er an mehreren europäischen Kunsthochschulen: an dem Edinburgh College of Art, Schottland (2010); am Wimbledon College of Art (2010), am Goldsmiths College of Art (2012) sowie an der Slade School of Fine Art (2009-2010), alle London, UK; an der Städelschule, Frankfurt/M. (2016 2017) und an der Kongelige Danske Kunstakademi, Kopenhagen, Dänemark (2018-2019).
In seinem multidisziplinären Kunstschaffen verwendet Atkins gleichzeitig Video, Ton, Zeichnung und Schrift. Er wandte sich bereits früh den digitalen Ausdrucksformen zu, um den menschlichen Körper in seinen Begierden und Frustrationen zu zeigen. Ein weiteres Merkmal seiner Kunst ist der Gebrauch von Masken, wozu ihn u.a. die Maskentheorie des französischen Philosophen Jean-François Lyotard inspirierte. Als überzeugter Performance-Künstler hat er seine Werke vielfach selbst gezeigt, etwa an den Londoner Standorten des ICA (2011), der Tate Britain (2011) und des Serpentine Pavilion (2014), sowie am Walker Art Center in Minneapolis, Minnesota, USA (2019).
Für sein eminent lyrisches Oeuvre ist Atkins mehrfach ausgezeichnet worden. In seiner Heimat ist er Träger von u.a. dem Chelsea Arts Club Trust Special Project Award (2008), dem Jerwood/Film and Video Umbrella Award (2012) und dem Paul Hamlyn Foundation Award (2012); in Deutschland wurde er 2015 16 vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD gefördert. Sein Werk ist Gegenstand zahlreicher Monographien, zu denen u.a. die entsprechenden Publikationen des MoMA PS1, New York, USA (2013), des Palais de Tokyo, Paris, Frankreich (2014), der Serpentine Gallery, London (2014), des MMK Frankfurt/M., (2017), des Martin-Gropius-Baus, Berlin (2017) sowie des New Museum, New York, USA (2021) gehören.
Zur Fondation Louis Vuitton
Als dem öffentlichen Interesse verpflichtete Institution widmet sich die Fondation Louis Vuitton ausschließlich der Gegenwartskunst und zeitgenössischen KünstlerInnen sowie Strömungen des 20. Jahrhunderts, die diese maßgeblich beeinflussten. Die ständige Sammlung der Fondation und die von ihr organisierten Ausstellungen folgen der Zielsetzung, Kunst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das beeindruckende, vom
kanadisch-US-amerikanischen Architekten Frank Gehry entworfene Museumsgebäude der Fondation Louis Vuitton verkörpert deren zukunftsweisendes künstlerisches Statement und gilt bereits als emblematisches Beispiel der Architektur des 21. Jahrhunderts. Seit der Eröffnung im Oktober 2014 durfte die Fondation mehr als sieben Millionen BesucherInnen aus Frankreich und aller Welt begrüßen.
Zum Leitbild der Fondation Louis Vuitton gehört die Realisierung internationaler Projekte sowohl am Standort in Paris selbst als auch in Partnerschaft mit öffentlichen und privaten Institutionen, inklusive anderer Stiftungen und Museen, wie etwa dem Moskauer Puschkin-Museum, der Eremitage in Sankt Petersburg (Ikonen der
Moderne – Die Sammlung Schtschukin, 2016, und Die Sammlung Morozov, 2021), dem New Yorker MoMA (Being Modern: MoMA in Paris) oder der Londoner Courtauld Gallery (The Courtauld Collection: A Vision for Impressionism). Die künstlerische Leitung der Fondation hat zudem das „Hors-les-murs“-Programm entwickelt, das speziell für die der Fondation assoziierten Kunsträume – die Espaces Louis Vuitton in Tokio, Venedig, München, Peking, Seoul und Osaka – konzipiert wird. Ihre Ausstellungen sind der Öffentlichkeit bei freiem Eintritt zugänglich, ihre Programmatik Bestandteil des Kulturengagements des Hauses.