FORGET ME NOT
JOËLLE DUBOIS
FORGET ME NOT
10. Juni – 06. August 2022
--- English version below ---
Die Thomas Rehbein Galerie präsentiert unter dem Titel FORGET ME NOT, die zweite Einzelausstellung mit der belgischen Künstlerin Joëlle Dubois (*1990, Gent).
Das Vergessen und das Vergessenwerden stellt für den Menschen eine der größten Ängste dar, gerade im Angesicht tiefer Verbundenheit zu einer anderen Person. Denn was bleibt von uns übrig, wenn die Erinnerung verrinnt? Was sind wir dann und was waren wir vorher?
FORGET ME NOT ist ein Imperativ, eine Bitte und ein persönlicher Wunsch – die Erinnerung daran, nicht zu vergessen. Und nicht vergessen zu werden.
„Vergiss mich nicht“ bedeutet unweigerlich Abschied und das Bewusstsein darüber, dass sich die Lebenswege auf physische oder emotionale Weise voneinander entfernen. Das Symbol, die Blume „Vergissmeinnicht“, trägt die Metaphorik von Verlust und Schmerz, gleichermaßen jedoch, tiefgehender Emotion und Verbindung.
Erinnern bedeutet auch immer vergessen. Die Dichotomie dieser Realität und der Prozess, welcher der Akzeptanz dieser vorausgeht, verkörpern die neuen Gemälde Joëlle Dubois‘, die der Mutter, der Krankheit und der Auseinandersetzung mit dieser gewidmet sind.
Mutter und Tochter begegnen sich in den beiden Portraits Looking At Me und Looking At You (2022) auf Augenhöhe. Einander zugewandt, bekommt jede für sich ihren Raum im eigenen Bild, der den Rahmen für den Ausdruck, die Gefühle und das Ungesagte der Dargestellten gibt. Der Blick der Mutter herüber zu ihrer Tochter, trifft auf ihren Blick ins Außen, in Richtung der Betrachtenden. Beide weinen. Die auf weichem, monochrom gehaltenen Hintergrund Portraitierten, stehen sich in würdevoller Profilansicht gegenüber und spiegeln das Bewusstsein darüber wider, dass sie langsam vergessen, wie die Mutter war und wer nun die Mutter ist. Die Rollen sind unscharf und schleichend aus der Balance geraten und wägen sich in Unsicherheit über das Kommende. Doch die Waagschale wird symbolisch gehalten, durch die krönenden Kränze aus Vergissmeinnicht, hier mit lilafarbenen Blüten, die Mutter als auch Tochter in den Haaren tragen. Die Blumenkränze verkünden das genetische Erbe, das die Mutter an ihre Tochter weitergibt, und das emotionale Band zueinander, das beide unabänderlich mit sich tragen. Die stumme und doch so bedeutungstiefe Kommunikation in den Blickrichtungen zwischen den beiden Dargestellten, trägt die Schwingung von Trauer und Verzweiflung, doch gleichzeitig der Einigkeit. Die stille Übereinkunft der beiden vermittelt, dass es nun die Aufgabe der Tochter ist, die Weisheit der Mutter anzuerkennen, weiterzuführen, und die Rolle der sorgenden Mutter zu übernehmen.
Das Gemälde Bed Habits (2022) ist eine Hommage an die Werke von Annette Lemieux (Bad Habits, 2015) und Philip Guston (Painting, Smoking, Eating, 1972). Ferner ist es eine Hommage an Joëlles Mutter und ihre Vergangenheit. Die persönlichen Vorlieben, das Rauchen und Essen von Pommes Frites als ungeschönte Eigenheit, stehen repräsentativ für Gewohnheiten, die die Mutter vor ihrer Krankheit pflegte. Doch nun, eingenommen und fast verschlungen vom eigenen Bett, ist es nur die Erinnerung an diese Lebhaftigkeit und ihre rebellische Natur, die bleibt.
„I am slowly losing someone who is still there“ (Joëlle Dubois), trifft den Wortlaut dieses Gefühls.
Das Diptychon Memrobilia (2022) beschreibt in einem symbolgeladenen Vanitas-Stillleben den Verlust und Leidensweg eines geliebten Menschen, der langsam, unkontrollierbar und unaufhörlich vonstatten geht. Allegorisch scheint die Skizze einer Uhr auf dem rechten Bild aus dessen Raum zu fallen. Das Fallen aus Raum und Zeit ist nicht bloß im Falle eines Schicksalsschlages zu verzeichnen, sondern auch im Abbau der mentalen Fähigkeiten bei kognitiven Erkrankungen.
In weiteren Stillleben finden sich fluide Muster in Holzmaserungen, Stoffen und verschüttetem Wasser wieder. Als Leitmotiv behauptet sich stets das Vergissmeinnicht in verschiedenen Farbvariationen. Die schwarzen Augenhöhlen des in den neuen Werken wiederkehrenden Motivs des Totenschädels und die subtile Mimik von ebenjenem, verheißen die Aussicht auf das Unausweichliche und die Abstraktion von Zeitlichkeit.
Hinsichtlich der Materialien vertieft Joëlle Dubois für FORGET ME NOT ihre Arbeitsweise. In ihren installativen Arbeiten realisiert sie verschiedene Handlungsstränge, die sich überlagern. Die dreidimensionale Höhleninstallation Moon Cave ist ein Verweis auf einen universellen Aspekt des Kindseins. Überdies ist es ein Symbol für den Uterus, der indes auf die Mutterschaft und die Kreation von Leben verweist, und somit auch auf das Gefühl von Heimat und Geborgenheit.
Die Höhle ist in einen weißen Stoff gehüllt, verziert mit traditionellen flämischen Platzdeckchen aus Spitze. Die handgestrickten Objekte verkörpern das Handwerk, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, und ferner in der Ornamentik der Spitze, eine fragile Anmut.
Die Installation I Am My Mother’s Daughter ist ein handgeschriebener Satz, der auf Vergissmeinnicht-farbenen Neonröhren übertragen wurde. Wie ein Unterkapitel scheint das Licht, die Arbeiten im Raum miteinander zu verbinden. Die Neonröhren stellen für Dubois eine Referenz an ihre Kindheit dar. Die persönliche Erinnerung an die Sammlung an Neonröhren im Hause ihrer Kindheit, als Eigenart der Mutter, verkündet den Stolz der Künstlerin, mit dem sie ihre Vorfahren ehren und die Vergangenheit bewahren will.
„How can you illustrate forgetting?” (Joëlle Dubois)
Bildnerisch lässt sich der charakteristische Malstil von Joëlle Dubois wiedererkennen. Weniger graphisch, nunmehr pittoresk in symbolistisch-surrealistischer Anmutung, verarbeitet sie die abstrakten und vagen Gedanken und Gefühle, die sie in der Ausstellung ergründet.
Trotz des bedeutungsvollen Sujets leuchtet die blau-lilane Farbpalette der Vergissmeinnicht und anderer Objekte in den Bildern vor den farbigen, weich-verschwommenen und nüchternen Hintergründen. Malte Dubois in vorherigen Werken stets Repräsentationen ihres direkten Umfeldes, so zeigen diese Arbeiten wohl den intimsten Einblick in die persönliche Konfrontation mit der eigenen Trauer, dem Verfall, der Ungewissheit und der Rolle als Frau und Mutter. Die Universalität dieser Themen machen die persönliche Geschichte der Künstlerin zu einer Plattform, die Zugriff auf Gefühle bietet, von denen fast jeder Lebensweg in seinem Verlauf gekennzeichnet sein wird.
Joëlle Dubois spiegelt in ihren Gemälden nicht nur die tiefe Emotionalität eines Realisations- und Verlustprozesses wider, sondern schreibt ihnen auch einen Funken Hoffnung mit ein, das Selbst in einer neuen Wahrnehmung wiederzufinden, nach einer Krise, die schlussendlich einen Schritt in der persönlichen Reife darstellt.
Die Bilder zeigen Stärke in Hinblick auf die Akzeptanz des Unveränderlichen und stehen stellvertretend als Monumente, die das unaufhörliche und stetige Vergessen, in diesem Moment, festhalten.
Elisa Mosch, 2022
JOËLLE DUBOIS
FORGET ME NOT
June 10 – August 06, 2022
Thomas Rehbein Galerie presents FORGET ME NOT, the second solo exhibition with the Belgian artist Joëlle Dubois (*1990, Ghent).
Forgetting and being forgotten represents one of the greatest fears for humans, especially when connected deeply to another person. For what is left of us when memory fades away?
What are we then and what have we been before?
FORGET ME NOT is an imperative, a request, and a personal wish - a reminder not to forget.
And not to be forgotten.
"Don’t forget me" inevitably signals an imminent farewell and an awareness that life's paths are diverging, physically or emotionally. The symbol, the "Forget-Me-Not" flower, carries the imagery of loss and pain, but equally deep emotion and connection.
Remembering always means forgetting. The dichotomy of this reality and the process that precedes its acceptance are embodied in Joëlle Dubois' new paintings, which are dedicated to the mother, the illness, and the confrontation with it.
In the two portraits Looking At Me and Looking At You (2022), mother and daughter meet at eye level. Facing each other, both of them get their own space in their individual picture, which provides the frame for the expression, the feelings and the unsaid of the portrayed. The mother's gaze towards her daughter meets her gaze towards the outside, in the direction of the viewer. Both are crying. On a soft, monochrome background the portrayed face each other in dignified profile, reflecting the awareness that they are slowly forgetting what the mother was like and who the mother is now. The roles are blurred and slowly out of balance and weigh themselves in uncertainty about what is to come. But the scale is held symbolically by the crowning wreaths of forget-me-nots, portrayed here with purple flowers, which both mother and daughter wear in their hair. The wreaths of flowers declare the genetic heritage that the mother passes on to her daughter and the emotional bond that they both carry with them. The mute and yet so meaningful communication in the directions of gaze between the two women carries the vibration of sadness and despair, but at the same time that of unity. The silent agreement between them conveys that it is now the daughter's task to recognize and carry on the mother's wisdom and to take on the role of the caring mother.
The painting Bed Habits (2022) is a homage to the works of Annette Lemieux (Bad Habits, 2015) and Philip Guston (Painting, Smoking, Eating, 1972). Furthermore, it is a homage to Joëlle's mother and her past. The personal preferences, smoking and eating french fries as an unembellished personal peculiarity, are representative of habits that the mother maintained before her illness. But now, absorbed and almost devoured by her own bed, it is only the memory of this vivacity and her rebellious nature that remains.
“I am slowly losing someone who is still there” (Joëlle Dubois), puts this feeling in symbolic words.
The diptych Memrobilia (2022) describes the loss and suffering of a loved one in a symbolic vanitas still life, which proceeds slowly, uncontrollably, and incessantly. Allegorically, the sketch of a clock in the picture on the right seems to fall out of the room. The falling from space and time is not only to be noted in the case of a stroke of fate, but also in the degradation of mental abilities in cognitive diseases.
In other still lifes, fluid patterns can be found in wood grains, fabrics and spilled water, reflecting the passing and blurring of what time used to mean. The leitmotif is always the forget-me-not in different color variations. The deep and black eyeholes of the skull motif, which recurs in the new works, and the subtle facial expressions of the very same promise the prospect of the inevitable and the abstraction of temporality.
Regarding the materials, Joëlle Dubois deepens her working method for FORGET ME NOT. With the 3D installation Moon Cave, she realizes different storylines that overlap. The cave installation is a reference to a universal aspect of childhood. Furthermore, it is a symbol for the uterus, which in turn refers to motherhood and the creation of life, and thus also to the feeling of home and security. The cave is wrapped in a white fabric, ornated with traditional Flemish lace placemats. The hand-knitted objects not only embody the craft that is passed on from generation to generation, but also express their fragile grace in the ornamentation of the lace.
The installation I Am My Mother's Daughter is a handwritten sentence interpreted in forget-me-not colored neon tubes. Its light seems to connect the works in the room like a subchapter. The neon lights reflect a personal memory of childhood. The collection of neon tubes in her childhood house as rebellious uniqueness of her mother announces the artist's pride with which she wants to honor her ancestors and preserve her past.
„How can you illustrate forgetting?” (Joëlle Dubois)
The characteristic painting style of Joëlle Dubois can be recognized visually. Less graphic, now picturesque in a symbolic-surrealistic impression, she processes the abstract and vague thoughts and feelings that she explores in the exhibition. Despite the meaningful subject matter, the blue-purple palette of forget-me-nots and other objects in the images shine against colorful, soft-blurred and sober backgrounds. While Dubois always painted representations of her immediate surroundings in previous works, these works probably show the most intimate insight into the personal confrontation with one's own grief, decay, uncertainty and the role as a woman and mother. The universality of these themes makes the artist's personal story a platform that offers access to feelings that will cross almost every path of life in its course.
In her paintings, Joëlle Dubois not only reflects the deep emotionality of a process of realization and loss, but also inscribes a glimmer of hope in them, to rediscover the self with a new perception, after a crisis, which ultimately represents a step in personal maturity.
The images show strength in terms of acceptance of the unchanging and stand as monuments that capture the incessant and steady forgetting, in this moment.
Elisa Mosch, 2022