François Jacob – Lá oú personne ne t'attend

FRANÇOIS JACOB
Lá oú personne ne t’attend
02. September – 08. Oktober 2022
––– English version below –––
Malerische Schauspiele – die Bildwelten von François Jacob
Als ob sie aus einem dunklen Märchenwald auf die von zarten weißen Blüten übersäte Lichtung getreten sind, führen zwei Figuren in hellen Gewändern am Fuße eines Wasserfalls ein tänzerisch synchrones Ritual vor, ein Bein jeweils spielerisch ausgestreckt. Ein erhobener Zauberstab richtet sich auf den Punkt im Gebirge, aus dem sich die Kaskade den Bachlauf abwärts durch das Bild ergießt. Zwar von menschlicher Gestalt, sind die von einem magisch anmutenden Glimmen umfangenen, in einer romantischen Mitsommernachtsstimmung eingefangenen lichten Wesen von unbestimmter Herkunft. Die Leuchtkraft ihrer fast durchscheinenden Anwesenheit rückt sie in die Nähe von Bewohnern überirdischer Sphären wie Elfen, Feen und Nymphen. François Jacob (*1976) nennt die rätselhaften Protagonisten des gleichnamigen Gemäldes „Sourcières“. Die Bezeichnung ist seine Neuschöpfung bestehend aus dem (männlichen) Wünschelrutengänger (frz. „Sourcier“) – der nach geheimen Wasserquellen sucht – und der (weiblichen) Hexe (frz. „Sorcière“). Mit der Hybridisierung der Darstellung setzt Jacob Identitäten und Ordnungen außer Kraft, um stattdessen einen allgegenwärtigen, den Bildgegenstand bestimmenden Zauber der Zweideutigkeit zuzulassen.
Die Gemälde von François Jacob (*1976) entstehen aus der Zusammenführung unterschiedlicher motivischer Elemente und Bildausschnitte, die meist aus anonymen Archivbeständen aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammen. Um die Vorlagen aus Büchern, Filmen, Theaterszenen, anonymen und eigenen Aufnahmen möglichst unvoreingenommen, mit einem „unschuldigen Zugang“, wie der Künstler sagt, nutzen zu können, scannt Jacob sie ein und löst Teile aus dem ursprünglichen Bild- und Bedeutungszusammenhang heraus. Durch den Entzug der Farbwerte werden die Bildfragmente zusätzlich einer nivellierenden Eintönigkeit von Schwarz-Weiß-Grauwerten unterzogen, der Bezug zur abgebildeten außerbildlichen Wirklichkeit erschwert. Aus dieser heterogenen Sammlung entleerter, neutralisierter Bildeinheiten generiert Jacob sein Motivrepertoire. Die Leinwand dient ihm als Bühne, auf der er sein Bildpersonal mit gesteigerten malerischen Effekten zu surreal anmutenden Tableaus arrangiert um Akte der Repräsentation zu inszenieren.
Oft verschleiern diffus leuchtender Dunst und nebulöse Schwaden das Bildgeschehen, die Akteure selbst tauchen mitunter wie flüchtige Erscheinungen atmosphärischer Phänomene schemenhaft auf. Inmitten sich gigantisch türmender, von rostrot bis flaschengrün schillernder Wolkenberge, die wie schwerer Rauch die Bildfläche anfüllen, befinden sich zwei anmutig ineinander verkeilte Kämpfer in entfernter Himmelshöhe („Duel“). Einzige Standfläche für diesen akrobatischen Balanceakt ohne Bodenhaftung ist eine Art Sprungbrett, dessen Umrisse sich schwach aus den dichten Luftmassen abzeichnen. Wie durch einen Scheinwerfer punktuell angestrahlt, ist das Figurenpaar in gleißende Helligkeit getaucht und in eine seltsam statuarische Haltung gebannt. Es bleibt ungewiss, ob es sich um ein flammendes Naturschauspiel handelt oder ob nicht die pulsierende Malerei mit ihren visuellen Einfällen selbst zur Schau gestellt wird.
Waren frühere Gemälde vorwiegend in verhaltenen Graustufen ausgeführt, deren Dramatik sich aus dem Kontrast zwischen Hell und Dunkel ergab, so bestimmen künstlich aufgeladene, geradezu fantastische Farbräume das jüngste Werk von Jacob. Die Farbe ist für Jacob nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern trägt wesentlich zur Erzählung im Bild bei, sie färbt das Dargestellte geradezu ein, verleiht ihm eine emotionale Qualität: „Ich führe die Farbe wie einen eigenständigen Charakter ein, der wie eine Temperatur das Geschehen bestimmt. Durch Farbe werden Gefühle zum Ausdruck gebracht: der Gegenstand der Darstellung wird immer durch die Farbe emotional erfahrbar.“
Jacob setzt Farbwerte wie Filter ein, die sich als expressive Valeurs, wie Stimmungswerte über die Szenarien legen und ihnen eine subjektive, traumhafte Ausstrahlung verleihen; Protagonisten verschwimmen und verschwinden im vorherrschenden Farbeindruck, wobei mitunter „unnatürliche“ Farben die Darstellung bestimmen, vergleichbar mit einer nachträglich kolorierten, und damit verfälschten, Schwarzweißfotografie.
Jacobs auf kleinen Formaten Portraitierte glühen geradezu in feurig lodernden Rottönen, wirken wie in Kunstlicht getaucht, verwandelt und verfremdet. Sie scheinen in einer entrückten Realität angesiedelt – Rollenspiel oder Introspektion? Auch eine Szene wie „Fabrique“ ist trotz ihres sehr konkreten Titels kaum in einer objektiv fassbaren Wirklichkeit zu verorten. In einem Bildraum, der zwischen Chorgestühl und Werkstatt, Kirchenraum und Produktionshalle changiert, sind die Arbeiter, scherenschnittartig und fahl, gleichsam wie Spielfiguren aufgestellt. Ein Lichtstrahl fällt, wie ein göttliches Symbol, in den Ort, eine künstlich konstruierte Kulisse, in dem die Handelnden wie erstarrte Statisten ohne Handlungsanweisung verharren. Im Schwebezustand ihrer Unbestimmtheit trotzen sie der Verortung in Zeit und Raum.
In Jacobs szenischen Neufigurationen wirft die Farbe ein befremdliches Licht auf das Bildgeschehen. Die Figuren schweben zwischen Fantasie- und Märchenwelten, die Grenzen zwischen Traum und Realität werden durchlässig. Mit der Durchdringung von Wahrnehmungsebenen verschiebt sich das Bewusstsein von Wirklichkeit, wird verunsichert. Jacob möchte diese Spannung zwischen den Zuständen ausloten: „Manchmal ist es klar, dass es sich nicht um die Realität handelt. Aber es ist nicht klar, um was es sich stattdessen handelt. Diese Ambivalenz und Offenheit möchte ich erhalten.“
Während Jacobs Figuren wie Staffage in der Maskerade der Malerei auf- und hinter atmosphärischen und koloristischen Manifestationen wieder zurücktreten, behaupten sich Licht und Farbe als eigenständige Akteure, um die Leinwand zu beherrschen.
Als hoch artifizielle theatralische wie künstlerische Mittel beanspruchen sie einen eigenen Wert, eine eigene Realität auf der Bühne wie im Bild. Vor der in der Zirkusmanege auf dem Elefanten sitzenden, salutierenden Artistin („Salut“) taucht ein flirrender, grünlich leuchtender Schein auf. Handelt es sich bei diesem Phänomen aus Licht und Farbe um ein „inneres“ Bild der Rückenfigur, eine Vision, eine Halluzination? Lässt es sich als Projektion der Psyche begreifen, oder doch als physisches Ereignis? Oder ist es nicht vielmehr eine freie Erfindung der Malerei?
Tatsächlich bekommt nicht so sehr das Kunststück der Protagonistin, sondern vielmehr das Kunstmittel des Lichts, der Farbe, der Zauber der Malerei einen glanzvollen Bühnenauftritt.
Damit ist die Malerei selbst, als Kunstform und vor allem mit der ihr eigenen Künstlichkeit, Gegenstand der selbstreflexiven Betrachtung von Jacob. „Es ist ein Spiel mit den Attributen, der Ausstattung und den Szenarien, die wir entwerfen, um etwas zu veranschaulichen.“ In seinen Bildwelten zeigt der Künstler etwas zum zweiten Mal – und in verwandelter Form. Demnach begreift er sie „als eine Wiederaufführung, die Vorführung des Bildes von etwas statt der Sache selbst.“ Und letztlich sind damit insbesondere die dem Medium inhärenten Mittel gemeint: Die manipulativen Möglichkeiten der Malerei zur Vortäuschung mannigfaltiger Realitäten – die jedoch vordergründig die Realität der Repräsentation sichtbar werden lassen.
Bettina Haiss, 2022
FRANÇOIS JACOB
Lá oú personne ne t’attend
September 2 – October 8, 2022
The spectacle of painting - the pictorial worlds of François Jacob
As if they had stepped out of a dark fairy-tale forest into a clearing covered with delicate white blossoms, two figures in light-colored robes perform a synchronized dancing ritual at the foot of a waterfall, one leg playfully extended. A raised wand is aimed at the point in the mountains from which the cascade traverses the painting like a stream.
Although of human form, the luminous beings, surrounded by a magical glow and captured in a romantic midsummer night mood, are of indeterminate origin. The radiance of their almost translucent presence makes them appear as inhabitants of supernatural spheres such as elves, fairies and nymphs. François Jacob (*1976) calls the enigmatic protagonists of the painting of the same name "Sourcières". His neologism consists of the (male) dowser (French "Sourcier") - who searches for secret water sources - and the (female) witch (French "Sorcière"). With the hybridization of the scene, Jacob suspends identities and orders to allow instead an omnipresent ambiguity to pervade his pictorial subject.
The paintings of François Jacob (*1976) are created in bringing together different elements and fragments mostly derived from anonymous archive collections from the 19th and 20th centuries. In order to be able to perceive the original images from varied sources – like books, films, theater scenes, photographs from unknown origin or his own material – with an unbiased, an "innocent approach," as the artist says, Jacob scans them and detaches parts from the original context, decomposing it. In doing so, he simultaneously liberates the single components from their depicting function - their connection to an extra-pictorial reality. By removing the color values, the image sections are additionally subjected to a leveling monotony of black and white and gray values, making it more difficult for them to be recognized. Jacob generates his repertoire of motifs from this heterogeneous collection of emptied, neutralized pictorial units. The canvas serves him as a stage on which he arranges his pictorial personnel into surreal tableaus with heightened painterly effects in order to show acts of representation.
Often diffuse hazes and nebulous swaths obfuscate the pictorial action, the actors themselves sometimes appearing like fleeting apparitions of atmospheric phenomena. Amidst towering mountains of clouds, shimmering in hues from rust-red to bottle-green and invading the picture surface like heavy smoke, two fighters are intertwined gracefully at a distant height in the sky ("Duel"). The only foothold for this acrobatic balancing act way above the ground is a kind of springboard, the outlines of which are faintly visible in the dense air masses. The pair of figures seems to be highlighted as if by a spotlight, which immerses the actors in extraordinary brightness and freezes them into a strangely statuesque posture. We remain in doubt as to whether we´re witnessing a flaming spectacle of nature or the vivid artifices of a pulsating painting put on display.
Whereas earlier paintings were predominantly executed in restrained shades of gray, the drama of which resulted from the contrast between light and dark, Jacob's most recent work is defined by artificially charged, almost fantastic color spaces. Color is not just a means to an end for Jacob but contributes significantly to the narrative in the painting, virtually coloring the action, endowing it with an emotional quality. "I introduce color like a character in its own right, like a temperature that determines what happens. Feelings are expressed through color: the subject is always emotionally experienced through color."
Jacob uses color values like filters, which overlay the scenarios as expressive valeurs, mood indicators, and give them a subjective, dreamlike aura; protagonists blur and fade in the prevailing color impression, with "unnatural" colors sometimes determining the painting, comparable to a black-and-white photograph that has been subsequently colored, and thus falsified.
Jacob's portraits on small formats virtually glow in fiery blazing red tones, appearing as if immersed in artificial light, transformed and alienated. They seem to be set in a distant reality – engaged in role-play or introspection? Even a scene like "Fabrique", despite its very concrete title, can hardly be located in an objectively palpable reality.
The setting oscillates between choir stalls and industrial workshop, church space and production hall. The workers, silhouetted and sallow, are posed, as it were, like game figures. A ray of light, like a symbol of God, falls into the place, an artificially constructed backdrop in which the actors remain static and exempt of momentum. In the limbo of their indeterminacy, they bypass an allocation in time and space.
Color thus casts a disconcerting light on the pictorial events in Jacob's scenic re-figurations. The figures hover between fantasy and fairy-tale worlds in which the boundaries between dream and reality are blurred. In this interpenetration of perceptual levels, the consciousness of reality shifts, becomes unsettled. Jacob wants to explore this tension between states: "Sometimes it is clear that it is not real. But it is not certain what it is instead. I want to preserve that ambivalence and openness."
While Jacob's figures appear like subdued statists in the masquerade of painting, receding behind atmospheric and coloristic manifestations, light and color assert themselves as independent actors that dominate the canvas. As highly artificial theatrical as well as painterly means, they claim their own value, their own reality on stage as well as in the picture. A shimmering, greenish glow appears in front of the saluting artist sitting on the elephant in the circus ring ("Salute"). Is this phenomenon of light and color an "inner" image of the back figure, a vision, a hallucination? Can it be understood as a projection of the psyche, or rather as a physical occurrence? Or shouldn´t it rather be regarded as a free invention of painting after all?
In fact, it is not so much the spectacular act of artistry of the protagonist, but rather the artifice of light, of color, the magical performance of painting that plays a main role and makes a dazzling stage appearance in the works of Jacob. Thus painting itself, as an art form and above all with its inherent artificiality, is the object of Jacob's self-reflexive considerations. "It's a game with attributes and equipment, with the scenarios we design to illustrate something and create importance." Jacob conceives of his pictorial worlds "as a re-enactment, the presentation of the image of something instead of the thing itself.” The artist shows something for the second time – after its having undergone painterly transformation. And ultimately, he points to the means inherent in the medium: the manipulative possibilities of painting to feign manifold realities – foregrounding the reality of representation.
Bettina Haiss, 2022