Franz Josef Altenburg & Pedro Boese
In Zeiten großer Innovationen, in denen sich auch das Individuum immer wieder neu erfinden muss, wächst
zwangsläufig auf der anderen Seite auch die kollektive Sehnsucht nach bekannten Sicherheiten. Für die Gesellschaft
ist damit ein nur temporär gültiger Mechanismus beschrieben, der Gutes und Schlechtes gleichermaßen hervorbringen
kann. Die Kunstgeschichte allerdings kennt es gar nicht anders. Der Konflikt zwischen Innovation und Kontinuität ist
ihr unweigerlicher Antrieb, und kann gleichzeitig knifflige Fragen aufwerfen: Wie lässt sich eine künstlerische Linie
entwerfen, die nicht im Kreis führt? Wie schaffe ich es, Anknüpfungspunkte innerhalb meiner Kunst zu setzen, ohne
Abnutzungserscheinungen zu riskieren?
Nur Wenigen gelingt es schon zu Beginn ihres künstlerischen Lebens, eine Formensprache zu entwickeln, die ihnen in
diesem Sinne die Sicherheit eines ureigenen Ausdrucks garantiert, ohne Korsett zu sein. Franz Josef Altenburg und
Pedro Boese gehören zu diesen seltenen Ausnahmen. Doch nicht nur hierin liegt eine Analogie, die uns dazu
veranlasst hat, die wunderbare Zusammenarbeit zur retrospektiven Ausstellung Altenburgs im Keramikmuseum
Westerwald mit einer zeitgenössischen Position aus einem anderen Medium zu ergänzen. Beide Künstler arbeiten fast
ausschließlich mit den geometrischen Grundformen und haben hierin Anknüpfungspunkte zur Konkreten Kunst. Sich
von dieser wiederum abhebend geht es ihnen nicht um eine Reduktion auf eine abstrakte und universalistische Basis
der Form, sondern im Gegenteil – sie suchen vor Allem nach den Ursprüngen des Individuellen.
Altenburg erschuf über Jahrzehnte ein beeindruckend stringentes Gesamtwerk von keramischen Miniaturen, die in
ihrem paradoxen formalen Dasein zwischen konstruktivistischen Grundzügen und organischer Plastizität
Architektonisches und Skulpturales gleichzeitig derart verdichten, dass beides ineinanderfließt. Es sind Archetypen
des Bauens, formal wie verbal, um die seine Werke kreisen: Gerüste, Türme, Blöcke. In Allem steckt etwas
buchstäblich Konstruktives, und doch auch das Werden eines unabhängigen Objektes. Altenburg suchte Zeit seines
Lebens und im Zuge unermüdlicher serieller Produktion nach idealen Formen, ohne die Spuren auf dem Weg dahin
zu verwischen. So legt das seinen Werken zugrunde liegende Handwerk die besondere Materialität des Tons ebenso
offen wie die Individualität der menschlichen Fertigkeiten. Es ist eine Arbeit nicht gegen sondern mit den spezifischen
Eigenheiten des Materials, und doch sind seine Objekte ganz und gar unverkennbare Altenburgsche Werke.
Gleiches gilt auch für das malerische und druckgraphische Werk Pedro Boeses. Obwohl dieser bei seiner Arbeit nicht
nur bei den Formen, sondern auch bei den Farben stets eine systematische Idee zugrunde legt, ist sie geprägt von einer
für die abstrakten Künste ungewöhnlichen Lebendigkeit. Seine Serien sind wie fein abgestimmte Rezepturen,
aufgebaut auf reproduzierbaren Schemata und den Erwartungen, auf die ein serieller Ansatz unweigerlich zurückgreift.
Ein wesentliches Charakteristikum seiner Werke ist dabei jedoch immer die eine Zutat, die es vermag die Vorzeichen
zu verändern: Der nachträgliche Abrieb von Farbe, die Offenheit eines modularen Ansatzes, die Lücke im Raster –
Boese streut uns immer wieder Sand in das Getriebe der Wahrnehmung, das anspringt sobald wir ein System
erkennen. Bei der nun gezeigten Serie parallel sind es Abrisse, Überlagerungen und Ausschnitte die mit einem großen,
übergreifenden Raster weißer Linien kontrastieren, das sich über die Rahmenbreite in den Raum fortsetzt, um hier bei
uns auf die gestapelten Raster Franz Josef Altenburgs treffen.
Julius Tambornino 2023