Olaf Holzapfel | Michael Sailstorfer | Speaking through substance

In der Ausstellung Speaking Through Substance treten zwei Künstler in Dialog, die Materialität als Träger von Geschichte, Energie und Widerstand sichtbar machen und sie zur inhaltlichen Triebkraft ihrer Werke erheben. Für Olaf Holzapfel und Michael Sailstorfer ist das Arbeiten mit Weide, Stroh, Kupfer und Neon kein Mittel zum Zweck, sondern eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen sich unsere materielle Welt konstituiert.
Das Werk Baum 1 (2022) von Olaf Holzapfel ist eine am Boden liegende, zylindrische Form aus geflochtener Weide und erinnert in ihrer Erscheinung an einen ruhenden Körper. Sie ist in jener Technik gefertigt, wie sie im Korbhandwerk verwendet wird. Die Arbeit verweist auf das immaterielle Kulturerbe des Flechtens, eine jahrtausendealte, universelle Methode, die sich stets lokal verankert. Geflochten wird, was gebraucht wird, aus dem, was die Landschaft bereitstellt. In diesem Sinne versteht Holzapfel das Flechten als eine regionale Sprache. Ergänzend zeigt Holzapfel drei Bilder aus Stroh mit den Titeln Gesteck (2025), Roter Wald bei Wazuka (2025) und Zwischen den Jahren (2025). Ihre Kompositionen ergeben sich aus der Länge und der natürlichen Farbigkeit der Getreidehalme. In Holzapfels Perspektive ist es nicht allein der Mensch, der die Umwelt formt, sondern die Natur selbst ist eine Partnerin mit Charakter, die unsere Werkzeuge, unsere Bauweisen und unsere Alltagspraktiken mitprägt. In den Worten Holzapfels handelt es sich bei seinen Werken um die Idee einer „zweiten Natur“. Pflanzen, sei es Weide oder Stroh, werden durch Trocknung, Einweichen, Schälen oder Kochen in bearbeitbares Material verwandelt. Wenn Holzapfel aus diesen Rohstoffen ein Objekt formt, das den Titel Baum erhält und in seiner Erscheinung tatsächlich an einen Baum erinnert, entsteht ein Rückbezug. In dieser Umkehrung zeigt sich Holzapfels zentrales Anliegen: Die Natur ist nicht das Aussen der Kultur, sondern ihr inneres Gefüge. Sie ist stets gegenwärtig.
Michael Sailstorfer Werke der Gruppe Air Electric (2025) gründen auf einer Reaktion zwischen Strom und Materie. Ein feines Kupfergewebe, auf einen Holzrahmen gespannt, dient als Träger eines elektrochemischen Prozesses. Der Minuspol eines Netzteils ist mit dem Kupfer verbunden, der Pluspol mit einem Edelstahlstab, dessen Spitze von einem Vlies umhüllt ist, das eine Silberelektrolytlösung enthält. Wenn Sailstorfer mit dem Stab das Kupfer berührt, schliesst sich der Stromkreis und Energie setzt sich frei. In diesem Moment, wenn der Künstler das Bild entstehen lässt, lagern sich Silberionen auf dem Kupfergewebe ab. In der Verbindung von Elektrizität, Materie und Bewegung entstehen Gemälde, denen eine elektronische Kraft zu Grunde liegt. Die zweite Arbeit trägt den Titel Einfacher Stromkreis (2025) und zeigt ein abstrahiertes Gesicht, das sowohl an eine archaische Maske wie auch an das Schema eines Schaltkreises erinnert. Die aus blauen Neonröhren geformte Linie oszilliert zwischen Zeichnung und Zeichen, zwischen menschlicher Physiognomie und maschinenähnlicher Struktur. Das blaue Licht verleiht der Arbeit eine zeitlose Aura – kühl, technisch, wie eine Reminiszenz an frühe Computerästhetik. Die Arbeit wird zu einem Sinnbild, zu einer leuchtenden Chiffre, zwischen Mensch und Maschine. Die Werke von Michael Sailstorfer kreisen um Fragen zu Energie und ihrer Transformation. Materialien werden nicht bloss eingesetzt, sondern durch physikalische Prozesse wie Strom oder Bewegung verändert. In diesem Spannungsfeld entfalten technische Mittel eine eigene, oft unergründliche Ausdruckskraft. Zugleich bleibt der menschliche Körper, auch ohne direkte Darstellung, als Massstab und Resonanzraum stets präsent.
Damian Jurt, Kurator, Bündner Kunstmuseum