Walter Stöhrer - Retrospektive

Rastlos, getrieben, ein Leben lang!
Augsburger GALERIE NOAH widmet Ausnahmekünstler Walter Stöhrer Retrospektive in Kooperation mit der Stöhrer-Stiftung
Wild gestische Malerei, wie im Rausch aufgetragene, besser, gelebte Farbe, Schrift, Textur, Collage, Bild, Versatzstück, Fragment – im Meer, Ozean, im Kosmos des Walter Stöhrer sich wiederfindend, bedeutet, sich der großen Frage der Menschheit zu stellen, sich ihrer anzunehmen. Auch, Sinn, Sinnlosigkeit, Zerstörung und Wiederauferstehung zu akzeptieren. Keinem geringeren Inhalt als der Existenzhinterfragung hat der große Maler aus Baden-Württemberg sein Leben gewidmet, besser, hat sich dieser verschrieben, sein ganzes Sein, Dasein untergeordnet, eben alles. Kaum jemand überhaupt in der gesamten deutschen wie internationalen Kunstgeschichte, hat sich derart vehement, frei und ungezügelt, ursprünglich, gleichermaßen gegeißelt von Sprache, Literatur, Reglementierung, derart konsequent wie radikal der Typisierung, Genesis wie der Zerlegung einer Art Urwesen unterworfen wie eben Walter Stöhrer.
Er, Kind von HAP Grieshaber an der Kunstakademie Karlsruhe, wird, nebst Horst Antes und Dieter Krieg, einer der bedeutendsten Vertreter der Neuen Figuration, der gestischen Malerei, des deutschen, eines individuellen Informels. Beeinflusst vom abstrakten Expressionismus der Amerikaner, allen voran Jackson Pollock, Cy Twombly, Willem de Kooning, vom europäischen Surrealismus, wie natürlich auch von CoBrA wie der Art Brut, sorgt auch mit seinen öffentlichen Malaktionen für Furore: Er malt zur Musik von Punk, Rock, Psychedelic, vor allem von „Die Haut“ aus Berlin, deren Band-Mitglieder später im Übrigen zu den „Einstürzenden Neubauten“ und zum Team „Nick Cave“ wechseln, wirft dabei Phrasen auf die weiße Leinwand, aus unter anderem Gedichten von Rainer Maria Rilke, dem New Yorker Dichter Frank O`Hara, auch den Vorsokratikern, übermalt collagierte Magazin-, Pornoseiten, Kopien bis zur Unendlichkeit, erschafft Neues auf Altem und sprengt dabei den Rahmen. In den 1960er Jahren noch sehr dem Schwarz-Weiß, auch der Radierung, einem Bildrahmen verpflichtet, verdichtet sich seine Malerei in den 1970er Jahren: wird bunter, die Primärfarben Blau, Rot, Gelb übernehmen die Oberhand, auch dickes, versammeltes, absorbierendes Grau, der gesamte Prozess seiner Malerei wird komplexer, ausfälliger, ausufernd. In den 1980er Jahren dann kehrt Weiß, ein Nichts zurück, er kämpft mit der Form, mit Ausgewogenheit, die, wenn man so will, in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt findet.
1937 in Stuttgart geboren, zieht es ihn bereits 1960 – ohne Akademieabschluss wohlgemerkt - von Karlsruhe nach Berlin, wo er bald als ordentlicher Professor an der Hochschule der Künste zur Legende wird; die vorlesungsfreie Zeit verbringt er in Scholderup an der schleswig-holsteinischen Küste, wo er 2000 auch verstirbt. Bereits 1999 wurde, noch zu Lebzeiten des Künstlers, die Walter-Stöhrer-Stiftung gegründet, der vor allem die Familie vorsteht, Hanne und Nikolai Forstbauer.
Über 20 vor allem monumentale Leinwände wie Papierarbeiten aus den Jahren von 1961 bis 1999, allesamt grundsätzlich immer Mischtechniken, feurige Mixturen aus Acryl, Kreide, Kohle, Spraydose, Lack, Gouachen und Tusche, aus dem Besitz der Stiftung, teils selten gezeigt, vermitteln hier und heute ein eingängiges, prägnantes, intensives Bild von Walter Stöhrer. Ein Künstler, irgendwo zwischen Abstraktion und Figürlichkeit, Fläche und Kontur zuhause, stets getrieben, mit allen Sinnen zu allen Mitteln greifend, sich informell bis allegorisch abarbeitend, er, der ewig Suchende, Anfang und Ende im Kopf, hier skizzierte Totenschädel, Fratzen, Embryos, Spermien, dort eine Art Homunkulus, Hand, Fuß, andern Ortes ein Vogel, wieder das Urwesen, archetypisch, rastlos unterwegs, in der Malerei wie im Leben.