Showtime im erhabenen Tübingen: Anselm Reyle zelebriert sein Comeback

Es war, als ob jemand den Vorhang aufgerissen und laut gerufen hätte: Seht her, das ist unser Neuer, das ist jetzt unser Star!
Gagosian, drüben in der Madison Avenue, hieß es, kümmere sich schon um Sammler und Preise. Aus Berlin erzählten sie, der junge Mann habe eine Malfabrik aufgebaut, wie es sie seit Cranachs Zeiten nicht mehr gegeben habe. Eine kunstbetriebliche Sturzgeburt, dachte man, mal schauen, wie lange das Kind sich bei so viel Kraftfutter am Leben hält. Prompt blieben die Schlagzeilen aus. Und die Freunde fragten, was ist denn los, weiß irgendwer was Neues?

Gerade hat Anselm Reyle sich zurückgemeldet. Ausgerechnet in der Kunsthalle Tübingen, am Philosophenweg, wo früher Cézanne und Renoir die Massen anlockten, heißt es nun „Acid Mothers Temple“ – Showtime, dass es den Klassikern ganz wohlig ums Herz würde. Zerknüllte, aufgerissene Folie an den Wänden, die Decken schwarz abgehängt, grausliche Teppiche und Auslegeflecke auf den Böden: Der Dekonstruktion des White Cube ist Genüge getan. Eine Inszenierung, die kaum mehr als ein Dutzend Arbeiten in Nightclub-Dunkel taucht und sie mit Spotlights anstrahlt wie die Preziosen bei Tiffany an der 57th Street.

Dabei scheinen Anselm Reyles Werke nicht gerade von der Art, dass man vor ihnen Erkenntnis und Staunen neu erlernen müsste. Gestische Strukturen in monochromer Acrylpaste. Elektroschrott, im breiigen Farbgrund versenkt. Faltig geraffte Alublätter, eingesperrt in Plexiglaskästen, die sie bengalisch leuchten lassen. Keine unlösbaren Interpretationsaufgaben. Die Bilder haben alle keine Mitte und keine Ränder, sie markieren eher so etwas wie einen fortgesetzten Produktionsstrom, eine Präsenz, die ihre wechselnden Strategien vor allem an den Erwartungen ausrichtet, die mit der Künstlerrolle verbunden sind.

Wer dem kandierten Auftritt Leere attestiert, sagt nichts Ehrenrühriges. Denn Leere ist hier nichts weniger als Kalkül auf die Bedeutung der Kunst, wie sie in gesättigten Werken von Kiefer, Lüpertz bis Neo Rauch immer wieder aufscheint. Das Spiel mit Kitsch und Noblesse, mit dem abgetragenen Kostüm des Informalismus, den angestaubten Kulissen aus der 80er-Jahre-Disco – das alles deutet auf eine Distanz, die im selben Maße, in dem sie den Markt bedient, an ihm auch kritisch teilhat.

Und wer in dem jungen Anselm Reyle schon ein Verschleißopfer vermutet hat, wird nun aufs Schönste enttäuscht, begegnet einem Künstler wieder, der nie das Heft aus der Hand gegeben, nie die Regie anderen überlassen hat und mit Verve und Nachdenklichkeit seine Karriere bewirtschaftet.

Kunsthalle Tübingen, bis 10. Januar 2010