Künstlerinnenporträts von Sibylle Fendt

"Keine Hemmungen, keine Ängste"

Wie sieht Selbstbestimmung aus? Sibylle Fendt fotografiert Menschen aus der Kunstszene, die sich feministisch positionieren

"Es reicht nicht, zu hoffen und zu warten", sagt Katarina Bosse. "Die Nachteile sind echt. Lasst uns gemeinsam kämpfen. Es ist gut, dass ihr da seid." Die finnische Fotografin sitzt mit einer Analogkamera im Wasser, umgeben von rotem Licht. Scheinbar entwickelt sie sich selbst, sitzend in einem Fotolabor. Das Motiv ist eine der Symbiosen aus Fotografie und Text in der "_:*" der Künstlerin Sibylle Fendt. Sie überlegt sich genau, wen sie dafür fotografieren möchte. Aussortiert hat sie niemanden. Das Geschlecht ist dabei egal, sie hat Frauen, Männer und non-binäre Personen abgelichtet.

Ein wichtiges Kriterium gibt es jedoch: Fendt hat ausschließlich Personen aufgenommen, die sich sich durch ihre künstlerische Arbeit feministisch positionieren und die schon heute die Ideale leben, die sich Fendt für die Zukunft wünscht. "All die Künstlerinnen verbindet, dass ich sie persönlich schätze  für ihre Einzigartigkeit, ihre Kompromisslosigkeit, für ihre ganz besondere Sprache und den Weg, den sie gehen", sagt sie im Gespräch mit Monopol. Das hat schon die Fotografin Marta Hoepffner so gehandhabt, die Fendt zu der Serie inspiriert hat: "Sie hat ebenfalls ihre Vorbilder fotografiert."

Fendts Modelle sind meist keine Unbekannten. So versammelt die kanadische Electroclash-Sängerin Peaches Fans auf der ganzen Welt. Seit vielen Jahren setzt sie sich mit ihrer Arbeit unter anderem für Gleichstellung, LGBTQIA+-Rechte und die Möglichkeit eines freieren sexuellen Ausdrucks ein. Für Fendts Porträt hat sie bewusst auf jegliches Make-up und Styling verzichtet. Während sie sich auf der Bühne durch freizügige Outfits selbstbestimmt sexuell äußert, trägt sie hier ein langes, orangefarbenes Kleid mit Patches, deren Form an eine Fledermaus erinnern.

Peaches bedient sich während ihrer Shows der hypersexualisierten Reize, auf die weiblich gelesene Personen oft noch immer reduziert werden. Damit verstärkt sie diesen schädlichen Effekt jedoch nicht, sondern macht ihn sich zu eigen. Sie holt sich die Kontrolle zurück.

In Zusammenspiel mit ihrem Statement kann die Wahl ihres Looks als Akt des Protestes gelesen werden. Die Botschaft, die zu Peaches' Porträt gehört, stammt aus dem Song "Dick in the Air" und fordert Empowerment: "Wir haben es satt, die Hände in die Luft zu strecken. Und wir schütteln unsere Ärsche, als wäre es uns egal. Wir haben jahrelang unsere Titten geschüttelt. Also lasst uns die Positionen wechseln, keine Hemmungen, Ängste."

Veränderung als Konstante

Peaches ist nicht die einzige Person, die auf den Porträts in veränderter Weise auftritt. Für die Fotografie der Künstlerin Annegret Soltau nutzte Fendt die Technik der Doppelbelichtung. Soltau deformiert die Körper in ihrer Kunst durch die Zerstückelung und Wiederzusammensetzung von Fotografien nackter Gliedmaßen. Dieser Technik bediente sie sich schon zu einer Zeit, in der diese Art der Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper noch ein viel größeres Tabu war. "Diese Deformierung wollte ich aufnehmen", erklärt Fendt. Mithilfe der Doppelbelichtung veränderte sie nun selbst Soltaus Körper. Das Ergebnis ist ein kaleidoskopartiges Mosaik, das die Künstlerin von der irdischen Welt zu entgrenzen scheint. Vor einem geschlossenen Auge schwebend ist sie nun ausgestattet mit einem doppelten Kopf.

Auch die Schauspielerin Bärbel Schwarz zeigt sich in einem anderen Licht, als es ihr in der öffentlichen Wahrnehmung zugeschrieben wird. Wie sie in ihrem Statement erklärt, spielt sie in Fernsehproduktionen oftmals Versager-Figuren oder Menschen, die am Rande stehen. Sie erhält meist Eintagesrollen, weil Protagonistinnen nicht oft diesem Profil entsprechen. Das Porträt von Schwarz steht in extremem Gegensatz dazu: Mit selbstbewusstem Blick schlägt sie in einem Kuhstall auf eine Trommel ein. Nichts an ihrer Mine verweist aufs Versagen. Genau das gefällt Fendt. "Es ist eines meiner liebsten Bilder", sagt sie.

Das Bewusstsein über die eigene Stärke, die von Schwarz ausgeht, spricht aus beinahe allen Fotografien. Das gilt insbesondere für die Aufnahme der Fotografin Maria Sturm, die auf dem Bild ein Baby stillt. Sie setzt sich dafür ein, dass Frauen in Jobinterviews, im Büro oder in anderen Kontexten offen zuzugeben können, dass sie schwanger sind. "Maria Sturm und mir ist es besonders wichtig, dieses Thema anzusprechen", sagt Fendt. "Damit haben viele Frauen problematische Erfahrungen gemacht." Auch aus dem Blick von Hengameh Yaghoobifarah, einer bekannten Persönlichkeit des Journalismus, ist Stärke zu lesen.

Durchdacht, aber nicht inszeniert

Fendt hat alle Modelle analog mit einer Mittelformatkamera fotografiert. Das verlangsamt den Prozess. "Bis ich die Kamera aufgebaut habe, das Licht gemessen habe und mich entschieden habe, ob es sich wirklich lohnt, ein bestimmtes Bild zu machen, vergeht eine gewisse Zeit", sagt Fendt. Im Schnitt belichtet sie bei jedem Shooting fünf Filme mit je zehn Bildern.

Die Kombination aus der langsamen Entstehung des einzelnen Bildes und einer Verknappung des Materials führt zu durchdachten Aufnahmen. Inszeniert sind sie jedoch nicht. Fendt ist es wichtig, eine gewisse Spontaneität zu bewahren. So verändert sie weder Setting noch Outfit der Fotografierten. "Würde ich all das neu gestalten, wäre ich eine Malerin mit weißem Blatt. Das kann ich nicht", sagt sie. "Wenn möglich, möchte ich die Menschen und ihre Umgebungen zeigen, ohne einzugreifen."

Manchmal findet sie aber auch das Gegenteil spannend. In solchen Momenten spielt sie erneut mit dem Herauslösen der Personen von ihren zugeschriebenen Images. So erklärt die Künstlerin: "Stefanie Sargnagel fotografierte ich in meiner Ferienwohnung in Wien, Hengameh Yaghoobifarah im Atelier meines Freundes. Entrückt aus ihrem Zuhause wirken die Personen auf andere Art besonders."

Wolfgang Tillmans als Vorbild

Während das einzelne Foto in einem langsamen Prozess entsteht, benötigt Fendt für ihre Sitzungen insgesamt sehr wenig Zeit. Im Falle von Peaches waren die Aufnahmen nach 30 Minuten im Kasten. Vorgespräche führt sie nur selten, meistens ergeben sich die gezeigten die Situationen spontan. "Gerade während meiner Zeit als Magazinfotografin bei 'Spex', 'Intro', 'Groove' und 'De:Bug' habe ich gelernt, in kürzester Zeit ein Gespür für die Menschen zu bekommen, die ich fotografiere", erklärt sie.

Ihr Vorbild sei dabei der Fotograf Wolfgang Tillmans, der Fendt unterrichtete. Er habe ihr einmal gesagt, dass er Künstlerinnen und Künstler nicht verstünde, die durch technischen Aufwand "eine Barriere zwischen sich und ihrem Modell" aufbauten. Wohl auch deshalb verzichtet sie weitgehend auf eine digitale Nachbearbeitung der Fotografien. Ihre Arbeiten summieren sich zu einem feministischen Manifest aus Bild und Text. Ein solches kann niemals vollendet werden. Fendt plant jedoch, die Serie fortzuführen – und den Blick auf ein gerechteres Morgen zu wagen, wie sie es sich vorstellt.