Skandalumwittert: In Venedig verhebt sich Kurator Francesco an seiner steilen These zur italienischen Gegenwartskunst

Selten dürfte eine Ausstellung schon Wochen vor der Eröffnung so viel Ärger ausgelöst haben wie „Italics. Italienische Kunst zwischen Tradition und Revolution 1968–2008“. Kurator Francesco Bonami hatte lautstark angekündigt, er wolle erkunden, „welche Wege die italienische Gegenwartskunst hätten nehmen können, wenn sie statt eines kleinen Packs von Konformisten auch autonome Individuen beachtet hätte“. Seine Attacke galt der Arte  povera der 70er-Jahre und der Transavanguardia der 80er-Jahre. Laut Bonami verdeckten diese „Cliquen“ die wahre Bandbreite italienischer Gegenwartskunst.
 

Vermutlich war es nicht gerade geschickt, dass Bonami die heiligen Kühe der italienischen Nachkriegskunst ausgerechnet im Palazzo Grassi des französischen Milliardärs François Pinault schlachten wollte. Kunsthistoriker warfen Francesco Bonami Revisionismus vor, auch hieß es, Bonami räche sich dafür, dass er es einst als junger Künstler in Italien nicht sehr weit brachte. Bonami feuerte zurück und beleidigte die Kritikerkoryphäen
Germano Celant und Achille Bonito Oliva. Dann wollte der in Griechenland geborene Jannis Kounellis, einer der Hauptvertreter der Arte povera, seine Arbeiten aus der Ausstellung zurückziehen. Als Bonami nicht reagierte, schaltete Kounellis seine Anwälte ein. Die Presse trat den Streit wochenlang breit, bis Bonami schließlich kapitulierte. Statt 106 Künstlern zeigt „Italics“ nun rund 250 Werke von „nur“ 105 Künstlern.
 

So groß wie der Aufruhr ist diese Ausstellung dann nicht. Wie erwartet, lässt „Italics“ die bekannten Strömungen weitgehend außer Acht und folgt einem etwas wirren Parcours abseits (kunst-) historischer Linien. Unbekanntes wird Bekanntem an die Seite gestellt, Jüngeres trifft auf Älteres, in der Wirkung meist wenig konfrontativ, kaum mit Informationen aufbereitet, oft geradezu beliebig. Manchmal aber geht das auch gut: Etwa, wenn Fabrizio Clericis Labyrinthgemälde aus dem Jahr 1983 auf eine verwinkelte Skulptur von Giuseppe Uncini von 1968 trifft. Auch sind einige der Videos echte Entdeckungen, etwa der Film des 29-jährigen Domenico Manganos über seinen fettleibigen Onkel. Oder Ugo Nespolos Beuys-Hommage „Ein Supermann“ (1975–76), in der der Künstler den Kopf seines Vorbildes penetriert.
Eine Überblickschau, wie der Titel erwarten lässt, ist diese Ausstellung sicher nicht geworden. Mit 1968 setzt „Italics“ an einem symbolträchtigen Datum ein – doch leider fehlt die historische oder gesellschaftliche Einbettung der Kunstwerke völlig. Aus jedem Zusammenhang gerissen, wirken die Gemälde eines Salvo und eines Domenico Gnoli genauso wie Fabrizio Clericis Ruinenbilder aus den späten 70er-Jahren schlicht kitschig. Und die Malerei des als Shootingstar gefeierten Pietro Roccasalva ist grausiger Francis-Bacon-Rip-off.
 

Die hitzige Diskussion, die Francesco Bonami entfacht hat, ist angesichts der zunehmenden Marginalität der italienischen Gegenwartskunst allerdings trotzdem überfällig. Zu sehr klammerte man sich in den vergangenen Jahrzehnten an die Tradition, selbst der Bau moderner Kunstmuseen wurde verschlafen, und viele der jüngeren Künstler wurden erst im Ausland berühmt. Doch da „Italics“ sich nicht einmal die Mühe macht, Einzelpositionen – etwa der zeitgenössischen Kunst – zu kontextualisieren und so allgemeinere Strömungen aufzuzeigen, steht man am Ende ein bisschen ratlos da. Gut, dass Bonami Staub aufgewirbelt hat. Aber die jüngere Kunstgeschichte Italiens wird wohl doch nicht gänzlich umgeschrieben werden müssen.