Der Markusplatz in Venedig gehört den Tauben und den Touristen, die hier in Horden und kurzen Hosen den Campanile fotografieren. Die Bebauung, die den Platz auf drei Seiten rahmt, wirkt homogen. Die Procuratie Vecchie auf der Nordseite ist nun zu einem Kunstort geworden.
Die "Alten Prokuratien" waren etwa 500 Jahre lang für die Öffentlichkeit unzugänglich. Das Gebäude mit dem Stadtbild-prägenden Arkadengang war einst Sitz der venezianischen Baubehörde. Es wurde von Bartolomeo Buon im 16. Jahrhundert in seine heutige Form gebracht. Mit der Eröffnung des San Marco Art Center (SMAC) ist das Publikum eingeladen, die vom britischen Star-Architekten David Chipperfield renovierten Räume zu erleben. Die beiden Eröffnungsausstellung setzen einen hohen Maßstab. Die Enfilade aus 16 Galerien in dem langen Gebäude-Riegel liegen entlang eines 80 Meter langen Korridors.
Auf mehr als 1000 Quadratmetern Fläche sollen jährlich zwei bis vier Ausstellungen im SMAC zu sehen sein: Das Museum bietet 58 Fenster mit Blick auf die Piazza San Marco. Chipperfield hat - wie zuvor beim Umbau des Neuen Museums in Berlin - erneut gezeigt, wie man einen Altbau lesbar um zeitgenössische Zutaten ergänzen kann. So hat er die Wände mit hellgrauem venezianischem Marmorino verkleidet. Die Böden bestehen aus weißem Terrazzo. In einigen Galerien blieben die Deckenbalken aus der Renaissance sichtbar.
Pioniere der modernen Gestaltung
Chipperfield hat neue Verbindungswege, Aufzüge, barrierefreie Zugänge und eine Dachterrasse eingefügt, ohne den repetitiven Charakter des Gebäudes zu sehr zu stören. Die Einbauten erhielten Kalkspachtel-Oberflächen, die hellen Böden und Treppen Cocciopesto (Luftkalkmörtel) und Pastellone, einen Kalk-Estrich. Die Idee, die Zeitschichten zu überlagern und zu ergänzen, anstatt sie zu verkleistern, passt gut in die Stadt von Carlo Scarpa, dessen weltberühmter Olivetti-Showroom direkt neben dem neuen Eingang zum SMAC liegt.
Von dort führt der Weg zu den beiden Ausstellungen, die sich aus Anlass der 19. Architekturbiennale auf zwei Pioniere der modernen Gestaltung konzentrieren. Das Eröffnungsprogramm ist dem australischen Architekten Harry Seidler und der koreanischen Landschaftsarchitektin Jung Youngsun gewidmet. Das SMAC finanziert sich nach Angaben des Hauses aus eigenen Mitteln (Eintrittskarten, Partner und Sponsoren). Es hat keine Sammlung und realisiert sein Programm zusammen mit anderen Institutionen. Die Eröffnungsausstellungen wurden mit der Universität Sydney und dem Nationalmuseum für Kunst in Seoul (MMCA) organisiert.
Die "Migration der Moderne" genannte Schau über Harry Seidler ist die erste große Retrospektive des austro-australischen Modernisten. Sie zeichnet den Lebensweg des Architekten nach – von Wien über England und Kanada in die USA und Brasilien nach down under.
Das kulturelle Gedächtnis pflegen
In Venedig liegt der Schwerpunkt nun auf den Künstlern, mit denen Seidler zusammengearbeitet hat - wie Alexander Calder, Frank Stella und Sol LeWitt. Die Gestaltung der australischen Botschaft in Paris ist von der Kunst von Josef Albers beeinflusst. Seidlers bauliches Fachwissen kombinierte er mit zeitlosem bildhauerischem Gespür. Für ihn war "Mode der Feind der Architektur".
Von der Seidler-Ausstellung sind es nur wenige Schritte in die zweite sehenswerte Präsentation, die die Arbeit von Jung Youngsun vorstellt, der bekanntesten koreanischen Landschaftsarchitektin. Die Schau beleuchtet exemplarisch, wie Jung ein Industrieareal in einen Park verwandelt hat, wie beim Seonyudo-Park in Seoul. Bei der Gestaltung wird deutlich, dass es bei ihrer Arbeit - wie bei Chipperfields Umbau der Procuratie Vechhie - darum geht, ein "kulturelles Gedächtnis" zu pflegen.