Etwas Lebendiges ist in den Ausstellungsraum eingezogen. Olivenbaum und Fächerahorn haben ihre Blätter auf den roten Teppich geworfen, den ihnen der Künstler Asad Raza in der historischen Villa des heutigen Museums Giersch der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ausgelegt hat; Nadelbäume bleiben auch im White Cube immergrün. Neben Kuratorin, Assistenzen und Haustechnikern sind auch caretaker auf einer großen Tafel als Beteiligte der Ausstellung vermerkt. Neun sind es an der Zahl, die darüber wachen, dass es den insgesamt 26 Bäumen während der Dauer der Schau "Solastalgie" so gut wie möglich geht.
Asad Raza ist bekannt dafür, Ausstellungsräume ganz konkret und nicht nur als symbolische Behauptung zu verwandeln – durch riesige Erdhaufen, Pflanzen, den umgeleiteten Main (wie vor einigen Jahren im Frankfurter Portikus) oder auch mal als Tennisplatz. Wobei, symbolisch bleibt das Bild, das sich einem hier bietet, natürlich trotzdem. Das macht seine Arbeit gerade in diesem Kontext so gut: "Root sequence. Mother tongue", die Neuauflage einer Installation aus dem Jahr 2017, erscheint als Vexierbild zwischen repräsentierter und tatsächlicher Natur, quasi simultan, genau wie die Landschaften drumherum heute größtenteils kultiviert und gestaltet sind.
Dazu passt der spezifische Geruch, der hier täglich als Teil der Installation versprüht wird und der den Eindruck einer Outdoor-Erfahrung noch verstärkt. Überhaupt halten olfaktorische Moleküle seit einigen Jahren verstärkt Einzug in den Ausstellungsraum, manchmal als Zaubertrick, manchmal künstlerisch subversiver.
Verlustschmerz über eine radikal veränderte Umwelt
"Solastalgie. Spaziergänge durch veränderte Landschaften" heißt die Präsentation, die aktuell am Schaumainkai im Museum Giersch zu sehen ist. Sie beruft sich auf das gleichnamige Phänomen, das der australische Philosoph Glenn A. Albrecht 2003 definiert hat: Eine Art Trauer oder Verlustschmerz über eine radikal veränderte Umwelt, in der man weiterhin zu Hause ist. Je (ökonomisch) abhängiger ein Mensch von seiner unmittelbaren Lebensumgebung, umso potenziell stärker das Leiden, lautet eine These.
Man könnte auch Wehmut darin erkennen, allerdings keine Nostalgie. Es geht nach Albrechts Definition nicht um Verklärung einer länger zurückliegenden Vergangenheit, sondern um eine individuell selbst erlebte, merkliche Veränderung – hier beispielhaft aufgegriffen im Klimawandel oder Naturkatastrophen wie der Flut im Ahrtal.
Auf drei Etagen stehen sich nun Bilder der Sammlung Giersch und neuere künstlerische Arbeiten gegenüber. Asad Razas Baum-Installation nimmt das gesamte Erdgeschoss ein. An der Decke leuchten rötlich-violette Lampen für optimale Wuchsbedingungen.
Der direkte Abgleich vor dem Fenster
Mitten in den künstlich angelegten Interieur-Forst wurden weitere Landschaften gehängt: Der Stadtwald, das Mainufer an der Gerbermühle, der Garten des benachbarten Liebieghauses, den Jakob Nussbaum 1922 im Winter festgehalten hat. Schnee, Blüten, Obstbaumwiesen. Fast ausschließlich lokale Ansichten aus der Sammlung Giersch gibt es hier zu entdecken, die ihren Schwerpunkt in der Kunst dieser Umgebung hatte – nicht nur von Frankfurter Künstlern, sondern auch von denen, die auf der Durchreise hier gemalt haben.
Vieles kennt man, wenig schaut heute noch so aus. Ein Blick aus den frei geräumten Fenstern ermöglicht den direkten Abgleich mit einigen Ansichten.
Dass die radikalsten Umwälzungen derzeit freilich anderswo stattfinden, zeigt eine Videoarbeit des Kollektivs Unknown Fields, die mit versteckter Kamera in einer chinesischen Mine in der Inneren Mongolei gefilmt wurde. Hier befindet sich die größte Raffinerie zur Gewinnung seltener Erden, die überall auf der Welt heiß begehrt sind.
Wohin also mit der Sehnsucht?
Widersprüche werden in der Schau nicht unbedingt aufgelöst. Manche Kunst liegt nah an einer Haltung, wie sie schon Documenta-13-Direktorin Carolyn Christov-Bakargiev formulierte. Diese sieht den Menschen als einen Akteur unter vielen, neben beispielsweise Pflanzen. Dagegen stellt die ukrainische Künstlerin Ilana Harperin mit ihren Aquarell-Miniaturen von geologischen Gesteinsschichten zu handgeschriebenen Notizen über das Massaker von Butscha beinahe beiläufig, aber unmissverständlich das einzelne menschliche Leben heraus, ohne das die schönste Landschaft nichts wäre.
Eine empfundene Machtlosigkeit gegenüber dem Wandel verbindet unterschiedliche Arbeiten und ist wohl auch Kern der Solastalgie. Wohin also mit der Sehnsucht nach unveränderbarer Umgebung? Die Kunstwelt ist voll mit Ausstellungen davon; im Museum Giersch werden den statischen Bildern gerade einige ablaufende Landschaften in Echtzeit gegenübergestellt.