Malerin Sophie Esslinger

"Ich träume von einem Bild ohne Anfang und Ende"

Sophie Esslinger macht keine Kompromisse, wenn es um ihr Medium geht. Warum sie sich als Malerin definiert, welche Rolle die Literatur für ihre Bildsprache spielt und was sie an monumentalen Formaten reizt, erzählt sie hier

Sophie Esslinger, eines Ihrer Bilder ist 33 Meter lang. Was reizt Sie an großen Formaten?

Es braucht eine besondere Vorstellungskraft. Eine Inspiration dafür ist für mich der Künstler Martin Diesel, der in nur vier Nächten ein 140-Meter-Bild gemalt hat. Diese extreme Verausgabung hat ein zeitloses Werk geschaffen. Spannend finde ich auch, dass sich die Bedeutung des Werks noch einmal vom Entstehungsprozess löst – sie ist nicht unbedingt an die Momente des Malens geknüpft. Zugleich habe ich den Traum vom Bild ohne Anfang und Ende.

Was bedeutet das: Bilder ohne Anfang und Ende?

Für mich ist es vor allem eine malerische Haltung. Sie zeigt sich in großen Bildern, die ganze Räume einnehmen, aber auch darin, dass Bilder, die ich male, meine nächsten Werke beeinflussen und sie so miteinander verbunden sind. Aber ich habe auch den Traum, sehr monumental zu malen. Ich habe eine gewisse Respektlosigkeit vor dem Material - ich habe keine Angst vor der weißen Leinwand, egal wie groß sie ist, und arbeite immer ohne Skizze. 

Wie gehen Sie dabei vor, besonders bei großflächigen Werken?

Im Malprozess ist der malerische Instinkt sehr wichtig, es braucht ihn für das Zusammenspiel aus überlegten Kompositionen, Ideen und dem Arbeitsfluss. Denn ich finde, dass ein Bild formal funktionieren muss und Farbe nicht nur ein Effekt sein darf.

In Ihrem Werk tauchen immer wieder bestimmte Formen auf. Haben Sie eine Lieblingsform? 

Gerade ist es die Träne – oder zumindest der Tropfen. Es ist eine allegorische Form, mein liebstes Piktogramm. Der Tropfen ist spannend, weil er gleichzeitig rund und spitz ist. Außerdem gibt es dazu vielfältige Referenzen. Der Tropfen wird an Körperlichkeit geknüpft, er ist vergänglich. Die poetische Aufladung der Form ist riesig, das interessiert mich. 

Wie beschreiben Sie Ihre Bildsprache selbst? 

Ich habe ein formales Repertoire, aber die Zusammensetzung ist immer wieder anders. Ich schöpfe aus Formen zwischen Landschaft und Körper und dem Spektrum der Allegorien, unter anderem von Himmel und Hölle, Tag und Nacht, Innen - und Außenwelt. Dabei geht es auch immer wieder um Übergänge: Was ist noch etwas Erkennbares? Wo beginnt und wo endet eine Form? 

Was gehört grundlegend zu Ihrem formalen Repertoire?

Spannend finde ich Formen, die auf das Malen selbst hinweisen, Augen zum Beispiel. Und Hände als Werkzeuge der Malerei. Auch Sterne interessieren mich: von ihrem popkulturellen Bezug über das Sphärische. Ganz anders sind Kreise, eine Grundform, um die wohl kein Maler und keine Malerin herumkommt. Kreise können für so viel stehen: von schwarzen Löchern über die Sonne als Lichtquelle, die fürs Malen essenziell ist. Meine Malerei changiert zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Körper und Landschaft, es fließt alles ineinander.

Wie wichtig sind die Referenzen an die Malerei in Ihrem Werkt?

Es ist ein wichtiger Teil meiner Bilder. Ich sage auch nie, dass ich Künstlerin bin, sondern bezeichne mich als Malerin. 

Wieso?

Das kam in meiner Zeit vor der Kunstakademie Düsseldorf, als ich noch in Wien studierte. Dort gibt es eine große Überschneidung von Medien, also viel transmediale Arbeiten. Meine Kunst ist nur die Malerei. Also nenne ich mich, der Gattung verbunden, Malerin.

Was macht Ihre Verbindung zur Malerei aus?

Das Ausdrücken meiner Bildsprache, das Oszillieren zwischen Innen- und Außenwelt. Hinter meinen großformatigen Werken, die von Panoramabildern inspiriert sind, steckt auch die Idee, mich körperlich für die Malerei zu verausgaben und einen malerischen Raum zu erschaffen, in den der Betrachter oder die Betrachterin hineingehen kann und dann ganz in dem Gemälde steht.

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, unser Verhältnis zu Bildern zu verändern. Wirkt es sich schon auf Ihre Kunst aus? 

In meinem Atelier spielt KI keine Rolle.

Denken Sie, bildgenerierende KI wird die Malerei verändern? 

Ich glaube, dass der Akt des Malens nicht durch Technologie ersetzt werden kann. Dafür ist die Malerei zu stark. Die Malerei ist über die Zeit schon immer wieder mal totgesagt worden. Aber sie ist immer noch da.

Bevor Sie zur Malerei kamen, haben Sie Literaturwissenschaft studiert. Hat das einen Einfluss auf Ihr Werk?

Mein erster Bezugspunkt zur Kunst war die Literatur. Schrift und Zeichnung sind auch durch eine bestimmte Analogie verbunden. Das war der Ausgangspunkt. Auch Titel spielen bei mir eine große Rolle, die Ebene von Poesie ist in meinen Werken immer enthalten. Besonders Bühnentexte und Lyrik inspirieren mich. Außerdem arbeite ich gerne mit Verfremdung – auch ein Mittel, das im epischen Theater oft auftaucht.

Aus einem dramatischen Text stammt auch der Titel ihrer aktuellen Ausstellung bei Contemporary Fine Arts in Berlin. "Tox Indigo" heißt sie.

Tox Indigo ist eine Figur aus dem Stück "Schwebebalken des Nebelschneiders" von Georg Timber-Trattnig. Mit dem Autor bin ich groß geworden. Trotz seines kurzen Lebens hat er ein beeindruckende Stücke hinterlassen. Tox Indigo ist eine der drei Hauptfiguren des Stücks, aber es wird nie klar, ob er eigentlich ein halluzinierter Dämon ist, der eine Figur spiegelt, oder eine wirkliche Person.

Wie ist diese Geschichte mit Ihrem Werk verknüpft?

Meine Farbwahl ist von Künstlichkeit geprägt. In der Gegenüberstellung von Farben wie Schwarz und Gelb und den starken Kontrasten lässt sich eine gewisse Toxizität finden. Die Frage Indigo verwende ich auch gerne – und ich mag das Spiel mit der Sprache.

Wie finden Sie Ihre Titel?

In meinem Atelier liegen Blätter mit Wortlisten, die ich am liebsten mit Tusche schreibe. Darauf sammle ich einzelne Begriffe oder Phrasen, die mir unterkommen. Mal finde ich sie in Texten, mal begegnen sie mir popkulturell, mal höre ich sie im Alltag. Und manchmal recherchiere ich auch gezielt. Sie finden dann zu den Bildern.

Gibt es einen Begriff, der Sie gerade besonders umtreibt?

"Séance" – das war auch der Titel meiner Abschlussarbeit an der Kunstakademie. Das Wort steht für Seelenreisen oder spirituelle Sitzungen. Ich verstehe den Begriff aber nicht spirituell, sondern vor allem in dem Kontext, über eine Schwelle zu gehen. Auf mein Kunstwerk bezogen heißt das: ganz in das Bild und die allegorische Welt einzutreten.