Souverän durch schwere See

 

Die zerfetzten Flügelchen lose auf Armen und Schultern verteilt, das ruhige Gesicht zum Boden gewandt. Konnte man da ein Lächeln erkennen? Fast schon ironisch lag Stephan Balkenhols gigantischer Bronze-„Ikarus“ Ende April vor dem schicken, neuen Eingangsportal der Art Cologne.
Wer könnte den gefallenen Himmelsstürmer nicht als Symbol sehen, als Symbol für jene Kunstmarktkrise, die seit mehr als einem halben Jahr erwartet, diagnostiziert und diskutiert wird? Aber als Wahrzeichen für einen Kunstmarkt, der an seiner Hybris gescheitert ist, taugte er dann doch nicht: Nach vier Messetagen hatte die Galerie Löhrl aus Mönchengladbach die Skulptur für solide 450 000 Euro verkauft.
Schreiben wir wirklich das Krisenjahr 2009? Sollte es nicht das Jahr der Rekord­einbußen für Galeristen sein, das Jahr, in dem bis zu zwei Drittel aller Berliner Galerien Insolvenz anmelden müssen und weltweit Messen eingehen, das Jahr, in dem so gut wie keine junge Kunst mehr verkauft wird, sondern allenfalls ein paar Klassiker?
Denn in den lichten Hallen der zuletzt schwächelnden Kölner Messe war trotz der veränderten ökonomischen Bedingungen Euphorie zu spüren – genauso wie bei der zeitgleich stattfindenden Artbrussels und dem Berliner Gallery Weekend eine knappe Woche später. Das lag nicht nur an der neuen künstlerischen Leitung durch den amerikanischen Galeristen Daniel Hug. Der hatte das Messeprogramm auf 184 Galerien reduziert, die qualitativ hochwertige Kojen präsentierten. Außerdem hatte er eine klare Trennung zwischen der Modernesektion und der für zeitgenössische Kunst eingeführt. Die positive Stimmung lag vor allem an Sammlern, die den mitteleuropäischen Synergieeffekt für eine Tour zwischen Köln, Brüssel und Berlin nutzten. Don und Mera Rubell waren darunter oder Anita und Poju Zabludowicz, Christian Boros, Harald Falckenberg sowie Art-Consultants wie Thea Westreich.
Selbst strategisch der Krise angepasste Pläne erwiesen sich vor diesem Hintergrund als unnötig. „Zurzeit ist alles mit einem großen Fragezeichen versehen“, sagte Clemens Fahnemann noch zu Beginn der Art Cologne. „Den großen Imi Knoebel haben wir eigentlich nur mitgenommen, um zu zeigen, dass wir ihn haben.“ Aber am vorletzten Messetag hatte ein Sammler das drei mal drei Meter große Neon-Aluminiumstreben-Bild für 150 000 Euro erstanden.Doch was bedeuten die guten bis sehr guten Ergebnissen, von denen Galeristen aus Köln, Brüssel und Berlin berichten? Ist die Krise an uns vorbeigezogen? Auch wenn man sicherlich anders mit Discounts umging, Dumpingpreise waren wegen der Krisensituation keine zu finden. Matthias Arndt von Arndt & Partner, eine der 38 Galerien, die das Berliner Gallery Weekend organisierten, berichtet etwa: „Auch kommerziell wurden meine kühnsten Erwartungen übertroffen.“ Den Erfolg erklärt sich Arndt mit „einer fast 15-jährigen Aufbauarbeit, die das Vertrauen der professionellen Besucher und Käufer gestärkt hat“.
Aber auch wenn man die positive Stimmung genießt, kaum jemand macht sich etwas vor. Die Galeristen erwarten die Talsohle der Krise erst am Ende des Jahres. Die Art Basel im Juni wird ein Gradmesser sein. Niemand kann wirklich abschätzen, wie sich der Kunstmarkt in den nächsten Monaten entwickeln wird.
Ein Grund für die erfreulichen Ergebnisse war natürlich die hohe Qualität der ausgestellten Werke. Arndt & Partner zeigte beim Gallery Weekend unter anderem neue Zeichnungen von Ralf Ziervogel. Auch ansonsten glich das Programm in Berlin stellenweise einer Minibiennale. Richard Artschwager war bei Sprüth Magers zu sehen. Georg Herold bei Contemporary Fine Arts und Carsten Höller bei Esther Schipper. Klosterfelde bot einen kompletten Kalender der gerade verstorbenen Hanne Darboven an. Daniel Buchholz zeigte Filme und Gemälde von Jack Goldstein.
Die Galerien, die in Köln erfolgreich verkauften, boten ebenfalls ein exzellentes Programm. Und alle haben in der Vergangenheit auf Museen und traditionelle Privatsammler gesetzt, die nicht so stark den zyklischen Bewegungen des Finanzmarktes unterliegen – anders als etwa die New Yorker Galerien, die ihre Werke an den Wall-Street-Banker bringen konnten. Man schaute genau hin, an wen man verkauft, und gab langjährigen Klienten oft den Vorzug gegenüber dem einen oder anderen Investmentbanker. Über Jahre eine Beziehung zu guten Sammlern zu pflegen scheint durchaus auch über die stürmischen Gewässer einer Weltwirtschaftskrise hinwegzuhelfen. Oder zumindest dafür zu sorgen, dass das Schiff nicht untergeht.