Im Westjordanland steht ein 4500 Jahre alter Olivenbaum. Umgerechnet sind das etwa 60 Menschenleben – 60 Generationen, die von ihren Ahnen lernen, Wissen weitergeben, Riten übernehmen. Welten entstehen und vergehen, während der Baum wächst. Die Menschen nennen ihn Al-Badawi, der Beduine. Ein stiller Beobachter, der nichts vergisst und jedes Jahr ein bisschen dicker wird.
Rund 800.000 palästinensische Olivenbäume wurden seit 1967 von israelischen Behörden und Siedlern zerstört – der Grund, warum der fast 5000-jährige Al-Badawi den Fotografen Adam Broomberg und Rafael Gonzales 2023 für Porträts "Modell stand". Die beiden haben sich die Dokumentation der noch existierenden Olivenbäume im Westjordanland zur Aufgabe gemacht - Zeugen einer Kultur, die bleibt, auch wenn ihr vieles genommen wurde.
Dem stillen Al-Badawi zum Kontrast ist auf einer großen Leinwand die Performance von Andrea De Siena, Emily Jacir und Luca Rossi zu sehen – und vor allem zu hören. In "Wherever you sow rain, the grain grows" simulieren Palästinenserinnen und Palästinenser, von traditionellen Tänzen inspiriert und von Kastagnetten und Gesang unterstützt, den Prozess der Saat und Ernte. Die Bewegungen sind ein Ritus, sie werden von Generation zu Generation weitergegeben.
Antwort durch die Kunst
Zwei Werke, eine Frage: Wie kann Kultur trotz gewaltvoller Zerstörung in Landschaft, Menschen und Traditionen weiterbestehen? Die Spore Initiative in Berlin-Neukölln widmet dieser Frage ein dreiteiliges Ausstellungsprogramm und ist damit einer der wenigen Orte in der Berliner Kulturlandschaft, die vor dem Hintergrund der polarisierten Debatte um den Krieg in Gaza palästinensischen Stimmen gerade einen Raum geben.
Der erste Teil der Reihe trägt den Titel "Kapitel 1: Land, Erinnerung und die Rhythmen des Überlebens". Künstlerinnen und Künstler, Kollektive und Partner aus dem südlichen Westjordanland bringen ihre Perspektiven mit – über Alltag, Land, Widerstand und Weitergabe von Kulturerbe.
Ihre Antwort durch die Kunst: Archivieren und Dokumentieren - ob durch Fotografie, Tanz und Klang, in Skulpturen, Büchern oder Bildern. "Kapitel 1" zeigt Arbeiten zwischen Verwurzelung und Bewegung, Verwüstung und Regeneration. Der Ausstellungsraum ist klein, seine Fragen groß - mit Antworten, bei denen sich das Zuhören lohnt.