Neue Stadtkuratorin in Hamburg

Mit Aby Warburg nach den Sternen greifen

Ein halbes Jahrhundert war sie verschollen, dann entdeckte ein Student eine Aby-Warburg-Ausstellung in den vergessenen Räumen des Hamburger Planetariums wieder. Nun wird sie unter Stadtkuratorin Joanna Warsza zu neuem Leben erweckt

Es ist eine außergewöhnliche Ausstellungs-Preview, die dem ebenso außergewöhnlichen Konzept mehr als angemessen ist: Mitten im Hamburger Stadtpark, vor dem monolithisch in den heute freundlich-wechselhaften Hamburger Himmel ragenden Planetarium, beginnt das Treffen mit Hamburgs Stadtkuratorin Joanna Warsza

Speziell ist durchaus auch Warszas Funktion in der Hansestadt. Seit Oktober 2024 soll die gebürtige Polin, die zuletzt einen Kunstparcours am Gropius Bau Berlin und den polnischen Pavillon der 59. Biennale in Venedig verantwortet hat, die Kunst im öffentlichen Raum weiterentwickeln. Und das für eine Stadt, die zuletzt durch ihre Abriss-Politik denkmalgeschützer Gebäude innerhalb der eigenen Kunstszene kaum punkten konnte. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont der Kulturpolitik?

Es soll sich jedenfalls vieles ändern. Von der renommierten Persönlichkeit Joanna Warsza erhofft sich der Kultursenator Carsten Brosda (SPD), dass sie neue Impulse mitbringt. Kein laues Lüftchen, vielmehr eine steife Brise, wie sie in Hamburg üblich ist, umweht nun die kleine Truppe rund um die Stadtkuratorin, die sich vor dem ab 1912 gebauten Wasserturm, der seit 1930 das Planetarium beherbergt, formiert. An den Schulklassen vorbei, die vor dem Eingang drängeln, geht es durch die Lobby und dann hoch hinauf.

Ausstellungsraum in luftiger Höhe

Rund 40 Meter über dem Boden öffnet sich schließlich eine schwere Metalltür hinein in eine schummrige Welt jenseits des Bekannten. Denn anders lässt sich die Atmosphäre des 22 Meter hohen Raumes, der direkt unter dem ehemaligen Wassertank liegt, nicht beschreiben. Leicht elliptisch angelegt, erstreckt er sich über 20 Meter im Durchmesser, umfasst wird er von monumentalen Rundbögen. 

Bis heute befindet sich der Kesselsaal im Originalzustand, sprich: Rohbau mit erhöhtem Staubaufkommen. Kein White Cube, keine ausgefeilte Beleuchtung und maximal 50 Besucherinnen und Besucher zugleich. Dass der Raum überhaupt als Ausstellungsort genutzt werden darf, verdankt sich einer behördlichen Sondergenehmigung.

An diesem historischen Ort findet nun die Auftaktveranstaltung des Programms statt, mit dem Joanna Warsza den Hamburgerinnen und Hamburgern Kunst näherbringen möchte. "Schirmherr" dieses Anfangs ist kein Geringerer als Aby Warburg (1866-1929). Mit seinen Überlegungen rüttelte der jüdische Bankierssohn die Kunstgeschichte ordentlich auf. Bildwerke sah er als grundsätzlich gleichwertig an, egal ob Ölgemälde, Briefmarke oder Tarotkarte.

Die Beziehung der Menschheit zum Kosmos

Für die Eröffnung des Planetariums im Jahr 1930 konzipierte Warburg gemeinsam mit Gertrude Bing und Fritz Saxl ein Ausstellungskonzept mit dem leider sperrigen Titel "Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde". Ausgangspunkt war die Beziehung der Menschheit zum Kosmos. Warum haben wir das dringliche Bedürfnis, zum Himmel zu schauen? Inwieweit kann der Sternenhimmel uns Orientierungspunkte im Leben geben – navigatorisch wie spirituell? 

Astronomie und Astrologie fließen gleichermaßen in Warburgs Bildersammlung ein, die er in 66 Bildtafeln präsentieren wollte. Noch vor der Eröffnung verstirbt er jedoch 1929. Kurze Zeit später, im Jahr der Bücherverbrennungen 1934, wird sein Nachlass vor dem faschistischen deutschen Regime nach London gerettet, wo er im Warburg Institute bis heute ein Zuhause hat. 

Die Ausstellung im Planetarium ist, so betont Warsza, "das einzige materielle Erbe Warburgs, das in Hamburg verblieb". Nur, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg scheinbar spurlos verschwand. Niemand konnte sich erinnern, niemand hatte etwas gesehen. Erst Mitte der 1980er-Jahre liest der Student Uwe Fleckner, heute Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg, über das Projekt und beginnt, Fragen zu stellen.

Bildtafeln auf einem Haufen Sperrmüll

Als Praktikant des Planetariums macht er schließlich 1987 eine folgenreiche Entdeckung. Ausgestattet mit sämtlichen Schlüsseln findet er im Kesselsaal, also ebenda, wo wir auch jetzt stehen, die Bildtafeln – gestapelt auf einem Haufen Sperrmüll, Ziel: Entsorgung. 

In den 1990ern präsentiert er Teile dieses Fundes in einer Ausstellung, publiziert sogar einen Katalog. Erst jetzt, ab dem 21. Juni 2025, werden der Öffentlichkeit jedoch alle Bildtafeln präsentiert - inklusive einer Frischekur durch den Dialog mit zeitgenössischen Positionen. "Nachdem dieser Ort für 100 Jahre geschlossen war, machen wir ihn während der Ausstellung wieder zu einem öffentlichen Raum", stellt Joanna Warsza fest und ergänzt: "Für mich als Stadtkuratorin ist es nicht nur großartig, Hamburg ein kunsthistorisches Erbe zu präsentieren, sondern auch, diesen Ort den Menschen zugänglich zu machen. Selbst, wenn man nichts mit Kunst zu tun hat, kann man aus diesem Erlebnis etwas für sich mitnehmen". 

Warsza will jedoch nicht nur in der Geschichte verharren. "Es ist wichtig, das Erbe Warburgs nicht zu fetischisieren, sondern es vielmehr in einen zeitgenössischen Diskurs zu bringen. Worauf bauen wir unser Wertesystem auf? Wie orientieren wir uns in unserem Leben? Am Ende geht es genau darum. Denn: Warum kommen so viele Leute ins Planetarium? Es lässt uns träumen."

Viel über die eigene Stadt lernen

Mit Aussagen wie diesen zeigt sich Joanna Warsza offen, zugewandt, nahbar. Den Weg, den sie mit Ausstellungen wie "Radical Playgrounds" vergangenes Jahr in Berlin eingeschlagen hat, geht sie in Hamburg offenbar weiter. Experimentierfreude ohne Berührungsängste und eine durchdringende Neugier tragen sie in der Stadt an der Elbe an Orte, die selbst alteingesessene Hamburgerinnen und Hamburger nicht auf dem Zettel haben oder geflissentlich übersehen. 

Folgt man dem Instagram-Account der Stadtkuratorin und ihres Teams, kann man viel über die eigene Stadt lernen. Parallel tauchte Warsza seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2024 auf gefühlt unzähligen Veranstaltungen auf, bekundete durch ihre Anwesenheit Interesse an der lokalen Szene und bringt gleichzeitig internationale Künstlerinnen und Künstler in die Stadt an der Elbe. 

Die Ausstellung "Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde" ist, ganz im Sinne Warburgs, kein solitäres Einzelstück. Joanna Warsza bettet sie in ein Beziehungsgefüge von Projekten ein, vereint unter dem Motto "From the Cosmos to the Commons" - vom All zum Allgemeingut. Als Raster von Fragestellungen werden die Stationen - wie Sterne? - den Stadtraum überziehen. Der Stadtpark, das Kunsthaus sowie das Warburg-Haus sind Teil der ersten Phase.