Startup-Museum in Vilnius

Museumsreife Disruption

In Vilnius hat das weltweit erste Startup-Museum eröffnet. Hier erblüht der Hype um eine Unternehmenskultur, die sich andernorts zunehmend Kritik ausgesetzt sieht

"In Vilnius lieben wir Startups so sehr, dass wir ihnen ein ganzes Museum gewidmet haben", erklärt ein euphorischer Wandtext den Besucherinnen und Besuchern des Startup Museum Vilnius, das kürzlich in der litauischen Hauptstadt eröffnete. Zwölf junge litauische Unternehmen dürfen hier ihre Erfolgsgeschichte nacherzählen, jährlich sollen vier neue hinzukommen. Verantwortlich für das in den Räumlichkeiten des Coworking-Spaces Talent Garden angesiedelte Museum ist die Stadtentwicklungs-Agentur Go Vilnius. Deren erklärtes Ziel ist es, neue Gründer anzulocken und das Startup-Ökosystem jener Stadt zu festigen, in der mit Vinted (in Deutschland bekannt als Kleiderkreisel) das erste Unicorn-Startup Litauens gegründet wurde.

Über die Maßnahmen, die von der Gemeinde Vilnius hierzu ergriffen werden, erteilt das Museum ebenfalls Auskunft. So sollen ein Online-basiertes Turbo-Geschäftsanmeldungs-Verfahren und ein spezielles Startup-Visum Vilnius als Standort für junge Unternehmen attraktiver machen. Zudem vertritt die Stadt eine Open Data Policy, die es Unternehmen ermöglicht, auf Daten aus dem Finanz-, Immobilien- und Transport-Sektor zurückzugreifen. Hiervon profitieren aktuell bereits die App CityBee, mit der sich Autos, Fahrräder und Scooter mieten lassen, und das Startup Trafi, das es Verkehrsunternehmen ermöglicht, zentralisiert Mobility-Services anzubieten.

Trafi unterstützt unter anderem das Ridesharing-Unternehmen Lyft dabei, öffentliche Verkehrsmittel in seine vorgeschlagenen Routen einzubeziehen und entwarf gemeinsam mit den Berliner Verkehrsbetrieben die App Jelbi, die zentrale Auskunft über das gesamte Angebot der BVG sowie verschiedenen Car-, Bike-, Roller- und E-Scooter-Sharing-Services erteilt und eine Buchung ohne das Wechseln zwischen verschiedenen Apps erlaubt.

Im Panda-Kostüm zum Bewerbungsgespräch

Mit seiner Stadtentwicklungs-Mission ist das Startup-Museum Vilnius von dem tradierten Bildungsanstalts-Gedanken des Museums ähnlich weit entfernt wie das Museum of Ice Cream. Aber ebenso, wie das pastellfarbene Selfie-Paradies mit seinen Regenbogen-Streusel-Pools, bunten Neonlichtern und zuckergussrosa Wänden materielles Zeugnis einer distinkten Instagram-optimierten Ästhetik der späten 2010er Jahre erteilt, leistet auch das Startup-Museum kulturelle Konservierungsarbeit. Es stellt ein für das  Unternehmensmodell Startup charakteristisches Selbstverständnis aus. Startups, das sind junge Unternehmen mit geringem Startkapital, innovativer Idee und hohem Wachstumspotenzial. Aber der wirtschaftshistorisch relativ neue Begriff steht eben auch für eine distinkte Form der Unternehmenskultur, die in Vilnius deutlich zu Tage tritt.

Gezeigt werden hier beispielsweise Objekte, die ein für die Startup-Branche typisches started-from-the-bottom-Narrativ bedienen: der Eimer, der im ersten Büro des 3D-Modell-Startups CGTrade das aus einem Leck in der Decke tropfende Wasser auffing; die Packung Erdnussbutter, die sich die Gründer der Unterhaltungs-Webseite Bored Panda von ihrem ersten Gehalt kauften. Der Weg zum Erfolg wird in bewusst aneckender "Hustle-Lingo" ("get shit done absolutely right") nacherzählt. Die unkonventionell lockere Arbeitsatmosphäre vergegenständlicht sich in Exponaten wie dem Panda-Kostüm, in dem ein Mitarbeiter der Unterhaltungs-Plattform Bored Panda zum Bewerbungsgespräch erschien oder den mit QR-Codes versehenen Craft Beer-Flaschen, mit denen das IT-Startup Tesonet bei einer Recruiting-Veranstaltung um neue Team-Mitglieder warb.

Teambuilding in  der Disco

Mittlerweile hat Tesonet 800 Mitarbeiter. Vier Flugzeuge brauchte es vergangenes Jahr, um die Mitarbeiter des Unternehmens anlässlich der alljährlichen Workation in die Türkei zu transportieren: Einhorn-Schwimmring im Pool, Laptops auf der Sonnenliege und Teambuilding in der Ferienclub-Diskothek. Startup-Strategien wie das Hochhalten des Gründungsmythos, die Professionalisierung des Feierabends und das Verwischen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sollen eine starke Identifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Unternehmen erzeugen. Schnell können jene Taktiken, die auch in etablierteren Unternehmen der New Economy Anwendung finden, aber zu Instrumenten ausbeuterischer Vereinnahmung werden.

Noch bedenklicher sind die Praktiken vieler Startups im Hinblick auf Dienstleister. In der App-basierten Gig Economy wird Disruption in vielen Fällen mit Deregulierung gleichgesetzt: Mobility-Unternehmen wie Lime und Uber oder Liederdienst-Anbieter wie Deliveroo und Instacart nutzen das Schlupfloch der formalen Selbstständigkeit, um Personen ohne Arbeitsschutz und zu geringem Lohn zu beschäftigen. In einem Artikel für "The New Republic" beschreibt Lia Russell mit treffenden Bildern die realitätgewordene Startup-Dystopie Kaliforniens: Uber-Fahrer übernachten in ihren von Enterprise gemieteten Autos, Berge an E-Scootern türmen sich am Rand der von Ridesharing-Autos verstopften Straßen.

Hoodieträger als Heilsbringer

Ähnliche Töne schlug kürzlich Derek Thompson in einem Text für den "Atlantic" an. Er konstatiert: der blinde Glaube an die Innovationskraft der Silicon Valley hat sich als Irrtum herausgestellt, die Allokation von Fördergeldern und Humanressourcen in jungen Tech-Unternehmen hat weniger zu bahnbrechenden Innovationen geführt als vielmehr zu einer Erosion der sozialen Infrastruktur amerikanischer Großstädte. Thompson verweist unter anderem auf das Coworking-Unternehmen WeWork. Deren Gründer Adam Newmann versprach, Arbeitsräume zu revolutionieren, betrieb letztendlich aber vor allem Immobilienspekulation und bereicherte sich auf dubiose Weise am Gewinn seiner eigenen Firma. Für Thompson ist WeWork ein besonders drastisches Beispiel für eine Bandbreite an jungen amerikanischen Unternehmen, die etablierte profitable Strategien mit einem frischen Anstrich versehen und als Innovation verkaufen.

Unter den Museums-Startups sind spannende Unternehmen, denen man derartiges nicht unterstellen mag. Generell mag die Situation in Europa weniger drastisch sein als im Startup-Hub Silicon Valley, doch auch hier sorgen E-Scooter für öffentliches Ärgernis und auch hier wirken Unternehmen wie Airbnb als Gentrifizierungs-Beschleuniger. Die Musealisierung des schablonenhaft unangepassten Startup-Kultur geschieht zu einer Zeit, in der sich dieser Teil der Unternehmenswelt zunehmender Kritik ausgesetzt sieht - vielleicht ist sie gar ein Indiz für deren baldiges Abdanken. Es wäre wünschenswert, zeigen doch immer mehr Beispiele mit aller Deutlichkeit, dass man Business Punks in Hoodies genausowenig zu Heilsbringern stilisieren sollte wie Wallstreet-Broker in Anzügen.