Venedig-Biennale

Stimmen zur Künstlerin für den deutschen Pavillon

Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Künstlerin Natascha Sadr Haghighian alias Natascha Süder Happelmann mit Kuratorin Franciska Zólyom bei der Pressekonferenz am Mittwoch in Berlin

Die Wahl Natascha Sadr Haghighians alias Natascha Süder Happelmann für den deutschen Pavillon bei der Kunstbiennale Venedig 2019 hat alle überrascht. Wir haben Reaktionen von ehemaligen Pavillon-Kuratoren und Pressestimmen gesammelt

"Für mich sind das brillante Neuigkeiten für den deutschen Pavillon der La Biennale di Venezia", schreibt Nicolaus Schafhausen, der 2007 und 2009 den deutschen Pavillon kuratierte, in einem Statement für Monopol. "Die Wahl für Natascha Süder Happelmann ist eine sehr souveräne kuratorische Entscheidung, die unerwartet, aber mit analytischen Blick und radikaler Großzügigkeit auf eine Zeit getroffen wurde, in der sich der öffentliche Sprachgebrauch zunehmend verschiebt und Verantwortungen ausgelagert werden. Die Ankündigung ist auch ein intelligenter, mutiger und humorvoller Kommentar auf unsere Gegenwart, die zwischen Fake News und Identitätspolitik changiert. Die falsche Fährte und das Spiel mit der Maske macht sich die Logik und Rhetorik einer Aufmerksamkeitsökonomie zunutze. Gleichzeitig unterläuft die Entscheidung für Süder Happelman aber auch die Erwartungen, die aktuelle künstlerische Trends erzeugen könnten. Die vielen Facetten in Süder Happelmanns Praxis zeichnen sich für mich weniger durch Kontinuität, als durch immer neue Ausverhandlung von systemischen Bedingungen aus. Gerade die Ambivalenz und bewusste Verweigerung von Eindeutigkeit kann spannend werden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit auch und ob die aktuellen politischen Verschiebungen der kommenden Monate in die Arbeit für den deutschen Pavillon mit einbezogen werden und was hinter dem PR-Trick zum Vorschein kommt. Es ist mir auch ein großes Vergnügen, die vielen begeisterten Kommentare der deutsch-iranischen Communities in den Social Medias zu verfolgen; insofern bleibt die Kunstwelt wohl auch ein wenig real."

Bei "ARTnews" blickt Andrew Russeth auf die vergangenen Jahre zurück, Süder Happelmann habe große Erwartungen zu erfüllen: "Der deutsche Pavillon auf der Venedig-Biennale war die letzten Male ganz sicher nicht langweilig. 2017 brachte Anne Imhof den Goldenen Löwen für ihre aufregende Performance namens 'Faust' mit nach Hause. 2015 wurde Deutschland von einer Gruppe vertreten, zu der auch auch Hito Steyerl gehört und deren eindringliche Videoarbeit 'Factory of the Sun' ein Highlight des Jahres darstellte."

"Keine schlechte Künstlerin!", findet Julian Heyne, der 2003 und 2005 Kommissar des deutschen Pavillons war, in einem Statement für Monopol. "Klingt gut und nicht nach Hype. Aber der Test ist wie immer erst die Ausstellung."

Henri Neuendorf von "Artnet.News" zeigte sich bezüglich der Wahl skeptisch: "Nach Anne Imhofs Beitrag zur Venedig-Biennale 2017, der den Goldenen Löwen gewann, hat Deutschland Natascha Sadr Haghighian als Repräsentantin für 2019 ausgesucht. Die Wahl ist eine Überraschung, wenn man bedenkt, dass die recht unbekannte Künstlerin kaum institutionellen Rückhalt hat und ihr noch nie eine eigene Ausstellung in einem deutschen Museum gewidmet wurde."

Im "Deutschlandfunk Kultur" thematisierte Carsten Probst die Inszenierung der Künstlerin und sprach von der uralten "Methode der Verschleierung, der künstlerischen Camouflage, die hier ironisch nochmal aufgegriffen wird." Sie halte der öffentlichen Aufmerksamkeit für Kunst "den Spiegel vor, das Namedropping, die Fragen nach der kulturellen Identität, wenn es um den deutschen Pavillon geht. " Auf die Frage, wofür ihre Kunst stehe, sagt er: "Ich glaube, es ist vor allem der Anspruch der Zeitzeugenschaft der Kunst. Haghighian nutzt verschiedene Formen, um eine möglichst umfassende Zeitzeugenschaft herzustellen." Und weiter: "Wir haben es bei ihren Interventionen immer mit einer Geschichte aus dem öffentlichen Spektrum von Poilitik, Wirtschaft, Kultur zu tun. Aber es folgt keine künstlerische Position mit lauter Statements daraus, sondern eine Position mit zurückgenommenen, poetischen Zeichen, die stark auf die Beteiligung der Betrachterinnen und Betrachter setzt." Letztlich zeigte er sich optimistisch: "Es wurde am Ende der Pressekonferenz eine Fotoserie gezeigt, die die Künstlerin mit dieser ominösen Steinmaske an verschiedenen Orten – vermutlich in Deutschland – zeigt, wie sie eben als Zeitzeugin, als Beobachterin, als Zuhörerin, wie es hieß, alle möglichen Atmosphären aufnahm, und das nehme ich jetzt mal als Andeutung. Es scheint eine Recherche im Gang zu sein, deren Ergebnisse dann wahrscheinlich in Venedig in eine Installation in irgeneinem Sinn umgewandelt werden, oder in eine Performance."

Susanne Kaufmann vom "SWR" hinterfragt, wie sehr Haghighian selbst in den Strukturen steckt, die sie mit ihrer Performance anprangert, besonders in Bezug auf den Galeristen, der sie vertritt: "So ist das eben. Wen interessiert heute noch die Kunst? Was viel mehr zählt, sind äußere Parameter wie der Name der Galerie, die jemanden vertritt. Einer klugen, reflektierten Kuratorin wie Franciska Zólyom ist das zuwider. Doch auch Natascha Süder Happelmann wird selbstverständlich durch die richtige Galerie vertreten. An der Pressekonferenz im Berliner Zeughauskino nahm heute der Berliner Top-Galerist Johann König teil. Derjenige, der Haghighian - pardon: Süder Happelmann - vertritt. Heute schwieg sie, trug nur den riesigen Stein auf ihren Schultern."

Peter Richter von der "Süddeutschen Zeitung" zeigte sich leicht skeptisch. Die Maske, die die Künstlerin trug, und die wohl eine Felsen darstellen sollte, bezeichnete er als eine "Kartoffel aus Pappmaché". Er konzentrierte sich auf die Reaktionen des leicht verwirrten Publikums; Einige mussten offenbar an Loriot denken, andere fühlten sich wiederum "an die Band 'Residents' und ähnliche" erinnert, "die sich in der Popmusik bereits an dem Thema der Anonymität und der Masken abgearbeitet haben."  Viele "harte Fakten", habe es nicht gegeben, einen "Fun Fact" nannte er jedoch, dass sich auf der Liste der Unterstützer auch "'So geht sächsisch.' Die Kampagne des Freistaates Sachsen." fand.

Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr ist sehr optimistisch und geht auch nochmal auf die Rolle der Kuratorin Franciska Zólyom ein: "Bestimmt würde die in Ungarn geborene Zòlyom auf die politischen Verwerfungen in Ostdeutschland reagieren, bestimmt würde sie ein Zeichen setzen und einen Künstler oder eine Künstlerin mit migrantischem Hintergrund wählen, vermuteten viele – und schon bevor es passiert war, fand man es zu plakativ. Natürlich hat Zólyom – während sie nach ihrer Ernennung höflich auf die immer gleichen Fragen antwortete, warum sie eigentlich so gut deutsch kann und was sie von der politischen Situation in Ungarn so hält – über genau diese Erwartungen und Projektionen nachgedacht. Und kommt jetzt gemeinsam mit der von ihr ausgewählten Künstlerin mit einem großartigen Coup um die Ecke: Natascha Süder Happelmann."