Der Satz "die Welt brennt" fällt in letzter Zeit häufiger. Meistens bezieht er sich auf die politische Lage. In Venedig ist er, zumindest temperaturtechnisch, dieser Tage jedoch absolut wörtlich zu verstehen. Auffallend viele Beiträge der Länderpavillons der diesjährigen 19. Architekturbiennale beschäftigen sich mit dem Thema Überhitzung - und damit, was man dagegen tun kann. Obwohl es an den Eröffnungstagen eher regnerisch zuging, darf man sich davon nicht täuschen oder gar beruhigen lassen. Dass die Hitzehölle eben nicht eintritt, dafür will der Beitrag des deutschen Pavillons unter dem Titel "Stresstest" sorgen.
Das Team besteht aus Nicola Borgmann, Elisabeth Endres, Gabriele G. Kiefer und Daniele Santucci. Sie alle haben Erfahrung in verschiedenen Bereichen der Architektur. So ist Kiefer Landschaftsarchitektin oder Endres Professorin für Gebäudetechnologie und Bauklimatik.
Auch einen Kardiologen haben sie sich dazu geholt. Er erzählt von den weltweit 61.000 Hitzetoten im Sommer 2022. 8000 davon starben allein in Deutschland. Laut dem Pavillon-Team muss das keine höhere Gewalt sein, die schulterzuckend hinzunehmen ist. Diese Toten wären zu vermeiden gewesen; auch mit den Mitteln der Architektur.
Ein Pavillon-Raum als Tortur
Besonders schutzlos sind der Hitze die sogenannten vulnerablen Gruppen ausgesetzt: Alte, Kinder, Schwangere, Obdachlose. Die Bedrohung durch den Klimawandel ist also absolut nicht abstrakt oder etwas, das uns erst in ein paar Jahren oder gar Jahrzehnten betreffen wird. Deswegen ist das, was der "Stresstest" dieses Jahr in Venedig zeigt, auch keine Forschung zum Wohnen oder Bauen der Zukunft, sondern vielmehr Basisarbeit am Verständnis für die Dringlichkeit der Intervention.
Um das plastisch erfahrbar zu machen, hat man im rechten Seitenraum des Pavillons Wärmestrahler und Wärmebildkameras installiert, auf denen man sehen kann, wie rot der eigene Kopf ist und wie die Hitze nur langsam den Boden erreicht. Obwohl sich die Heizung an einem verregneten Tag eher angenehm anfühlt, kann man sich vorstellen, dass dieser Raum zur Tortur wird, wenn man die Biennale im August besucht. Der dramatische Effekt bleibt Anfang Mai jedoch eher aus.
Die vermeintliche Erlösung findet man im linken Raum: Dort stehen ausgewachsene Hainbuchen, dazwischen Gartenstühle, und es ist angenehm kühl. Die Blätter rascheln leicht im Wind, und der Lärm der Besucher dringt nur leise durch die dicken Mauern des Pavillons. Man erfährt also das Problem: Hitze. Und bekommt die Lösung sofort serviert: Bäume. So einfach wie genial; zum ersten Mal hört man das nicht.
Alles ist in Hitzeinseln verwandelt
Zwischen diesen beiden Polen läuft eindrucksvoll über die gesamte Länge der Wände ein Video, das zeigt, wie die Hitze in allen europäischen Städten zunimmt. Berlin, Frankfurt am Main, Madrid, Athen. Man sieht graue, versiegelte Metropolen, die plötzlich von einem Temperaturbild überzogen werden, und kaum irgendwo leuchtet noch ein grüner, erträglicher Fleck. Alles ist in orange und rote Hitzeinseln verwandelt.
Zwischendurch wird Berichterstattung über die neuen Rekordtemperaturen eingeblendet - 48,8 Grad in Sizilien, 40 Grad in Deutschland, 42 Grad in Athen -, und die angespannten Stimmen der Nachrichtensprecher verdichten sich zu einem Chor des Schreckens. Über allem schmettert Maria Callas. Wer bis hierhin noch nicht verstanden hat, dass den Machern des Pavillons ihre Sache ernst ist, der weiß es spätestens jetzt. Was der deutsche Beitrag tut, ist, die Ausgangslage zu illustrieren, auf deren Grundlage andere Nationen auf der Biennale Lösungen erarbeiten. Das könnte man als wenig visionär, als didaktisch und redundant abtun.
Dabei muss man sich doch fragen, ob es wirklich noch mehr Lösungen braucht, wie man begrünen und klimatisch neutraler bauen kann. Schaut man sich um, gibt es genug kluge, mutige, leicht umzusetzende Ideen und Vorschläge.
Was fehlt, ist der Wille zur Umsetzung
Was jedoch fehlt, ist ein gesellschaftlicher und letztendlich politischer Wille zur Umsetzung. Und so fragt man sich, ob der ganze Pavillon nicht vielleicht als großer Appell an die neue Bauministerin Verena Hubertz (SPD) gedacht war, deren Staatssekretärin Sabine Poschmann sich blicken ließ und ein paar Worte sagte. Es ist zu hoffen, dass sie wiederum sehr gut zugehört hat, was das kuratorische Team zu sagen hatte und sich kundige Beraterinnen in Sachen Begrünung und Hitzemanagement in ihr Ministerium holt.
Dem Fachpublikum erzählt "Stresstest" nichts Neues, und wie viele fachfremde Besucherinnen die Biennale wirklich hat, ist fraglich. Das Konzept hat dem deutschen Pavillon auch keinen Goldenen Löwen eingebracht. Den hat das Königreich Bahrain mit einem Kühlungssystem für öffentliche Plätze gewonnen, das der Architekt Andrea Faragona hochästhetisch in den Hallen des Arsenale umgesetzt hat.
Der deutsche Pavillon beweist allerdings eindrücklich, dass selbst die besten Ideen nichts bringen, wenn sie nicht angenommen werden, und dass die eigentliche Arbeit an einer kühleren Zukunft in erster Instanz eher wenig mit Architektur zu tun hat, wie wir sie bislang verstehen. Vielmehr braucht es ein gesamtgesellschaftliches Umdenken. Und vielleicht ist das die wichtigste Botschaft dieser Architekturbiennale.