Bürgerschaftliches Engagement in der Kultur

Die Freiwilligen sind der Sockel der Kunstwelt

Kunstvereine leben vorrangig von bürgerschaftlichem Engagement, auch der hier zu sehende Kunstverein Braunschweig
Foto: Frank Sperling

Kunstvereine leben vorrangig von bürgerschaftlichem Engagement, auch der hier zu sehende Kunstverein Braunschweig in der Villa Salve Hospes

In Berlin wurde eine Studie zum bürgerschaftlichen Engagement in der Kultur vorgestellt. Sie unterstreicht, wie wichtig Freiwillige für die Branche sind - und zeigt das Spannungsverhältnis zwischen Ermächtigung und Selbstausbeutung

"Nachwuchsmangel, Mitgliederschwund und finanzielle Unsicherheiten" nennt Olaf Zimmermann als Bedrohungen des "freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements", einer der "tragenden Säulen der deutschen Kulturlandschaft". Hat man den ersten Schrecken überwunden, den der wortmächtige Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats da verursacht hat, muss man konstatieren: Diese Bedrohungen gibt es immer und überall. Und kein Engagement, sei es für einen Kunstverein oder die Freiwillige Feuerwehr, dauert ewig und ist überhaupt selbstverständlich. Um einen Überblick zu bekommen, hat die Berliner Maecenata Stiftung im Auftrag und per Finanzierung der Kulturstiftung der Länder die Studie "Zivilgesellschaftliches Engagement – Ein Lagebericht" erarbeitet, die nun in Berlin vorgestellt wurde.

"Ohne die freiwillige Unterstützung zahlreicher Engagierter", heißt es in dem Bericht, "wäre die Vielfalt des kulturellen Angebots – von Museen, Sammlungen und Bibliotheken bis hin zu Kinos, Theatern und soziokulturellen Zentren – in dieser Breite und Tiefe nicht denkbar. Diese Tätigkeiten reichen von der Organisation kultureller Veranstaltungen über ehrenamtliche Musik- und Bildungsangebote bis hin zur Förderung und Bewahrung von Kulturgütern." 

Und tatsächlich lässt sich eine deutliche Zunahme des Engagements über den Untersuchungszeitraum hinweg beobachten, also ungefähr seit dem Jahr 2000. Die Wachstumskurve flacht allerdings ab; für die Zukunft ist eher mit einer schleichenden Abnahme zu rechnen, sollte der Trend sich fortsetzen. Immer mehr Kulturorganisationen äußerten Schwierigkeiten in der Gewinnung von Nachwuchs, und Leitungsfunktionen ließen sich nur schwer besetzen, insbesondere "Schatzmeister" sei ein unbeliebter Posten. Der Grund liegt nicht zuletzt im Haftungsrisiko, das ein Vereinsvorstand eingeht. Jeder Vorständler haftet mit seinem privaten Vermögen für eventuelle Ausfälle und Schäden. Sich dagegen zu versichern, ist teuer.

Zunahme informeller Initiativen

Eine andere Beobachtung ist interessant und gilt für alle Bereiche: "Vereine stellen die häufigste Form des zivilgesellschaftlichen Engagements im kulturellen Bereich dar. Gleichzeitig zeigt sich auch eine Zunahme informellerer Initiativen, die oft spontan entstehen und weniger formale Strukturen aufweisen", wie es in der Studie heißt. Nicht jeder will – oder eben immer weniger wollen – förmlich einem Verein beitreten und Mitgliedsbeiträge entrichten, um sich dann gar in Ämter drängen zu lassen. 

Andererseits sind formale Strukturen nötig, wenn beispielsweise öffentliche Gelder für Projekte beantragt werden; davon können Kunstvereine und -initiativen ein Lied singen. Zu den in der Studie geschätzten 110.000 Einrichtungen zählen "Kunst- und Fördervereine, Kulturstiftungen sowie zahlreiche Initiativen und Projekte, die das kulturelle Leben bereichern und fördern". 

Für das Zahlenmaterial greifen die Macher insbesondere auf die "Zeitverwendungserhebung" des Statistischen Bundesamtes zurück. Diese basiert auf Befragungen von repräsentativen Stichprobengruppen. Danach üben mehr als ein Drittel aller Bundesbürger ab zehn Jahren (!) eine ehrenamtliche Tätigkeit aus. Nach Kirche, Sozialem und Sport steht Kultur mit knapp 16 Prozent aller Befragten an vierter Stelle. Dieser Prozentsatz ist nahezu geschlechtsneutral, anders als bei den vorgenannten Bereichen. Im Kulturbereich sind Männer und Frauen gleichermaßen engagiert.

Viel Engagement im Rentenalter 

Altersmäßig allerdings besteht ein deutlicher Überhang der früheren Jahrgänge: Ein Drittel der Kulturmenschen sind zwischen 45 und 65 Jahre alt, ein weiteres knappes Drittel über 65, also im Rentenalter. Dort auch dürfte der Anteil an Singles weit überproportional sein. Auf die Funktion des Engagements als Kompensation für Alterseinsamkeit wurde bei der Vorstellung der Studie nur dezent hingewiesen, dabei dürfte sie bedeutend sein und tendenziell immer weiter zunehmen. 

Und tatsächlich: Einzelpersonen und Paare ohne Kinder machen 60 Prozent der Engagierten aus, was im Umkehrschluss auch bedeutet, dass Familien mit Kindern nicht die Zeit haben, nebenbei auch noch in Kultureinrichtungen aktiv zu sein. Dass 42 Prozent der Befragten über einen Hochschulabschluss oder ein vergleichbares Bildungsniveau verfügen, entspricht dem sozialen Level beim Konsum von Kultur insgesamt.

Bemerkenswert ist das Stadt-Land-Gefälle. Mehr Menschen im "ländlichen Raum" sind engagiert als in den Städten. Dort, wo es an öffentlichem Angebot mangelt, ist die Bereitschaft zum Engagement größer. Bei der Vorstellung der Studie wurde sogleich gemahnt, das private Engagement dürfe nicht als Substitution staatlicher Tätigkeit missbraucht werden. Das klingt vorderhand plausibel, etwa wenn auf den Anteil privaten Engagements zur Offenhaltung von kommunalen Bibliotheken verwiesen wird. Andererseits kann man die bürgerschaftliche Tätigkeit auch als Empowerment verstehen, als Selbsthilfe. Warum nicht Stadtteilbüchereien mit privatem Engagement betreiben, statt lamentierend der Schließung von Einrichtungen zuzusehen?

Kaum mehr als eine Randerscheinung 

Und wo die Verbreitung und Wahrnehmung von Gegenwartskunst wäre, wenn es nicht das dichte Netz von Kunstvereinen jeglicher Größe gäbe, und dies in Kommunen jeglicher Größenordnung, mag man sich nicht ausmalen. Ohne das private Engagement, sei es zeitlicher oder finanzieller Natur, wäre insbesondere die Bildende Kunst hierzulande kaum mehr als eine Randerscheinung.

"Die derzeitige Datenlage zum zivilgesellschaftlichen kulturellen Engagement in Deutschland ist unzureichend", geben die Studien-Autoren zu bedenken. Da bleibt also Raum für weitere Forschung. Gegen Bezahlung, versteht sich, und nicht etwa qua freiwilliger Arbeit.