Der englische Begriff costume jewelry trägt weit mehr Glamour in sich als seine deutsche Entsprechung: Modeschmuck. Doch verhüllen beide Bezeichnungen den grundsätzlich vortäuschenden Charakter jener Objekte. Denn hier ist nichts, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber genau darum geht es ja: Der im Produkt- und Möbeldesign verbreitete hohe Anspruch nach "ehrlichen" Materialien wird hier einfach ausgehebelt. Die vordergründige Funktion dieser falschen Klunker: Show!
Man will betören und verzaubern – und das auf möglichst eindrucksvolle, aber sparsame Weise. Denn als echte Hochkaräter wären die Steine unbezahlbar. Im Taschen-Bildband "Costume Jewelry" werden nun fast 600 besondere Stücke opulent und farbenprächtig präsentiert. Das Lustige dabei: Die Person, die diese Schätze zusammengetragen hat, steht nicht im Verdacht, arm zu sein und sich womöglich keinen echten Schmuck leisten zu können.
Die Italienerin Patrizia Sandretto Re Rebaudengo ist Gründerin und Präsidentin der gleichnamigen Familienstiftung mit eigenem Museum und einer Sammlung zeitgenössischer Kunst, die sich sehen lassen kann. Wer Arbeiten von Maurizio Cattelan, Sarah Lucas, Cindy Sherman, Rudolf Stingel oder Rosemarie Trockel besitzt, muss sich eigentlich keine Sorgen um den Preis einer Halskette machen. Es geht hier also nicht um Geld, sondern um den ganz eigenen Charme dieses Schmucks – ganz gleich, was sie ökonomisch wert sind.
Die Wiederentdeckung des Kenneth Jay Lane
Nebenbei lädt dieses Buch dazu ein, den US-amerikanischen Designer Kenneth Jay Lane (1932-2017) wiederzuentdecken. Der hat zwar seit den 1960er-Jahren Entwürfe für Berühmtheiten wie Jackie Onassis Kennedy, Elizabeth Taylor oder Prinzessin Diana angefertigt und eine Autobiografie mit dem Titel "Faking it" herausgebracht. Ein household name ist er in Europa trotzdem nicht geworden.
Selbstbewusst schreibt Lane in "Faking it": "Modeschmuck zu tragen, ist, wie Glaspantoffeln zu tragen – man kann sich fühlen, als ginge man zum Ball, selbst wenn man nicht hingeht." So wird es also mit costume jewelry im Handumdrehen möglich, nicht nur anderen, sondern auch sich selbst etwas vorzumachen. Eine Haltung, die wunderbar in die Truman-Capote-Verfilmung "Frühstück bei Tiffany" passte.
In einer der berühmtesten Szenen trägt Audrey Hepburn ein riesiges glitzerndes Diadem und eine herrlich übertrieben wirkende Perlenkette – beides Entwürfe des jungen Kenneth Jay Lane. Eine bessere Werbung kann man sich am Anfang einer Karriere als Schmuckdesigner kaum vorstellen.
Hier gibt es sie noch, die Fantasie
Doch auch in anderen Kapiteln des Buchs kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Sie tragen Überschriften wie "Fruit Salad", "Heads and Masks", "Tropical" oder "Jelly Bellies". Hier deutet sich schon an, dass auf dem Gebiet so ziemlich alles möglich ist, was funkelt und frappiert: kunstvolle Kraken, golden glitzernde Hummer, leuchtende Maiskolben und perlenbestückte Erbsenschoten. Und natürlich alles Blumige und Pflanzliche, das entfernt an echte Blüten und Blätterformen erinnert – daher wohl auch die Bezeichnung "Phantasy Jewelry".
Hier gibt es sie also noch, die gute alte Fantasie, die sich in der Natur - und wenn es sein muss, auch im alten Ägypten - bedienen darf, die Märchenbücher und Zirkuswelt zitiert, mit visuellen Effekten jongliert und so tut, als hätte es die Errungenschaften des Minimalismus und der "guten Form" im Design nie gegeben. Doch eines ist klar: Jeglicher Kitsch und jeder falsche Tand kann ironisch gebrochen werden und wunderbar sympathisch sein. Alles, was es dazu braucht, ist ein echtes Lächeln.