Zwischen Film und Kunst: Ausstellung in Berlin

Testfahrt für den Taxi Driver

Außen. Tag. Eine Frau sitzt mit qualmender Zigarette vor einem leeren Schulhof. Aus der Schule dringt ein Kinderchor. Hinter dem Rücken der Blondine, lautlos, versammelt sich eine Schar Krähen auf einem Klettergerüst. Momente später explodiert die schwarze Wolke aus Federn, Krallen und Schnäbeln, um sich auf ein Dutzend flüchtende Kinder zu stürzen.

Szenen wie diese aus „Die Vögel“ haben sich im kollektiven Bewusstsein festgekrallt – und viele bildende Künstler beeinflusst. Solche Sequenzen fallen nicht vom Himmel, sie müssen minutiös geplant werden. Alfred Hitchcock, besonders er wurde von der Angst vor Improvisation am Set gepiesackt, ließ komplizierte Einstellungsfolgen auf Skizzenpapier vorzeichnen. Mal mehr, mal weniger ausführlich legen Storyboards, auch „optische Drehbücher“ genannt, Bildausschnitte und Perspektiven fest, sie skizzieren Schauspielerpositionen und Kostüme, enthalten handgeschriebene Regieanweisungen, vermitteln ein Gefühl für Kamerafahrten wie Montagerhythmen.

Manche Regisseure kritzeln selbst Kullerköpfe und pistolenbewehrte Patschhände aufs Papier, etwa Martin Scorsese für seinen „Taxi Driver“. Andere arbeiten mit Storyboard-Artists, deren Erzeugnisse sich oft mit hochkarätiger Zeichenkunst messen können. Zu nennen sind Saul Bass, der sowohl die Duschszene als auch den abstrakten Vorspann von „Psycho“ erfand, und Dean Tavoularis, von dem die opulenten Vorzeichnungen für „Apocalypse Now“ stammen. Inspiriert wurde er von dem US-Realisten Leon Golub, der mit Gemälden gegen den Vietnamkrieg protestierte.

Die Offenheit der Storyboardzeichner gegenüber Einflüssen der bildenden Kunst zählt zu den besonders spannenden Aspekten der Ausstellung „Zwischen Film und Kunst. Storyboards von Hitchcock bis Spielberg“. In der gemeinsam von der Kunsthalle Emden und der Deutschen Kinemathek entwickelten Schau wird gezeigt, was nach der letzten Klappe in Studioarchiven verschwindet. Wieder zutage gefördert, wird die spontane Zeichnung zum Missing Link zwischen ursprünglicher Idee und perfekt (oder zu Tode) choreografiertem Filmgeschehen. Martin Scorsese hat erzählt, dass er bei Dreharbeiten auf seine Originalskizzen zurückgreift: „Wenn das Storyboard fotokopiert wird, geht etwas verloren.“

Erstmals in dieser Breite sind in der von Emden nach Berlin gewanderten Ausstellung Einblicke in die Entwurfsstadien von Filmen wie „Spartacus“, „Der Schakal“ oder „Jäger des verlorenen Schatzes“ möglich. Überraschungen inklusive: Wie eng sich nämlich George Lucas in seinem „Star Wars“-Zyklus an der japanischen Bildkultur bis hin zu Mangas orientierte, begreift man erst, wenn man die Storyboards sieht: Ursprünglich wollte Lucas die Rolle des Obi-Wan Kenobi – die schließlich Alec Guinness spielte – sogar mit dem berühmten Japaner Toshiro Mifune besetzen.

Erhellend auch die Gegenüberstellungen der „Star Wars“-Zeichnungen mit Zweikampfskizzen von Hokusai: Lanze trifft Laserschwert. Fehlen nur noch die zu Miniaturgemälden aufgewerteten Entwürfe des Regisseurs (und leidenschaftlichen Malers) Akira Kurosawa, die bis Juni im Museo ABC in Madrid zu sehen waren.

Dass bildende Kunst das Kino beeinflusst und umgekehrt, liegt auf der Hand. So lebt die Ikonografie klassischer Gemälde in Filmen weiter. Künstler wie Johannes Kahrs malen Filmstills. Das Wechselverhältnis speziell von Storyboards und Kunst nach
zuweisen ist schon schwieriger. Die in beiden Museen stattfindende Zuordnung von Kunstwerken zu Storyboards hat den Reiz des Assoziativen und ist in den seltensten Fällen wirklich belegbar.

Natürlich passt das Motiv monströs vergrößerter Augen bei Max Ernst zu Salvador Dalís Entwürfen für Traumsequenzen bei Hitchcock („Ich kämpfe um dich“). Die Projektionsarbeit „Criminal Eye“ von Tony Oursler scheint im selben Kontext durchaus weit hergeholt. Kühne Idee: ein „Concetto spaziale“ von Lucio Fontana mit Skizzen für David Finchers „Panic Room“ zusammenzubringen, in denen die Kamera durch ein gezacktes Schlüsselloch in den dahinter liegenden Raum dringt. Und Paul McCarthys provokante Reflexe auf Walt Disneys niedliche Schneewittchen-Welt machen sich wohl immer gut.

Mit Ralf Ziervogel und Marcel van Eeden wurden zwei Künstler gewonnen, die serielle Zeichnungen speziell für die Ausstellung entwickelt haben. Im Gegensatz zu sprunghaften Reihen wie „Celia“ oder „The Archaeologist“ deutet sich in van Eedens neuer, vierteiliger Arbeit tatsächlich ein Handlungsfluss an, man kann sich den Film noir dazu vorstellen. Der Niederländer zählt zu jenen Künstlern, die das Narrative – in der Moderne tabu – für die Kunst wiederentdeckt haben.

Nachdem die Museen in Emden und Berlin Pionierarbeitet geleistet haben, wäre eine eingehende Ausstellung zu Storyboards in der heutigen Kunst die logische Folge. Zu sehen wären etwa Vitek Marcinkiewicz’ szenische Zeichnungen nach dem Actionklassiker „French Connection“, die eine eigentümliche Dynamik entwickeln. Sequenzen aus Alexander Roobs „Bildroman“ gehörten dazu, ein aus chirurgisch präzisen Zeichnungen bestehendes, filmsprachlich operierendes Endlosprojekt.

Marco Poloni, noch ein potenzieller Ausstellungskandidat, entwickelt Foto-Text-Serien, die sich als Storyboard tarnen. Die aus 67 Fotos inklusive Regieanweisungen bestehende Serie „Displacement Island“ (2006) könnte von Migrantenschicksalen handeln, die sich auf einer Ferieninsel ereignen. Aber die Erzählung findet nicht statt, der Film wird nie gedreht. Sachen gibt’s, die sind fürs Kino zu heikel. Die Ausstellung in Emden und Berlin sensibilisiert für derartige Grauzonen – indem sie das aus den Schubladen holt, was Normalzuschauer nie zu sehen bekommen.

Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, 11. August bis 27. November