Theaster Gates im New Museum

Last und Verheißung

Was ist ein Museum und wer bestimmt, was darin zu sehen ist? Diese Fragen prägen die so beeindruckende wie überfällige Überblicksausstellung von Theaster Gates in New York

Ein Museum ist es streng genommen gar nicht, denn das New Museum sammelt nicht. Stattdessen definiert sich die New Yorker Institution als Zentrum für zeitgenössische Kunst und Ideen. Das Haus hat die Besonderheit, seine Besucherinnen und Besucher direkt in die Ausstellungen einzusaugen und irgendwann, einige Treppenstufen oder Aufzugfahrten später, mit Frage- oder Ausrufezeichen im Kopf wieder auszuspucken. So auch in "Young Lords and Their Traces", der ersten umfassenden Museumsausstellung auf amerikanischem Boden von Theaster Gates.

Darin entfaltet sich das Puzzle, aus dem das vielschichtige Werk des Bildhauers, Malers, Keramikers, Musikers, Sängers, Aktivisten und Urbanisten zusammengesetzt ist. Und erst nachdem alle Stockwerke des turmartigen Gebäudes durchlaufen sind, ergibt sich ein Gesamtbild von dem, was Theaster Gates interessiert und ausmacht, den künstlerischen und sozialpolitischen Themen und Anliegen, denen er sich seit über 20 Jahren widmet. Den Ausstellungstitel wählte Gates zu Ehren der aktivistischen Gruppe "Young Lords", die in seiner Heimatstadt Chicago in den 1960er-Jahren gegen Diskriminierung von Minderheiten kämpften, und wo auch er mit immer neuen Projekten in der Black Community wirkt.

In Deutschland sorgte Theaster Gates vor zehn Jahren mit seiner Aktion bei der Documenta 13 für Aufsehen, wo er das verfallende Hugenottenhaus in ein Community-Center zwischen Theater, Ausstellungsraum und Konzertbühne verwandelte und einen ganz besonderen Ort schuf. Gates engagiert sich seit Jahren aber auch als Sammler und Bewahrer von Archiven, die in Vergessenheit zu geraten drohen, besonders von Schwarzen Personen oder Institutionen. Die erste Etage der Ausstellung – eine strikte Reihenfolge gibt es nicht, aber irgendwo muss man ja anfangen – stellt diese Sammelleidenschaft, aber auch das Erinnern und Bewahren in den Mittelpunkt.

"Was ist das für ein Aufeinandertreffen?" 

Den ersten Raum dominiert ein riesiges Bücherregal mit über 4000 Titeln: Der Nachlass des Filmwissenschaftlers Robert Bird, der früh verstarb und ein Spezialist für sowjetischen Avantgarde-Film war, insbesondere für Andrej Tarkowski. Das skulpturale Regal wird begleitet von einem gerahmten Brief der Kunsthistorikerin Christina Kiaer, der Witwe Birds an ihren Mann, in dem sie Frage des "Warum" in Bezug auf den Sammeltrieb von Theaster Gates auf den Punkt bringt. "Du wirst dich fragen, und auch die Ausstellungsbesucher werden sich fragen: Was ist das für ein Aufeinandertreffen? Was macht meine Bibliothek der russischen Literatur, des Kinos und der Philosophie hier, inmitten des schwarzen ästhetischen Raums von Theaster? Ich denke, du kennst die Antwort: Es ist die Sorge um das Archiv und seine schwere Last an Geschichten und Wissen sowie seine Verheißung, die euch beide antreibt."

Um das Regal herum hat Gates seine Serie "Seven Songs for Black Chapel #1-7" gehängt, sieben mit silberner Teerpappe bespannte nahezu quadratische Platten, die noch im Sommer in seinem Serpentine Pavillon in London hingen. Darin setzt er seinem verstorbenen Vater ein Denkmal, der Dachdecker war. Das einfache Material, das Schutz vor Witterung und Isolierung bietet, wird hier zum wertvollen Objekt erhoben – ein schlichter aber prägnanter Kommentar dazu, wer bestimmt, welche Kunst – und welche Arbeit – von Wert ist und gewertschätzt wird.

Gates’ Beschäftigung mit Sammlungen und Erinnerung geht im nächsten kabinettartigen Raum weiter. In mehreren Vitrinen befinden sich wie Schätze präsentierte Objekte, Archivalien und Erinnerungen an bedeutende Personen aus seinem Leben, die in letzter Zeit verstorben sind – ein Glöckchen von Bell Hooks, von Virgil Abloh designte Sneaker, ein Keramikgefäß von Dave the Potter, einem Keramiker, der sein Handwerk als Sklave in South Carolina ausübte, dazu ein Gedichte und Texte von lebenden und toten Weggefährten wie Arthur Jafa, Marva Lee Pitchorf-Jolly oder Okwui Enwezor. An den Wänden hängen Leihgaben von Agnes Martin, Frank Stella und Sam Gillian.

Ton als Ur-Material, Artefakt und Schatz

Im nächsten Stock steht Gates als bildender Künstler im Mittelpunkt. Den großen Ausstellungsraum bestimmt eine Inszenierung von Figuren und Gefäßen aus schwarzer Keramik in unterschiedlichen Größen, allesamt Werke des Künstlers aus den letzten Jahren, hybride Objekte, die gleichzeitig frühzeitliche Gottheiten, Urnen oder Küchengeschirr sein könnten. Jedes Stück aus "Black Vessels for Young Lords and Their Spirits" ist für sich betrachtet Kunstwerk genug, doch als Armada im Raum entfalten die Keramiken eine besondere Wirkung. Ton als Ur-Material, Kulturerbe, Ritual, Tradition, Gebrauchsgegenstand, Artefakt, einfachstes Naturelement und wertvoller Schatz. All diese Gedanken hat Gates mit seinen Händen in die Objekte eingearbeitet.

Im Video "The Clay Sermon" von 2021 verortet Gates seine Arbeit mit Ton in seinem Gesamtwerk. Der Film beginnt als Dokumentation seiner Arbeit in einer Keramikwerkstatt in Montana, wo er ein Stipendium hatte, und in der verschneiten Winterlandschaft an der Drehscheibe große schwarze Gefäße töpfert. Untermalt wird seine Arbeit von Musik und Gesang – er selbst singt als Voice-Over einen Gospelsong. "Wenn ich einen Topf herstelle", sagte Gates 2021 in einem Interview, "Fühle ich mich wie mein konzeptuellstes, zeitgenössischstes Selbst". Die Arbeit mit Ton und alles, was historisch und kulturell daran hängt, wird hier in der Ausstellung zum tragenden Gerüst, das sein Werk auf allen Ebenen und in allen Räumen miteinander verbindet.

Im obersten Stockwerk steht der spirituelle Musiker und Community-Aktivist im Vordergrund. Fast schon sakral wirkt die Installation aus verschiedenen Holz- und Lichtobjekten, eine Kirchenglocke, die auf einem Holzpanel auf dem Boden steht, vervollständigt diesen Eindruck. Die Glocke rettete Gates aus einer Chicagoer Kirche, kurz bevor diese abgerissen wurde. Auch die Hammond-B3-Orgel und die an der Wand hängenden Leslie-Lautsprecher, die Gates als Soundinstallation mit dem Titel "A Heavenly Chord" inszeniert hat und die während der Laufzeit der Ausstellung jeden Samstag aktiviert wird, steht sinnbildlich für die Relikte Schwarzer Geschichte und Spiritualität in den USA.

Spürbare und spirituelle Räume

Bevor die Lautsprecher mit ihren charakteristischen Holzgehäusen von Jazz, Psychedelic und Pop Musik vereinnahmt wurden, waren sie seit den 1940er-Jahren in Kirchen der afroamerikanischen Communities populär. Gates inszeniert sie hier wie Minimal-Skulpturen an der Wand, was durch die flankierenden Holzarbeiten verstärkt wird.

Diese flachen Skulpturen schuf Gates aus alten Dielen aus dem Park Avenue Armory, einem ehemaligen Waffenarsenal aus dem 19. Jahrhundert, heute Kulturzentrum in der poshen Upper West Side, wo er 2019 das Black Artists Retreat veranstaltet und über 300 Schwarze Künstlerinnen und Künstler zu einem Festival-Thinktank einlud (ein Format, das er sonst jährlich in Chicago veranstaltet). In Komposition und Form beziehen die Holzarbeiten sich ganz direkt auf die "Black Paintings" von Frank Stella, die anders als die Kunst vieler Schwarzer Künstlerinnen und Künstler heute zu Ikonen der modernen Kunst gehören.

Theaster Gates schafft es, brennende Fragen zu Teilhabe, Geschichte, kultureller Aneignung und gesellschaftlichem Zusammenleben nicht nur anzusprechen, sondern auch zu leben und zu vermitteln. Das macht er nicht, in dem er anprangernd oder didaktisch den Zeigefinger erhebt, sondern, in dem er zutiefst spürbare und fast spirituelle Räume schafft, in denen sich diese Fragen zwar nicht abschließend klären lassen, aber etwas in Bewegung setzen, Gedanken aufwerfen, Perspektiven verschieben. Es war höchste Zeit für diese umfassende Würdigung.