Poster-Aktion gegen Krise

Rettendes Papier

Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans hat Künstlerinnen und Künstler eingeladen, Poster zu gestalten. Der Erlös der Editionen kommt Clubs, Kulturinitiativen und Publikationen zugute, die von der Corona-Krise bedroht sind

Ein echter Tillmans ist ein Traum für viele. Gold angeschienene Fensterbank mit Filterkaffee und Orangen, zerknackte Eierschale, feine Pflänzchen in Einweckgläsern und Plastikflaschen. Wer schon immer ein Stillleben des deutschen Fotografen besitzen wollte, hat nun doppelt Grund zum Investieren. Denn nicht nur das eigene Sammlerherz profitiert davon. Nach seiner Europawahl-Kampagne im letzten Jahr hat der Künstler mit seiner Stiftung Between Bridges die Aktion "2020Solidarity" gestartet.

Ursprünglich wollte Wolfgang Tillmans dem queeren Berliner Magazin "Siegessäule" eine Edition eines von ihm gestalteten Posters zum Druck anbieten, sodass die Redaktion ihre finanziellen Unterstützer belohnen konnte. Das Magazin selbst aber arbeitete schon an einer Crowdfunding-Plattform, und die Idee einer unlimitierten, aber zeitlich beschränkten Edition von Postern entstand. Mit denen sollen kulturelle Orte, die dringend auf Unterstützung angewiesen sind, es leichter haben, ihre Sponsoren zu vergüten. Oder überhaupt erst zum Spenden zu animieren. Innerhalb einer Woche entwickelte der Fotograf das Projekt "2020Solidarity": Über 50 Künstlerinnen und Künstler aus Tillmans' Freundeskreis stellen den in Not geratenen Organisationen je ein Kunstposter für Crowdfunding-Kampagnen zur Verfügung. Die Malerin Nicole Eisenman erinnert an das fern erscheinende Küssen in Bars, Betty Tompkins zeigt Berührung als mehr als eine Ansteckungsgefahr.

Eine ähnliche Menge Geld wie beim Ausgehen

"Es wäre schlimm, wenn wir die Hälfte der Orte verlieren würden, zu denen wir gerne gegangen sind", sagte der Künstler dem britischen "Guardian". Es sind 50 Euro, die man für ein Poster von Mark Leckey, Andreas Gursky, Marlene Dumas oder Klara Liden bezahlt, oder eben von Tillmans selbst. Zwei bauchige grüne Vasen und eine Postkarte mit Pflanzenprint im schwelgerischen Lichteinfall sind auf Tillmans' Poster zu sehen.

Kultur- und Musikorte, Sozialprojekte, unabhängige Räume und Publikationen, die ohne Hilfe den Corona-Stillstand nicht überleben würden, erhalten Zugang zu den Motiven. "Es ist ein Preis, der eine ernstzunehmende Spende darstellt, und eine ähnliche Menge Geld, die man vielleicht beim Ausgehen in einem dieser Orte ausgegeben hätte", so Tillmans. Die Produktion, das Drucken und Verteilen der Kunstposter wird von Between Bridges kostenlos übernommen. 

Viel mehr als Papier 

"Viele können jetzt kein Geld ausgeben. Aber die, die können, sollten das unbedingt tun", motiviert der Künstler. Und überhaupt, wann hat man das letzte Mal Geld für ein Poster in die Hand genommen? Vielleicht beim Kauf eines Jugendmagazins, in dessen Mitte die Stars der 00er-Jahre im DIN-A3 Format darauf warteten, vorsichtig aus den Heftklammern gelöst zu werden? Kunstpostern haftete leicht das Stigma des rein Dekorativen an, das Gefühl, nicht ganz das Echte zu sein.

Gerade jetzt werden Poster jedoch zu einem viel genutzten demokratischen Bindeglied zwischen Künstlern und ihrem Publikum. Auch andere Aktionen benutzen die erschwinglichen Papiereditionen, um Solidarität auszudrücken und Spenden zu generieren. Statt Exklusivität soll Kunst in dem Fall unkompliziert ein Zusammengehörigkeitsgefühl generieren.

Poster's back, alright!

Corona zwingt uns ins Zuhause, in dem uns digitaler Content im Überfluss geboten wird, und es doch alle zum gemütlichen, nostalgischen Zeitvertreib zieht - ein Puzzle, eine selbstgekochte Marmelade, oder ein handgeschriebenes Tagebuch. Gleiches kann auch beim Interieur gelten. Zusteuernd auf eine ungewisse Zukunft, während alles sicher geglaubte plötzlich schwankt, spendet ein flimmerndes Kunstwerk, das durch ein kurzes Scrollen verschwindet, wenig Trost. Man möchte mit dem Finger drüber fahren können, ihm jeden Tag auf dem Weg zum Bad begegnen und es als das Eigene wissen.

Vor Kurzem wurde Gartenerde gehortet, auffallend viele Einkäufer tragen Schnittblumen nach Hause, man will etwas berühren können und sich im wahrsten Sinne des Wortes erden. "Was verloren ist, ist für immer verloren", heißt es auf einem von Tillmans' Postern für seine Anti-Brexit-Kampagne, und diese Angst gilt auch jetzt. Also greifen wir zurück auf das, von dem wir wissen, dass es uns besänftigt und bleibt. Die Poster, die mit Orten verknüpft sind, die das Leben in der Stadt geprägt haben, sind eine Verbindung nach außen. Ein kleines Stück Stabilität, sorgfältig an der Wand festgepinnt.