Digitale Liebe

Die unerwartete Heirat mit einem Kaninchen

In der Liebe und im Internet ist alles erlaubt. Oder verlieren wir bei Dating-Apps und digitalen Experimenten nur den Kontakt zu uns selbst? Eine Suche nach Antworten in der Ausstellung "Futures of Love" - hinter der das Unternehmen Tinder steckt 

Manchmal träumt man ja davon, jemand anderes zu sein. Reich, berühmt, schön. Jedenfalls nicht man selbst, weil die Probleme der anderen sicherlich angenehmer zu handeln sind. Und dann sehe ich mir plötzlich dabei zu, wie ich nicht ich selbst bin. Ein weißes Kaninchen mit meinem Gesicht hüpft und tanzt vor mir auf einem Screen hin und her. Die Wiese ist grün, der Himmel blau, die anderen Kaninchen sind auch alle weiß. Einige der Kaninchen sind ziemlich aufdringlich. Eines küsst mich, das andere, nun ja, rammelt mich von hinten und dann bin ich auch schon verheiratet.

Über dem Kopf meines Bräutigams schwebt sein richtiger Name. Ein Freund steht neben mir und googelt schnell, wen ich da geheiratet habe. Restaurantbesitzer sei er, guter Laden, sagt er, teurer Laden. Wir sind uns sicher, dass er eine irre gute Partie ist. Und während ich mir überlege, wie groß meine Freude über die unerwartete Heirat ist, tanzt mich ein anderes Kaninchen an und küsst mich usw. usf.

"Rabbit Heart" ist eine Arbeit der russischen Künstlerin Natalie Alfutova. Am Eingang der Ausstellung "Futures of Love" im Pariser Magasins Généraux kann man sich fotografieren lassen und wird gebeten, ein paar Daten zu hinterlassen – mit Daten aus dem Internet arbeitet "Rabbit Heart" nämlich. Eine neue Form der Liebe könne so erfahren werden, erklärt der Ausstellungstext. Ich bin mir unsicher, ob ich von den anderen Kaninchen geliebt werde.

Unsicherheit mit Blick auf die Liebe

Diese Unsicherheit mit Blick auf die Liebe zieht sich durch die gesamte Ausstellung. Erzählt wird in acht Kapiteln, wie sich die Liebe im digitalen Zeitalter verändert. Computed Love, Virtual Love, Self-Obsessed Love und Robotic Love sind einige der Kapitelüberschriften, es geht um Algorithmen und Selfies, um die Suche nach Liebe und Freiheit in Beziehungen. Einige große und erwartbare Namen finden sich in der Künstlerliste: Ed Atkins, Ed Fornieles, !Mediengruppe Bitnik, Camille Henrot, Anna Uddenberg, Wong Ping und Amalia Ulman.

Werden unsere Gefühle und unsere Sexualität durch Dating-Apps, soziale Netzwerke und neue Technologien erweitert? Oder verlieren wir den Kontakt zueinander und zu unseren Körpern? Das fragt sich das Kuratorenteam Anna Labouze und Keimis Henni. Gemeinsam haben sie die Ausstellung "Futures of Love" für die Magasins Généraux kuratiert. Das Besondere an dieser Institution ist, dass die Ausstellungsfläche sich im Erdgeschoss einer großen Pariser Werbeagentur befindet und von ihr bespielt wird. Pro Jahr gibt es eine Ausstellung, die mit einem Partner realisiert wird. Man kann sich bei diesem Thema denken, wer der Partner ist, der das Geld ins Haus trägt. Genau, es ist die Dating-App Tinder.

Instagram ist das neue Tinder

Da ich noch nie auf Tinder unterwegs war, weil Instagram eh schon länger das neue Tinder ist, rufe ich also eine Freundin an, die ausreichend Erfahrungen mit der App gesammelt hat. Sie erzählt mir vom großen Tinder-Löschen, sie und alle ihre Freunde löschen mindestens fünf Mal im Jahr aus Gründen der Genervtheit die App von ihrem Smartphone.

Tinder sei längst zu einem Spiel geworden, erzählt sie mir. Es gehe gar nicht mehr so sehr darum, jemanden zu daten, das Match sei interessant. Nach einem Match schreibe kaum jemand mehr, sagt sie, man würde einfach den eigenen Marktwert testen. Sie bestätigt meinen Eindruck, dass Instagram das neue Tinder ist. Während es auf Tinder ums Aussehen geht, weil man ja nur ein paar Fotos zu sehen bekommt, hat man auf Instagram wenigstens das Gefühl, die andere Person kennenzulernen.

Gut, auch auf Instagram gibt es Menschen, die nur Selfies posten, im besten Fall bekommt man aber zumindest ein wenig mit, was die andere Person so im Leben macht. Tinder sei unverbindlich, sagt sie, niemand suche dort ernsthaft die Liebe seines Lebens. Es geht um casual sex. Das weiß natürlich auch das Unternehmen Tinder, deshalb gibt es die Kampagne "#SingleNotSorry". Es ist also okay, Single zu sein, erzählt uns Tinder.

Das kann man auch im Begleitheft zur Ausstellung nachlesen. Der Partner hat eine Seite zur Verfügung gestellt bekommen, um sich kurz zu präsentieren - direkt hinter dem Text der Kuratoren. Dort steht: "Tinder ermutigt die junge "Generation Z", die Freiheit des Singlelebens und den Reichtum an Erfahrungen zu genießen, der damit verbunden ist." Das liest sich wie eine sehr schöne Umschreibung für casual sex.

Der Herzschlag beim Swipen

Der Partner selbst ist in der Ausstellung, sieht man einmal vom Logo auf dem Plakat ab, nicht überpräsent. Drei junge französische Künstlerinnen und Künstler wurden von Tinder während der Laufzeit beauftragt, eine Arbeit zum Thema Liebe im digitalen Zeitalter zu machen. Die Wahl des Kuratorenteams fiel auf Johanna Jaskowska, Andy Picci und Ben Elliot.

Es sollten Künstler sein, die präsent in den sozialen Medien sind und mit den neuesten Technologien arbeiten. Jaskowska ist letztes Jahr mit ihren AR-Gesichtsfiltern wie "Beauty3000" international berühmt geworden, sie hat damit die Diskussion um Schönheitsideale in den sozialen Medien befeuert. "Beauty3000" überzeichnet den Plastiklook, ohne dabei die Gesichtszüge zu verändern. Für die Ausstellung in Paris hat sie den Gesichtsfilter "Sous l’eau" gebaut. Der Name sagt es schon, "Unter Wasser", die eigenen Gesichtszüge schwimmen, als würde man sich im Wasser spiegeln. In der Ausstellung selbst liegen zwei Screens auf dem Boden. Wenn man auf einen der Bildschirme schaut, sieht man darin nicht das eigene Gesicht unter Wasser, sondern das Gesicht der Person, die vor dem zweiten Screen steht.

Die Botschaft ist einfach, aber gut: Man findet durch ein Gegenüber zu sich selbst. Andy Picci derweil hat mit der Dating-App selbst gearbeitet. Ein Smartphone liegt auf einem Sockel, darauf läuft ein Video im Loop: Tinder ist geöffnet, die Gesichter sind aus Gründen der Persönlichkeitsrechte unkenntlich gemacht, jemand swiped immerzu – und mit jedem neuen Profil auf dem Screen erklingt laut ein Herzschlag im Ausstellungsraum. "Heartbeat" heißt die Arbeit, die daran erinnern will, dass Liebe ein Lebenselixier ist.

Das Gegenteil von "#SingleNotSorry"

Die Ausstellung selbst ist in ihrer inhaltlichen Bandbreite maximal weit entfernt vom Claim "#SingleNotSorry". Der französische Künstler Ben Elliot ist seit einigen Jahren Opfer eines Stalkers, der regelmäßig und ohne Maß online Kontakt zu ihm aufnimmt. Elliot hat einige der Nachrichten seines Stalkers in den Ausstellungsraum gehängt, die zwischen absoluter Verachtung und liebevoller Hingabe changieren.

"Fucking idiot", schreibt er, "im giving my all and can’t get one fucking answer from you, im writing you everyday cuz im fucking scared about time. (...) i want to leave you but i can’t, something tells me to be good for you, fucking feelings and fuck you. im going to death second by second and you fucker can’t do anything to make me feel better in turn. what a waste of time."

Direkt daneben hängen großformatige Zeichnungen der französischen Künstlerin Camille Henrot aus ihrer Serie "Minor Concerns". Je eine Frau und ein Mann sitzen vor einem geöffneten Laptop und befriedigen sich selbst, die Titel: "Skype Sex". Ein Mann starrt niedergeschlagen auf das Smartphone in seinem Schoß, "You Have No New Message", erklärt der Titel den entgeisterten Gesichtsausdruck. Smartphones erleichtern die Kontaktaufnahme ungemein, sie können aber auch genauso leicht unerfüllte Liebe zur Qual werden lassen.

Inhaltlich dicht und stark kuratiert

Die argentinische Künstlerin Amalia Ulman hängt mit ihrer Fotografie "Dignity 01" im selben Raum wie Elliot und Henrot. Ulman ist schick gekleidet, steht in der Öffentlichkeit, sie scheint in eine Kamera zu lächeln, die auf sie gerichtet ist, während von ihrem Gesicht Sperma tropft. Auch hier ist die Botschaft klar: Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden nach wie vor stark sexualisiert und sind noch viel zu oft von mächtigen Männern abhängig, die ihre Macht ausnutzen.

Die Ausstellung ist durchweg so inhaltlich dicht und stark kuratiert wie dieser Raum. Manch einer Schau in einem Museum täte solch ein überzeugendes und gut aufbereitetes Konzept gut, weshalb man den beiden Kuratoren wünscht, dass das nicht die einzige Station der Gruppenausstellung war, die Ende Oktober zuende gegangen ist.

Bevor ich die Ausstellung verlasse, gehe ich noch einmal zurück zu meinem neuen Alter Ego, dem weißen Kaninchen. Ich will nachsehen, was sich in der Zwischenzeit in Sachen Liebe getan hat. Nicht viel, muss ich feststellen. Knutschen, Sex, Hochzeit und das gefühlt im 30-Sekunden-Takt. Mir geht das zu schnell, weshalb ich dann doch schneller als gedacht an die frische Luft gehe.