Tippi Hedren wird 90

Lady unter Biestern

Filmplakat "Die Vögel" 1963
Foto: Universal Pictures/ Wikimedia Commons

Filmplakat "Die Vögel" 1963

Tippi Hedrens Auftritte in "Marnie" und "Die Vögel" sind unvergesslich. Aber die Schauspielerin ist auch ein früher #MeToo-Fall. Heute spricht sie offen darüber, wie sie unter Regisseur-Legende Alfred Hitchcock gelitten hat

Alfred Hitchcocks Schauspielerinnen mussten leiden. Wenigstens auf der Leinwand. In "Die Vögel" stolpert Hauptfigur Melanie in eine Dachkammer. Geschnäbelte Bestien sind eingedrungen, die Heldin in der Falle wird attackiert. 1960 hatte der Regisseur das Publikum mit der "Psycho"-Duschszene terrorisiert, die ebenso schockierende Dachbodensequenz im Nachfolgefilm "Die Vögel" (1963) war nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für die Darstellerin eine Tortur: Tippi Hedren musste sich mit echten Tauben, Möwen und Krähen bewerfen lassen, nach fünf Drehtagen kollabierte die Hollywood-Debütantin, weil ein mit Nylonfäden an ihrem Kostüm befestigter Vogel tatsächlich auf ihr herumhackte – und knapp ein Auge verfehlte.

2018, auf dem Höhepunkt der #MeToo-Debatte gab die Schauspielerin der "Zeit" ein Interview, in der sie noch einmal erzählte, wie ihr Entdecker und Förderer Hitchcock sie schon beim Dreh ihres ersten Films sexuell belästigte und mit der Federvieh-Attacke offenbar bestrafen wollte. Bei den Dreharbeiten zu "Marnie" wurde der Regisseur noch zudringlicher. "Er packte mich in seinem Büro, berührte mich überall auf sexuelle Weise. Ich wehrte mich“, erzählte Hedren.

Nach ihrem zweiten Hitchcock-Film wollte die Schauspielerin nicht mehr mit ihrem Peiniger arbeiten; da Hitchcock einen Exklusivvertrag mit ihr hatte und Rollenangebote für Hedren bewilligen durfte, vermasselte der Meister über zwei Jahre ihre Chancen, indem er sämtliche Angebote ohne Rücksprache mit ihr nach Gutsherrenart ablehnte. Hedren hätte wohl in François Truffauts "Fahrenheit 451" auftreten können, wovon sie viel später erfuhr. Ihre Karriere kam nie wieder richtig in Schwung, sie konnte nur noch Nebenrollen oder Parts in zweitklassigen Filmen und TV-Serien spielen. In dem jüngst abgedrehten "Unforgettable" tritt sie neben anderen Altstars wie Joan Collins und Franco Nero auf.

Hitchcock gefiel ihr Spitzname

Nathalie Kay Hedren wurde am 19. Januar 1930 in New Ulm, Minnesota geboren. Den Spitznamen "Tippi", der später auch Hitchcock gefiel, gab ihr der Vater, der einen kleinen Gemischtwarenladen führte. Seit den 50ern arbeitete Hedren als Model in Kalifornien, Alfred Hitchcock entdeckte sie in einem Fernsehspot für ein Diätgetränk. Nach dem Bruch mit ihm spielte Hedren 1967 immerhin noch eine kleine Rolle in Charles Chaplins letztem Film "Die Gräfin von Hongkong", die nächste nennenswerte Produktion war "Roar – die Löwen sind los" von 1981, den ihr damaliger Mann Noel Marshall produzierte.

Der Film, dessen Hauptrollen auf die Patchworkfamilie von Hedren und Marshall verteilt waren, verschlang 17 Millionen Dollar und wurde mit nur zwei Millionen Einspiel einer der größten Flops der Kinogeschichte. Die Story von der Koexistenz zwischen Mensch und Raubtier wurde Wirklichkeit, als Hedren das Drehgelände bei Los Angeles in ein Privatreservat für Großkatzen umwandelte. Sie wandelte sich zur Tierschutz-Aktivistin und betrieb die Schauspielerei bald mehr als Nebenjob.

Schauspielerei bleibt in der Familie

Ihre Tochter Melanie Griffith und auch ihre Enkelin Dakota Johnson haben beständigere Filmkarrieren machen können. Als Stilikone ist Tippi Hedren aber praktisch unerreicht. Rastlos-rüstig wirbt sie noch heute für Uhren und Schmuck von Gucci. Auch als Darstellerin sollte man sie nicht unterschätzen. Vor allem ihre Kleptomanin in "Marnie" geht zu Herzen.

"Ich bewundere seine Filme zutiefst", lautete ihr überraschendes Fazit zu Hitchcock im "Zeit"-Interview. "'Marnie’ ist das Werk eines Genies. Diese hypnotische Bildsprache! Der Film zeigt, was passiert, wenn eine traumatische Erfahrung nicht behandelt wird ... 'Marnie’ war ein Durchbruch, geradezu visionär." Ihre Mission bestehe darin, so Hedren, "den Beweis zu führen, dass Alfred Hitchcock meine Karriere, aber nicht mein Leben zerstört hat." Der Beweis ist längst erbracht, Tippi Hedren wird am 19. Januar 90 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch!