"Clothies"-Kleiderskulpturen

Überflusswesen

Die Künstlerin Toni Meyer und die Kunsthistorikerin Aileen Treusch lassen menschliche Kleiderberge durch die Städte laufen. Ein Gespräch über unsere Konsumkultur und das Ausmisten während des Lockdowns

Toni Meyer, Aileen Treusch, neulich konnte man in München einen Menschen antreffen, der in einen Haufen Denim eingepackt zu sein schien. Was hatte es mit diesem Kleiderberg auf sich?

Toni Meyer: Es ist ein ungewöhnlicher Anblick für Passanten: Jemand hat sich zu viel angezogen und ist über und über bedeckt mit Klamotten. Die "Clothies" sind von mir entworfenen Kleiderskulpturen, Performerinnen und Performer tragen sie durch die Straßen.

Geht es bei den Überflusswesen, die Sie dann auch auf Fotos und Videos dokumentieren um Konsum?

Aileen Treusch: Das Zu-viel-haben und Zu-viel-haben-wollen wird zu einem sichtbaren Luxusproblem in einer von Massenproduktion und -konsum geprägten Gesellschaft. Was brauchen wir für das Leben, was ist überflüssig? Ohne allzu mahnende Geste erfolgt der Verweis auf die Allmendeklemme und die zugrundeliegende Konsumethik und Konsumästhetik.

Die Allmendeklemme besagt, dass begrenzte Ressourcen nicht sinnvoll genutzt werden. Hat die Botschaft auf der Straße funktioniert? Welche Reaktionen haben Sie bekommen?

TM: Mitten auf der Einkaufsstraße in München wurde der lebende Jeansberg viel angestarrt. Die "Clothies" sind aber beides, Störfaktor und alte Bekannte. Das hat man an den Reaktionen gemerkt, es wurde viel gelächelt und Fragen gerufen wie "Zu viel geshoppt?". Als ob die Leute sich wiedererkennen. Manche waren auch verärgert oder irritiert und wegen der aktuellen Situation wurden die Klamottenberge teilweise anders gelesen: "Ist Jeans das neue Toilettenpapier?", war einer der Kommentare.

AT: Wir sehen die künstlerische Praxis als "ungerichtete Forschung“, die Gedankenspiele und Experimente produziert. Dabei sollten wir auch die Erwartungshaltung aufgeben, dass die Kunst auf Probleme hinweist und sie gleichzeitig lösen kann.

Komischerweise war ja auch die Corona-Krise ein Grund für Kleiderberge: Viele Menschen sortierten ihre Garderobe aus, die Second-Hand-Läden nahmen keine Ware mehr an.

AT: Das stimmt, einige von uns haben diesen Moment genutzt, um aufzuräumen, alte Gewohnheiten hinter sich zu lassen und neue zu etablieren. Der Trend zum Ausmisten offenbart die gegenwärtige Sehnsucht nach einem minimalistischen und zugleich einfacheren Leben, die unter anderem in einer Ohnmacht gegenüber den Dingen aber auch den zu treffenden Entscheidungen begründet liegt.

TM: Der erste "Clothy" ist durch die Straße gelaufen, bevor der Lockdown losging. Vorher gab es ja schon das Thema Ausmisten oder die Sehnsucht nach dem sogenannten minimalistischen Leben. Als wir dann alle zu Hause saßen, war das wohl die Gelegenheit, dieser Sehnsucht nachzugehen.

"Clothies" sehen modisch total interessant aus, dekonstruktivistisch wie Mode von Comme des Garçons oder ironisch wie Entwürfe Bernhard Willhelm. 

TM: Die "Clothies" sollten ein bisschen nach Laufsteg aussehen, aber mehr nach Chaos. Ich habe also darauf geachtet, wie etwas fällt oder wie fotogen ein Stoff ist. Wichtiger war mir aber, dass man den Überfluss wahrnimmt. Die Performerinnen und Performer wissen das am besten, sie mussten die Kleiderberge tragen. Teilweise konnten sie schlecht sehen und es war warm darunter, trotzdem sollten sie ganz normal umherlaufen. Dekonstruktivistisch vielleicht, weil die Kleiderberge etwas entlarven oder Unsichtbares sichtbar machen, in diesem Fall den Überkonsum. Sie zeigen auch einfach das, was man meistens auf der Straße sieht: Daunenjacken, Jeans und Sportmarken. Es waren ja fertige Kleidungstücke, die ich verwendet habe.

Ist die Mode selbst nicht gegen Kritik immun, weil sie sich alles einverleibt?

TM: Kunst und Mode haben sich schon lange viel zu sagen. Es ist aber nicht immer harmonisch, sondern auch eine große Streitbeziehung, deswegen nein, keinesfalls gegen Kritik immun.

AT: Von Immunität würde ich auch nicht sprechen, denn die Mode liefert nicht nur viel Stoff für Kritik, sie lebt auch davon. Kunst und Mode sind oft sogar zu stark abhängig von der Kritik. Der Erfolg der Fashion-Industrie basiert auf dem erfolgreichen Zusammenwirken der drei Säulen: Produktion, Handel und Kritik.

Ihre Aktionen sind ortsgebunden, als nächstes könnte man im Badebereich der Isar mal die Augen aufhalten. Wie bekommt man mit, wann wieder eine Aktion geplant ist?

TM: Wenn die "Clothies" nicht gerade bei der Nacht der Museen auftauchen, sollen die Performances eher nicht angekündigt werden. Es geht um Zufälligkeit und den Überraschungsmoment im öffentlichen Raum. Aber sich im August an der Isar aufzuhalten, kann ja nie schaden.