Art Cologne 2009

Totgesagt, nicht gestorben

Am neuen, lichten Messe-Eingang Süd, dem Eingangsportal der Art Cologne, liegt eine gigantische Skulptur von Stephan Balkenhol. Der gestürzte Ikarus hat sein Gesicht zum Boden gewandt, und seine kleinen, zerbrochenen Flügelchen liegen lose auf seinen Armen und Schultern. Der Himmelsstürmer wirkt geradezu entspannt, fast ein bisschen schelmisch. Galerist Christian Löhrl aus Mönchengladbach, der die Skulptur zur Verfügung stellte, kommentiert trocken: "Ich hoffe, niemand ist so blöd, den Ikarus als Symbol für die Messe ernst zu nehmen." Über die Absturzgefahr der neu gestalteten Art Cologne und ihrer hochfliegenden Pläne scheint sich niemand richtig Sorgen zu machen. Das Statement der Stunde heißt luftige Selbstironie.
 
Wer meint, Kunstmessen seien bloß strenge Verkaufsveranstaltungen, wird von der Geschichte einiger Messestandorte eines Besseren belehrt. Wahre Seifenopern spielen sich dort ab. Die Art Cologne zum Beispiel, die älteste und traditionsreichste Kunstmesse der Welt, wirkte in den vergangenen Jahren so, als hätte sie ihre Glanzzeit lange hinter sich. Köln - einmal das Kunstzentrum Deutschlands - verlor seine wichtigsten Galerien und seine jungen Künstler an Berlin. Zugleich verschlechterte sich das Niveau der Messe, manchmal bis ins Unterirdische. Ein zusammengewürfelter Cluster mittelmäßiger Stände erstreckte sich durch ermüdend unübersichtliche und veraltete Messehallen. Darauf folgte im vergangenen Jahr eine regelrechte Palastrevolution, die die Messeleitung stürzte.
 
Der neue Messedirektor Daniel Hug, ein schweizerisch-amerikanischer Galerist aus Los Angeles, gibt die Geschäftsführung seiner Galerie für seinen neuen Job auf und versucht sich mit Tatkraft und amerikanischen social skills an der Wiederbelebung. Er entscheidet sich für neue, geschmackvolle Messehallen, reduziert die Anzahl der Stände auf 180 und nimmt den Unwillen einiger  traditionell vertretener Kölner Galerien in Kauf, um einen Fokus auf Qualität zu setzen. Er unterstützt wie selten einer seiner Vorgänger Begleitprogramme und Sonderschauen, etwa die Ausstellung im Skulpturenpark, die Reihe New Positions, den Experimentalparcours Open Space, das aus Berlin importierte Künstlerprojekt Forgotten Bar Project und die Filmlounge IMAI. Er führt eine Trennung der modernen und zeitgenössischen Sektionen auf zwei verschiedene Etagen ein. Er verstärkt den Schwerpunkt auf Klassiker, um dem derzeitigen Markttrend gerecht zu werden, der auf sichere Anlagen und bekannte Positionen setzt. Zusätzlich bringt er die größten, oft lang verfeindeten Kunstinstitutionen der Rheinregion zusammen, die ihre Höhepunkte des Jahres auf diese Woche legen. Eine Strategie, die geschickt Kunstvermittlung und Eventkultur verbindet und sich schon bei der Londoner Frieze ausgezahlt hatte, die dadurch in nur fünf Jahren zur drittwichtigsten Kunstmesse der Welt geworden ist.
 
Die positiven Resultate dieser radikalen Verjüngungskur machen sich schon nach den ersten beiden Messetagen bemerkbar. An den Boomjahren gemessen, liegen die Verkäufe bisher auf eher durchschnittlichem Niveau, aber in Zeiten der Krise sind das schon gute Nachrichten. Die Hauptverkäufe werden zudem für das Abschlusswochenende erwartet. Viel wichtiger ist, dass die Art Cologne mir ihrem Auftritt einen neuen Grundstein für ihre internationale Relevanz legt. Galerien, die Köln lange von ihren jährlichen Messeterminplan gestrichen hatten, sind zurück. Zu ihnen gehören zum Beispiel die Berliner Gebrüder Lehmann. "Wir haben uns überreden lassen", sagt Frank Lehmann, "das letzte Mal sind wir vor zehn Jahren nach Köln gekommen. Aber dieses Mal hatten wir das Gefühl, dass sich etwas verändert hat. Die Messe gibt richtig Gas."
 
Und mit den Galerien kommen die zahlreichen im Rheinland ansässigen Sammler, die bisher lieber in Basel, London und Miami gekauft haben. "Alle Sammler, die man schon seit Jahren nicht mehr in Köln gesehen hat, sind zurückgekehrt", sagt Galerist Klaus Thurmann aus Innsbruck und bringt damit die größte Leistung der neuen Messeleitung auf den Punkt.
 
Die rheinländische Sammlerkultur, die von Sammlungen wie Stoscheck, Stoffel, Haubrich oder Dumont-Schütte bestimmt wird, ist über Jahrzehnte gewachsen und ist in ihrem Kunstgeschmack anspruchsvoller als anderswo. Vielleicht lässt sich damit auch erklären, dass gegen alle Erwartungen, auch junge Kunst gut geht. Frank Lehmann ist davon extrem überrascht. "Angesichts der Krise hat man ja überhaupt kein Gefühl mehr für die Marktlage, wir sind mit sehr geringen Erwartungen hergekommen. "Aber schon nach zwei Messetagen hat er sechs Leinwände des 35-jährigen Berliner Malers Martin Mannig verkauft, dessen kindliche Bildwelten aus Märchen und Comics von einer hintergründig perfiden Perversion durchwachsen sind. Die Bilder, die zwischen 2500 bis 5000 Euro kosten, liegen auf niedrigem bis mittleren Preisniveau, dafür ist aber ihr Anlagewert, wie derzeitig bei den meisten jungen Künstlern, nicht abschätzbar. Das teuerste Bild des Stands - "Wand" von Eberhard Havekost für 87 000 Euro - hat noch keinen Käufer gefunden. "Die Sammler kucken schon genau", so Lehmann, "viele haben den Preis notiert, aber mit hochroten Ohren und unsicheren Gesten."
 
Die Berliner Galerie Fahnemann Projects macht ähnliche Erfahrungen. "Zurzeit ist alles mit einem großen Fragezeichen versehen", sagen das Vater- und Sohnteam Jonas und Clemens Fahnemann. "Den Imi Knoebel haben wir eigentlich nur mitgenommen, um zu zeigen, dass wir ihn haben." Das in Neonfarben gehaltene, drei mal drei Meter große Aluminiumstreben-Bild kostet 150.000 Euro. Aber das Interesse ist so riesig, dass die Galeristen sicher sind, es bei ihrer Knoebel-Schau im Juni zu verkaufen, die mit der Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie zusammenfällt. Dafür haben die Galeristen schon ein filigranes, geometrisches Holzmodell des jungen Bildhauers Kai Schiemenz für 3000 Euro verkauft, eine Leinwand von Günther Förg für 10.000 Euro und Jorinde Voigts kreisrundes "Akustisches Feld VIII" für 19.000 Euro.
 
Auf das Kaufverhalten während der Krise angesprochen, reagiert Jonas Fahnemann vorsichtig. Die Talsohle erwarte er erst noch. Sein Vater Clemens aber weist darauf hin, dass die Situation, verglichen mit den Jahren 1991 und 1992, geradezu rosig aussieht. Damals sei gar nichts mehr gegangen. Ganze fünf Jahre habe der Kunstmarkt gebraucht, um sich zu erholen. Auch das habe man überstanden.  Clemens Fahnemann hat das erste Mal vor dreißig Jahren an der Art Cologne teilgenommen, und die Neugestaltung macht ihn richtiggehend glücklich. Die Messe erinnere ihn wieder an alte Zeiten, als alles noch ein bisschen übersichtlicher war und die Begeisterung durch ganz Deutschland und Westeuropa ging.

Angesichts der Stimmung auf der Art Cologne 2009 wirkt das kein bisschen übertrieben.


Die Messe ist noch bis zum 26. April 2009 geöffnet