"Ich habe nie realisiert, wie sehr ich leben wollte, bis ich dachte, dass ich sterben würde", sagte Tracey Emin vor einigen Wochen im Interview mit der BBC. Die gefeierte Künstlerin offenbarte dem britischen Sender, dass sie von einer aggressiven Blasenkrebserkrankung geheilt sei und hoffe, in den kommenden Jahren ihre Energie wieder in die Malerei stecken zu können und "glücklich zu sein, mehr zu lächeln und einfach das Leben zu genießen".
Solche Aussagen aus dem Munde der heute 58-Jährigen sind durchaus überraschend, kannte man Tracey Emin doch als das ewige Problemkind der Young British Art: laut, provokant und voller Selbstekel. In ihren Werken ging es oft um Trauma, sexualisierte Gewalt, um Schwere und Schmerz. Sie bestickte ein Zelt mit den Namen ihrer Liebhaber, machte aus Gekritzel Neonskulpturen und malte nackt auf Performances.
Vögel sind die Engel dieser Erde
Ihre neueste Arbeit in Three Mills Green im Londoner Stadtteils Newham spricht indes eine andere, stillere Sprache: "A Moment Without You" besteht aus fünf Bronzevögeln, die auf Stäben sitzen. In Auftrag gegeben wurde die Arbeit von "The Line", einer knapp fünf Kilometer lange, kostenlose Freiluft-Galerie, die 2015 gegründet wurde und dem Null-Meridian durch London folgt.
Vögel sind für Emin seit mehr als zwei Jahrzehnten eine Quelle der Faszination und Inspiration. Hier sind sie auch eine Metapher für die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens, wie wir es in der Coronazeit erleben, sowie für den persönlichen Kampf der Künstlerin mit ihrer Krankheit im vergangenen Jahr. "Die Vögel sind klein, winzig, zart, zerbrechlich, so wie wir als Menschen", sagt Tracey Emin. "Ich hatte schon immer die Vorstellung, dass Vögel Engel dieser Erde sind und die Freiheit repräsentieren. Ich wollte etwas schaffen, das eine Magie und eine Alchemie hat, etwas, das auftaucht und verschwindet und nicht dominiert."