Triennale di Milano

Heilung durch Design

Nach den 120 narzisstischsten Jahren der Menschheit sucht die Design-Triennale in Mailand einen restaurativen Ansatz. Die Hauptausstellung und die Länderpavillons zeigen die vordringliche Aufgabe von Gestaltung heute: Was kaputt ist, soll repariert werden

Der 1. August 2018 gilt als der Tag, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen die Kapazität der Erde überstieg, diese Rohstoffe zu reproduzieren. Zufällig etwa um dieselbe Zeit kam die Diskussion um Erderwärmung und Klimawandel, Mikroplastik und verschmutzte Ozeane im Mainstream der westlichen medialen Berichterstattung an. Jetzt widmet sich die 22. Ausgabe der Triennale di Milano im Mailänder Palazzo dell’Arte dem Thema Mensch und Umwelt, genauer: der kaputten Umwelt. "Broken Nature - Design Takes on Human Survival" ist die Ausstellung mit Beteiligung von Künstlern, Designern und Architekten aus zwei Dutzend Ländern betitelt. 

Und was kaputt ist, soll hier repariert werden. "Design war bislang oft ein stumpfes Instrument des Anthropozän, ein loyaler Kreuzritter der industriellen Revolution, ein kurzsichtiges Unternehmen mit dem einziges Zweck der menschlichen Überlegenheit", schreibt die Kuratorin der Triennale, Paola Antonelli, im begleitenden Katalog. Nach den wahrscheinlich 120 narzisstischsten Jahren in der Geschichte der Menschheit sei es nun Zeit für einen restaurativen Designansatz. 

So wie es zum Beispiel die Biologin Christina Agapakis und die Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg gemeinsam mit der norwegischen Geruchsforscherin Sissel Tolaas getan haben. Für "Resurrecting the Sublime" sequenzierten sie mithilfe des Biotechnologie-Unternehmens Ginkgo Bioworks die DNA dreier ausgestorbener Pflanzen und reproduzierten deren Duftmoleküle. Betrachtet man in der Ausstellung die Videoprojektion, die den ehemaligen Lebensraum eines Malvengewächses auf Hawaii zeigt, versprüht ein Diffusor den Duft der Pflanze. Wie ein olfaktorischer Geist ist sie damit aus dem Reich des für immer Verlorenen zurückgeholt. Scheinbar. 

Neben künstlerischen Ansätzen wie diesem zeigt die Ausstellung auch einige ganz designpraktische Dinge, die schon im Einsatz sind und demonstrieren, wie der Einfluss, den der Mensch des 21. Jahrhunderts hinterlässt, minimiert werden kann: Lego, das statt aus Erdöl-Plastik aus einem recycelbaren Zuckerrohr-Material besteht, das in den Niederlanden produzierte Fairphone, dessen Bauteile anders als bei anderen Smartphones im Reparaturfall ausgetauscht werden können, und ein papierner Schwangerschaftstest, der sich nach dem Einsatz in Wasser auflöst und auf diese Weise sowohl Plastikmüll verhindert als auch die Privatsphäre der Frau schützt.

Die Idee, dass die Natur vor dem Einfluss des Menschen bewahrt werden muss, sickerte erst vor knapp 60 Jahren ins öffentliche Bewusstsein ein. 1962 erschien das Buch "Silent Spring" der Biologin Rachel Carson, in dem sie die verheerenden Auswirkungen des damals breit eingesetzten Pestizids DDT beschrieb. Das Buch schuf erst so etwas wie ein Bewusstsein dafür, dass die Erde nicht dazu da ist, dem Menschen zu dienen, und begründete die internationale Umweltbewegung.

Was nicht heißt, dass sich die Lage seitdem verbessert hätte. Durchschnittlich alle 19 Minuten rottet der Mensch eine Pflanzen- oder Tierspezies aus, 20.000 im Jahr. Der Musiker und Ton-Ingenieur Bernie Krause hat seit den frühen 80er-Jahren auf ausgedehnten Reisen mehr als 5000 Stunden Tiergeräusche aufgenommen: Wal-Gesänge, Fuchsrufe, Geierschreie. Die Künstlergruppe United Visual Artists hat sie zur audiovisuellen Installation kompiliert. Gut möglich, dass "The Great Animal Orchestra" bald das einzige sein wird, was von einigen der hier zu hörenden Tiere bleibt.  

Neben diesen Einzelbeiträgen, die teils eigens für die Triennale angefertigte wurden, haben 24 Länder Pavillons gestaltet. Den der Niederlande haben die Design-Forscherin Angela Rui sowie Marina Otero Verzier und Francien van Westrenen vom Het Nieuwe Instituut kuratiert, das ein Staatsarchiv, ein Museum und eine Agentur für Architektur, Design und Digitaler Kultur beheimatet. Sie reflektieren den Umstand, dass die Niederlande als eine der am umfassendsten erleuchteten Gegenden der Welt gilt. Ständig angeknipst, ignoriert man um der Produktivität Willen den natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht. Die gezeigten Arbeiten behandeln Themen wie den gestörten Schlafrhythmus von Schichtarbeitern, durch ihr Smartphone ferngesteuerte Millenials und den urbanen Mythos des großen Stromausfalls in Los Angeles in einer wolkenlosen Nacht im Jahr 1994, als verängstigte Bewohner die Notfallnummern anriefen und von einer "gigantischen silbernen Wolke" am Nachthimmel berichteten. Die Milchstraße hatten sie unter dem Einfluss der Lichtverschmutzung nie zuvor gesehen. 

Das Konzept von der Natur, die es wiederherzustellen gilt, hat man im britischen Pavillon recht großzügig ausgelegt. Zu groß war wohl die Versuchung, einen Beitrag der derzeit prominentesten Vertreter politisch engagierter Kunst nach Mailand zu schicken - was der Bedeutung des Beitrags "Maps of Defiance" jedoch keinen Abbruch tut. Die sich mit ihren Projekten zwischen Wissenschaft, Kunst und Aktivismus bewegende Londoner Recherche-Agentur Forensic Architecture um den Architekten Eyal Weizman nahm sich im vergangenen Jahr gemeinsam mit der NGO Yazda der Verbrechen an, die der "Islamische Staat" an den Yesiden im Irak verübte: Man dokumentierte systematisches Morden, Folter und Vergewaltigungen, die Zerstörungen von Wohnhäusern, landwirtschaftlichen Strukturen und religiösen Stätten Dahinter steckt die Hoffnung, nicht nur eine kaputt gehauene Kultur heilen zu können, sondern auch, dass man die Verantwortlichen der Zerstörung irgendwann gerichtlich zur Rechenschaft wird ziehen können.

Wie hoffnungsvoll oder verzagt man nun angesichts der Beiträge aus dem Palazzo dell’Arte zurück in die zu heiß auf Mailand scheinende Sonne tritt, ist eine Frage des Gemüts - des halb vollen oder halb leeren Glases. Aber selbst für diejenigen, die davon ausgehen, dass sich die Menschheit über kurz oder lang selbst ausrotten wird, hält die Welt des Designs Trost bereit. Denn, so formuliert es Kuratorin Paola Antonelli mit bemerkenswertem Galgenhumor, "es kann sicherstellen, dass sich die nächste dominierende Spezies mit einem Minimum an Respekt an uns erinnert: als würdevolle und sich sorgende, wenn nicht intelligente Wesen." Wenn der Mensch schon selbst verschuldet ausstirbt, dann wenigstens in Eleganz und Schönheit.