Tropfen auf den heißen Stein

Als es dem Konzern gut ging, landete die Kunst noch im Museum.
3000 Werke schenkte die Robert Lehman Foundation 1969, nach
dem Tod ihres Gründers, dem Metropolitan Museum of Art: Gemälde
von Botticelli und Holbein, Rembrandt, El Greco und Goya,
Renoir, Toulouse-Lautrec und van Gogh. Dazu 700 Altmeisterzeichnungen,
wertvolle Möbel, Juwelen und Textilien.

Außerdem hatte der amerikanische Bankier testamentarisch die
Mittel für einen eigenen Museumsanbau am Central Park festgelegt,
der 1975 eröffnet wurde. Unter einer gläsernen Pyramide
ist seitdem zu sehen, was Lehman sich aus den Gewinnen seiner
Geschäfte leisten konnte. Drei Jahrzehnte später, im September
2008, ging Lehman Brothers in Konkurs. Die Immobilienkrise
in den USA und riskante Spekulationsgeschäfte hatten zu einer
Überschuldung des Traditionsunternehmens geführt.
Damit ging nicht nur die lange Sammlertätigkeit der Institution
zu Ende. Die Insolvenzverwalter standen plötzlich auch vor der
Aufgabe, ein umfangreiches Konvolut an Werken wieder zu Geld
machen zu müssen – um die Forderungen der Gläubiger wenigstens
ansatzweise zu bedienen. Aus Lehman Brothers, den zahlreichen
Konzerntöchtern und zugekauften Firmen wurde die Lehman
Brothers Holdings Inc. (LBHI), die wiederum dem Sanierungsund
Managementspezialisten Alvarez & Marsal für die Gesamtabwicklung
und den Kunsthandel verpflichtete.

Dass es nun bereits zwei Versteigerungen mit Stücken aus der
ehemaligen Lehman Brothers Collection gegeben hat, ist in der Öffentlichkeit
weitgehend unbemerkt geblieben. In der europäischen
jedenfalls, denn Alvarez & Marsal beauftragte mit diesen Verkäufen
zunächst das hier eher unbekannte Auktionshaus Freeman’s in
Philadelphia. Im Herbst 2009 kam dort die erste Tranche von 650
Losen unter den Hammer: Druckgrafiken von Louis Lozowick,
Roy Lichtenstein, Robert Indiana, Louise Bourgeois und Terry
Frost, Fotografi en von Berenice Abbott und Gemälde von Bernard
Cathelin und Herbert Brandl konnten komplett abgegeben werden
– erzielten trotz einer Verdoppelung des Schätzpreises aber recht
bescheidene 1,35 Millionen Dollar. Ein zweiter Sale
in Philadelphia folgte wenige Monate später.
Nach diesen beiden Generalproben gehen die Konkursverwalter
in diesem Herbst in die Vollen. Bei
gleich drei Veranstaltungen sind erneut Hunderte
Arbeiten im Angebot, die diesmal das Bilanzminus
deutlicher als vorher nach unten schrauben sollen.
Den Anfang macht am 25. September Sotheby’s in
New York (siehe den Kalender unten). Dort konzentriert
man sich auf jene Kollektion, die 2003 durch die
Fusion mit der Investmentgesellschaft Neuberger Berman dazukam.
Roy Neuberger hatte 1990 damit begonnen, vor allem Künstler
zu sammeln, die den Höhepunkt ihrer Karriere damals noch
nicht ganz erreicht hatten. Er kaufte Damien Hirst und Richard
Prince, John Currin und Takashi Murakami, außerdem bereits
arrivierte Positionen wie Gerhard Richter. Nach der Übernahme
setzte Lehman Brothers das Konzept unter anderem mit Stücken
von Neo Rauch, Julie Mehretu und Liu Ye fort. Mindestens zehn
Millionen Dollar soll diese Sammlung nun einbringen.
Vier Tage später bietet dann Christie’s in seiner Filiale in South
Kensington Bürodevotionalien wie Aschenbecher, Zuckerdosen
sowie Kunstwerke wie eine Lucian-Freud-Radierung,
ein Madonnengemälde von Gary Hume oder Fotografi
en von Wim Wenders an. In London hoffen die
Abwickler des Europazweigs von Lehman Brothers
auf einen Gesamterlös von zwei Millionen Pfund.
Am 7. November schließlich versteigert noch einmal
Freeman’s rund 250 Arbeiten, die in Lehman-
Filialen all over the world hingen. Robert Mangold,
Alex Katz und Sol LeWitt, aber auch Elliott Puckette,
Vernon Fisher und Joyce Pensato belegen diesmal,
dass Banker keine wagemutigen Kunstsammler sind. Eine Schätzung
für diese Auktion hat Freeman’s nicht bekannt gegeben.
Nur eine Zahl, die zeigt, um welche Dimensionen es geht: Allein
in Europa sitzen die Gläubiger des Konzerns auf Forderungen in
Höhe von 44 Milliarden Dollar.