Ukrainischer Pavillon in Venedig

"Diese schrecklichen Dinge kann man nicht aus dem Kopf verbannen"

Der Künstler Pawlo Makow bespielt gerade den ukrainischen Pavillon in Venedig. Hier sprechen er und die Kuratorin Maria Lanko über Kunst in Kriegszeiten und die Absurdität von "kulturellem Dialog" mit Russland


Pawlo Makow, die erste Version Ihres Kunstwerks "Fountain of Exhaustion" entstand bereits 1994, wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Das Werk besteht aus einer Pyramide aus Trichtern. Oben läuft Wasser hinein, aber durch das Verschütten auf dem Weg kommt unten kaum noch etwas an. Die beiden Begriffe "Fontäne" und "Erschöpfung" stehen in gewisser Weise für gegensätzliche Werte. Eine Fontäne oder ein Brunnen bringt ein Maximum von etwas hervor, das vielleicht vorher unter Druck stand und irgendwann, wenn der Druck unerträglich wird, ausbricht. "Erschöpfung" ist eine Art Energiezustand, der sich seinem Ende nähert. Was bedeutete das Werk damals?

Pawlo Makow:  Zu Beginn wurde ich durch die lokale Situation in Charkiw und der Ukraine zu diesem Projekt angeregt, weil ich das Gefühl hatte, dass 1993 und 1994 als Jahre des Übergangs von der Abhängigkeit des ukrainischen Staates von der Sowjetunion gesehen werden könnten. Schritt für Schritt entwickelte die Ukraine ihren Weg in Richtung Unabhängigkeit. Der Ukraine fehlte es damals an wirklicher Macht, das Land befand sich in einem Zustand der Verzerrung, in einer Art Mangel an Vitalität und Energie. Ich beschloss, ein etwas seltsames Projekt zu machen.

Warum seltsam?

Weil ich damals mit zweidimensionalen Räumen arbeitete - ich zeichnete, ich arbeitete hauptsächlich mit Papier. Dann beschloss ich, diese andere Art von Arbeit zu machen, die meine Antwort auf das war, was in den 90er-Jahren in der Ukraine passierte. Es war natürlich auch eine metaphorische Antwort auf die Erschöpfung auf verschiedenen Ebenen. Ich habe mit dieser Idee gearbeitet und später, im Jahr 2003, eine Ausstellung in Kiew gemacht. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mein Interesse an diesem Konzept ein wenig verloren, denn ich spürte, dass sich die Ukraine langsam aber sicher in die richtige Richtung entwickelte, besonders nach 2004 - nach der Orangenen Revolution. Ich hatte das Gefühl, dass es für die Ukraine eine echte Chance gab, unabhängig zu werden und ihre Wirtschaft zu entwickeln.

Und dann?

Ende 2008, als ich wegen der Ausstellungen oft nach Europa kam, spürte ich wieder eine Art Rückfall in den erschöpften Zustand, in dem sich die gesamte westliche Welt befand, so wie es in Osteuropa in den 90er-Jahren war. Denn Europa hat sich verändert, besonders in den letzten 20 Jahren. Es gab wieder eine Art von Schwäche, es gab einen Mangel an Fähigkeit, die Hauptprinzipien der Demokratie zu schützen. Man konnte Europas Abhängigkeit von billigen Energiequellen erkennen und das egoistische Verhalten, den Alltagskomfort Europas nicht gegen die wichtigsten humanistischen Prinzipien eintauschen zu wollen. In gewisser Weise schien mir Europa in Bezug auf die globalen Probleme zu entspannt. Es konnte die Bedrohung, die von Russland ausging, nicht wirklich erkennen. Russland verbarg nicht einmal die Idee der Vorherrschaft über Europa. Russland wollte die Abhängigkeit von seinem Öl und Gas schaffen, das für Europa so billig war. Deshalb spürte ich, dass die Bedrohung zurückkam, aber nicht auf lokaler, sondern auf globaler Ebene. Die Nato war sich dieser Bedrohung nicht bewusst, der Krieg in der Ukraine im Jahr 2014 war noch kein wichtiges Zeichen, nicht für die Nato, nicht für Europa. Sie akzeptierten Putin und seine Regeln immer noch. 

Maria Lanko, wann haben Sie zum ersten Mal mit Pawlo Makov gearbeitet?

Maria Lanko: Wir haben uns vor 15 Jahren kennengelernt, und als ich später selbstständige Kuratorin wurde und wir die Kunstgalerie The Naked Room gründeten, nahmen wir Pawlo natürlich in unseren Kreis von Künstlern auf. Für mich und meine Kollegin Lisaveta German war es ein großes kuratorisches Interesse, an Themen zu arbeiten, die in der Vergangenheit liegen. Die kulturellen Transformationen, die in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren stattfanden, können auch als Beginn der zeitgenössischen Kunst in der Ukraine gesehen werden. Es war wichtig, eine Beziehung zwischen dieser Zeit und der Gegenwart herzustellen. Viele Kunstwerke aus dieser Zeit wurden nicht oder nur teilweise verwirklicht. So wie der "Brunnen der Erschöpfung", der nie ein echter Brunnen war, sondern eine Skulptur ohne fließendes Wasser. Für uns war es wichtig, ihn zu verwirklichen, die Geschichte des Brunnens zu erfüllen. Es wäre eine Schande, wenn wir das wegen des Krieges nicht tun könnten. 

Wie haben Sie es während des Krieges geschafft, die Kunstwerke unter diesen schrecklichen Umständen von Kiew nach Venedig zu bringen? 

ML: Das Kunstwerk besteht aus Metallplattformen und 79 Bronzetrichtern. Es ist uns gelungen, diese Elemente vor Kriegsbeginn herauszuholen. Die Metallplattformen sind riesig, sodass sie speziell transportiert werden mussten. Bevor der Krieg begann, scherzten wir sogar mit unseren Leuten aus dem Team, dass wir wenigstens die Trichter mitnehmen und mit dem Auto fliehen würden. Am ersten Tag des Krieges hatten wir am Abend das Gefühl, dass die Situation sehr schnell eskalieren kann, da wir alle am frühen Morgen des Krieges durch die Explosionen aufgewacht sind. Andererseits gab es auch Momente der Ruhe, sodass wir sofort merkten, wann es Beschuss gab und wann es eine kleine Pause gab. Wir hatten eine Besprechung mit unserem Team und entschieden uns sehr schnell, sofort zu fliehen, es war im Grunde eine Entscheidung von 10 Minuten. Also nahm ich die einzige Straße, die nicht blockiert war, die Route wurde unterwegs entschieden, wir nahmen kleine Landstraßen, um so wenig wie möglich sichtbar zu sein. 

Heute bespielt "Fountain of Exhaustion. Aqua Alta" den ukrainischen Pavillon auf der Kunstbiennale von Venedig. Was bedeutet es für Sie, die Arbeit 27 Jahre später hier in Venedig zu sehen, in diesem irgendwie surrealen Ambiente vor dem Hintergrund der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine?

PM: Diese Frage rührt an einen sehr wunden Punkt in mir. Ich kann nicht aufhören, an meine Heimat zu denken, an die Menschen, die jetzt um ihr Leben, um ihre Existenzberechtigung und um ihre Zukunft kämpfen. Und gleichzeitig bin ich hier in dieser friedlichen und schönen Stadt, alle sind gut gelaunt, trinken Spritz, es ist schönes Wetter... Ich liebe Italien sehr und habe schon vor vielen Jahren angefangen, Italienisch zu lernen. Aber wenn ich für einen Moment aufhöre, Interviews zu geben, mich mit Menschen zu unterhalten, spüre ich, wie niedergeschmettert ich bin. Ich bin ängstlich, meine Frau und ich schaffen es nicht, ohne Tabletten zu nehmen. Diese schrecklichen Dinge kann man nicht einfach aus dem Kopf verbannen, nicht einmal für einen Moment. 

ML: Nachdem wir von unserer nationalen Teilnahme an der Kunstbiennale in Venedig wussten, war uns natürlich klar, wie spektakulär, riesig und glänzend diese Veranstaltung ist. So entschieden wir uns für eine ruhige Sprache und vielleicht eine Art traditioneller Darstellung in Bezug auf die Materialien.

Pawlo Makow, Ihre Kunstwerke beziehen sich auf die Welt, die erschöpft zu sein scheint, die Natur, die von den Systemen und den Menschen fast vollständig ausgebeutet wurde. Wie können wir unsere menschlichen Werte wie Demokratie, Mitgefühl und Freiheit in einer solchen Welt schützen?

PM: Heute sehen wir, dass die Welt durch die Globalisierung immer mehr schrumpft. Wenn wir von Erschöpfung sprechen, geht es natürlich um Erschöpfung auf verschiedenen Ebenen. Wir leben in einer Welt der gefälschten Nachrichten, der gefälschten Lebensmittel, der gefälschten Werte - all das ist eine große Bedrohung für die Menschheit, es betrifft uns auf der privaten und kollektiven Ebene. Wir sind mit dieser Bedrohung in einer enormen Dimension konfrontiert. Wir haben keine andere Chance, als zu beginnen, darüber nachzudenken und zu handeln. 

Sehen Sie gerade einen russischen Krieg gegen die Ukraine oder ist es der Krieg zwischen zwei Blöcken oder sogar zwei Mentalitäten?

PM: Es ist ein Krieg nicht nur zwischen zwei Blöcken, sondern auch zwischen zwei Kulturen, denn Russland wollte definitiv nie, dass die Ukraine existiert. Nichtsdestotrotz war die Ukraine lange Zeit Teil des Russischen Reiches, aber die ukrainische Kultur war immer auf anderen Prinzipien aufgebaut als die russische. Die Tatsache, dass die ukrainische Kultur in der westlichen Welt nicht wirklich bekannt ist, liegt an der ständigen Dominanz des Russischen Reiches und später der Sowjetunion. Bereits in den 20er- und 30er-Jahren gab es eine große Bewegung in der Ukraine - sie wurde "Ukrainische Renaissance" genannt -, in der viele ukrainische Künstler, Musiker und Theaterleute aufblühten und immer sichtbarer wurden. Aber das war ein sehr kurzer Erfolg für das ukrainische Volk. 1933 begann die Sowjetunion, diese Bewegung zu zerstören, die Künstler wurden getötet, die Kunstwerke wurden physisch zerstört, so dass wir nur sehr wenig von dieser Zeit übrig haben.

Haben Sie sich mit dieser Kunst beschäftigt?

PM: Als ich einmal in Kiew die Ausstellung ukrainischer Futuristen aus den 1930er-Jahren sah, empfand ich großes Bedauern für diese Menschen, die getötet wurden. Sie könnten Lehrer meiner Lehrer sein, und wie anders wäre die kulturelle Situation in der Ukraine heute, wenn sie überlebt hätten. Solch schreckliche Dinge geschahen mehr als einmal. Im 19. Jahrhundert wurde die ukrainische Sprache vom Russischen Reich offiziell verboten, also ist das, was heute geschieht, keine neue Frage der Zerstörung der ukrainischen Kultur, sondern eine 400 Jahre alte Frage. Kiew und der ukrainische Staat wurden viel früher als Moskau gegründet. Die ukrainische Kultur gehört zur europäischen Gesellschaft, sie hat ziemlich enge Verbindungen und ähnliche Werte. Der russische Krieg ist der Krieg gegen die Demokratie. Wenn die Welt weiterhin ihre entspannte Haltung gegenüber totalitären Regimen beibehält, wird das keine wirklichen Veränderungen bringen. Schon vor Jahren war ich bereit, das Projekt "Fountain of Exhaustion" auf die Kunstbiennale in Venedig zu bringen, denn schon damals war die Existenz der globalen Gefahr für den gesamten Planeten im Hinblick auf die politische und klimatische Krise sehr präsent. 

ML: Wir nennen diesen Krieg nicht "Putins Krieg", sondern "Russlands Krieg" gegen die Ukrainer, denn er trifft seine Entscheidungen nicht allein. Aber natürlich will er mehr, nicht nur die Ukraine, sondern auch andere Länder wie die baltischen Staaten und Polen. Er muss gestoppt werden. Bereits 1990 gab es einen ersten großen politischen Protest, der von der ukrainischen Studentenunion unter dem Namen "Die Revolution auf Granit" gegen das UdSSR-Abkommen gegründet wurde, das den Sowjetrepubliken die Unabhängigkeit verwehren sollte. Mehrere hundert Studenten und mehr als zehntausend Ukrainer gingen auf den Maidan, den Unabhängigkeitsplatz, schlugen ihre Zelte auf dem Granitboden des Platzes auf und blieben dort mehrere Wochen lang. Dieser Protest war der erste Schritt in Richtung Unabhängigkeit der Ukraine, der in gewisser Weise auch kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stattfand. 2004 gab es eine Orange Revolution und 2014 den Euromaidan - alle diese politischen Proteste waren in gewisser Weise erfolgreich und brachten die Ukraine der Demokratie und der Unabhängigkeit vom russischen Staat immer näher.

Wirkt das nach?

ML: Diese kulturelle und politische Erfahrung, die Dominanz eines korrupten Regimes nicht zu akzeptieren, bewies die mentale Stärke des ukrainischen Volkes und zeigte immer wieder die kulturelle Bereitschaft der Ukrainer, die ungerechte Lebensweise zu ändern und auszubrechen. Die russische und belarussische Geschichte der Rebellion ist eine Geschichte des Scheiterns. Ich glaube, dass Weißrussland einen weiteren Versuch braucht, und ich bin sicher, dass er erfolgreich sein wird. Das passiert nicht an einem Tag. Dank des Maidan sind die Ukrainer in der Lage, diesen Krieg zu führen, sie wissen um die Instrumente - es braucht Freiwillige, Selbstorganisation, Fundraising. Diese Erfahrungen stammen vom Maidan.

Glauben Sie, dass es eine Alternative für Osteuropa gibt? 

ML: Ich glaube, wenn die Ukraine gewinnt, wird das eine große Veränderung bringen, Russland wird nicht mehr so existieren können, wie es vor dem Krieg mit der Ukraine war. Wenn die Ukraine den Krieg gewinnt, wird das auch die russische Landkarte verändern. Der russische Staat muss zusammenbrechen. 

Ich glaube, viele Russen haben jetzt schon Schwierigkeiten, sich als Russen zu outen. 

ML: Ja. In der Ukraine gibt es viele Menschen, wie mich und Pawlo, die mit ihrer Familie oder ihren Freunden Russisch sprechen. Aber jetzt geht es nicht mehr um die ethnische Zugehörigkeit oder den Hintergrund. Es geht um die politische Nation. In der Ukraine sind wir alle ukrainische Bürger.  

Welchen Einfluss können Künstler und/oder Kunstwerke auf die Kriegssituation in der Ukraine haben, und was sollten sie tun, um Veränderungen zu bewirken?

ML: Künstler und Kunstwerke sind Teil einer jeden kulturellen Identität. Bevor der Krieg begann, wusste die Welt nicht so viel über die Ukraine. Jetzt ist jeder schockiert und neugierig und fragt, wer diese Leute sind. Deshalb müssen wir die Ukraine und ihre Identität präsentieren, vor allem die ukrainische Kultur jenseits des Krieges. Jetzt wird alles mit dem Krieg in Verbindung gebracht. Das ist sehr traurig, denn die Ukraine ist ein sehr schönes und interessantes Land mit einer außergewöhnlichen Kunstgeschichte. Kunst kann den Beschuss oder den Krieg nicht aufhalten, aber ich glaube, dass sie einen weiteren Krieg verhindern kann, wenn jeder von uns hart genug arbeitet und weiterhin unsere Identität präsentiert.

Haben Sie noch Hoffnung für die Menschheit?

PM: Ja, ich habe noch Hoffnung für die Menschen, auch wenn wir wissen, wie kompliziert sie sein können. Ich bin kein Pessimist, und ich weiß, dass wir eine Chance haben, aber ich weiß auch, dass es sehr schwierig sein wird, unsere menschlichen Werte zu schützen. Aber wir müssen noch lernen, wie wir bescheiden leben können und wie wir uns vor Selbstzerstörung schützen können. Besonders schwer wird es für die westliche Gesellschaft sein, die bescheidene Lebensweise zu erlernen - mit der ständigen Konsumlust umzugehen, die auf Individualismus und Egozentrik basierenden Werte zu überdenken, sich für neue Denkweisen in Richtung kollektiver gemeinsamer Wohlstand und Zusammengehörigkeit zu öffnen. 

ML: Heute denke ich, dass ich nicht mehr in einer solchen Welt leben möchte. Wir haben keine Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen. Ich bin sehr enttäuscht von uns. 

In letzter Zeit gibt es viele Diskussionen über die Ausgrenzung russischer Künstler bei Ausstellungen oder Festivals. Dies ist die Reaktion der ukrainischen Künstler auf die Kriegsverbrechen des russischen Militärs. Wie könnte die Kunstwelt der Ukraine und ihren Künstlern mehr Sichtbarkeit und Gerechtigkeit verschaffen? 

PM: Ich werde sehr oft gefragt, was ich über den russischen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig denke, der dieses Jahr leer bleibt. Sie fragen mich, ob es einen Dialog zwischen ukrainischen und russischen Künstlern geben könnte. Erstens möchte ich im Moment wirklich keinen Dialog führen. Zweitens ist der Dialog gerade einfach unmöglich. Wir haben bereits einen Dialog, der seit acht Jahren andauert - aber dieser Dialog findet an vorderster Front statt. Ich wünschte, es könnte anders sein, dann gäbe es diesen blutigen Dialog nicht, aber das ist die Realität. Aber wenn Russland mein Land und meine Kultur vernichten will, was für einen Dialog kann es dann geben? Wenn die Künstler sagen, dass sie gegen Putin sind, dann sollten sie auch so handeln. Als die Ukrainer gegen das Janukowitsch-Regime waren, haben sie reagiert, und jetzt ist Janukowitsch nicht mehr Präsident der Ukraine. Es gibt immer Möglichkeiten, etwas zu tun und nicht nur zu schweigen. Nur zu schweigen ist nicht genug. 

ML: Wir unterstützen keine solchen Plattformen oder Initiativen, die heute ukrainische und russische Künstler zusammenbringen. Im Moment wollen wir keine kulturellen Brücken bauen, das ist unmöglich. Zuallererst sollte der Krieg beendet werden, das russische Militär sollte sich zurückziehen, die Kriegsverbrecher sollten strafrechtlich verfolgt werden, und dann vielleicht in einer Generation können wir weitersehen. Die Menschen werden viel Zeit brauchen, um zu heilen, um das Trauma zu verarbeiten, das der russische Krieg verursacht hat. Der Dialog ist jetzt nicht möglich. 

Kann der Krieg die Ästhetik Ihrer Kunstwerke verändern?

PM: Meine künstlerische Arbeit war immer sehr realitätsbezogen, ich habe immer darüber nachgedacht, was um mich herum und in meiner Welt passiert. Die Leute sagen, meine Kunst sei sehr dramatisch, aber ich glaube nicht, dass sie dramatischer ist als die reale Welt. Ich wollte nie das Drama unterstreichen. Als Künstlerin kontrolliere ich mich nicht selbst. Ich gebe mir keine Anweisungen, welche Art von Kunstwerk ich zu schaffen habe. Es geschieht auf sehr intuitive Weise, ich bin in gewisser Weise ein Sender. Ich werde also durch meine künstlerische Arbeit das tun, was ich tun muss, und nicht das, was ich tun will. 

Was erwarten Sie von der nationalen Teilnahme an der Kunstbiennale in Venedig und was wünschen Sie sich für die Ukraine von dieser Sichtbarkeit? 

PM: Ich werde jetzt meine ganze Popularität nutzen und die Preise erhöhen, um meine Arbeit so lohnend wie möglich zu verkaufen. Und ich werde mit einem Teil des Geldes den Wiederaufbau meiner Stadt Charkiw unterstützen. Mit den Kuratoren haben wir beschlossen, die "Fountain of Exhaustion" zu verkaufen, auch wenn die Kunstbiennale in Venedig keine kommerzielle Veranstaltung ist. 

Ihre Galerie The Naked Room in Kiew ist geschlossen. Welche Pläne haben Sie jetzt?

ML: Wir haben die meisten Werke ausgelagert, sie sind jetzt in Lwiw, an einem sichereren Ort. Wir werden auch an der Liste Art Fair in Basel im Juni teilnehmen, das ist also unser nächster beruflicher Plan, aber alles in allem wissen wir es nicht wirklich. Ich weiß nicht, ob es sinnvoller ist, in die Ukraine zurückzukehren als ukrainische Künstler in der Welt zu vertreten. Ich habe im Moment keine Vorschläge, aber ich denke, wenn ich anfange zu suchen, werde ich etwas finden. Natürlich sind wir als Repräsentanten des ukrainischen Pavillons hier in Venedig sehr privilegiert. Wir bekommen eine Menge Aufmerksamkeit. Ich hoffe, das wird uns wirklich helfen.

PM: Ich habe im Moment keine Pläne. Auf jeden Fall möchte ich in die Ukraine zurückkehren, um meinen Sohn zu sehen, der das Land nicht verlassen kann. Wir haben auch Ideen mit Kuratoren, um bis Ende des Jahres eine große Ausstellung hier in Italien zu machen. Natürlich wollen wir zurückkehren, und das werden wir eines Tages auch. Ich möchte weiterhin in meinem Land arbeiten. Mir ist schon jetzt klar, dass ich nicht in der Lage sein werde, eine Sprache zu finden, um durch meine Kunst über den Krieg zu sprechen. Das braucht Zeit. Ich habe in meiner Kunst bereits den Krieg im Donbass thematisiert, der 2014 mit der russischen Invasion begann. Aber das war eine Art halb eingefrorener Krieg, man hatte immer noch das Gefühl, dass er sich nicht ausweiten und in einer so großen Tragödie enden wird. Jetzt ist es eine Tragödie für die ganze Welt, es ist ein von Russland begangener Völkermord. Ich habe meine Beziehungen zu Russland bereits 2014 abgebrochen. Aus diesem Grund muss ich erst einmal den Mut, die Kraft und die Emotionen finden, um zu arbeiten, was sehr schwierig ist, wenn der wahre Krieg in unsere Realität eindringt. Als ich die Bombardierungen 500 Meter vom Haus meiner Mutter entfernt hörte, als ich sie wegbrachte, wurde mir klar, dass ich den Krieg nicht zeichnen oder mir ein Bild davon machen kann. Ich kann immer noch keine Sprache für ein solches Verbrechen finden. 


Um den Ukraine-Krieg auf der Venedig-Biennale geht es auch in der aktuellen Folge von Monopol TV. Zum Anschauen des Videos bitte "Inhalte aktivieren" anklicken: