Ukrainischer Fotograf im Exil

"Zeigen, was wir verloren haben"

In Charkiw leitete Wladimir Ogloblin eine Fotoschule. Nach seiner Flucht aus der Ukraine wusste der Künstler zunächst nicht, was er ohne Sprachkenntnisse in Deutschland machen sollte. Jetzt will er mit seinen Bildern für sein Heimatland kämpfen

Nur mit zwei Kameras und einem Laptop ist der ukrainische Fotograf Wladimir Ogloblin im Frühjahr 2022 vor dem russischen Angriffskrieg aus seiner Heimat Charkiw geflohen. Seine Akademie für junge Fotografinnen und Fotografen sei ein Trümmerhaufen, sagt der 68-Jährige. Eine Rakete habe das Gebäude und damit auch seine Arbeit der vergangenen 25 Jahre zerstört. Angekommen in Deutschland ohne Sprachkenntnisse hatte er zunächst keine Idee, was er mache sollte, wie er erzählt.

"Dass ich die Hahnemühle gefunden habe, war ein Wunder", betont der Künstler. Seine frühere Schülerin und Fotografie-Kollegin Elena Dolzhenko übersetzt ins Englische. Die Hahnemühle ist ein Unternehmen im südniedersächsischen Dassel, das hochwertige Papiere herstellt. Ogloblin wohnt jetzt in einem Dorf in der Nähe. Bereits in den ersten Tagen nach seiner Flucht fand er Trost im Fotografieren seiner Umgebung. "Ich habe hier sehr schöne Landschaften gefunden", sagt er. "Wir waren mit der Kamera auf quasi allen Dächern von Einbeck und in den Kirchen in der Umgebung."

Ausstellungen zu machen, ist für den Künstler überlebenswichtig, das galt schon vor dem Krieg. Jede sei wie die Geburt eines neuen Sterns, sagt er. Weder Dichter noch bildende Künstler seien für sich selbst schöpferisch tätig. "Wir müssen und wollen es dem Publikum zeigen." Mit Unterstützung des Papierherstellers sind inzwischen auch in Niedersachsen mehrere Ausstellungen entstanden.

Überlebenswichtige Ausstellungen

"Die erste Ausstellung in Einbeck haben wir wegen der Sprachbarriere mit Hilfe von Übersetzungs-Apps organisiert", erzählt Bettina Scheerbarth von der Hahnemühle. Es sei eine intensive und berührende Zusammenarbeit gewesen, insbesondere als Wladimir Ogloblin die Geschichten zu den friedlichen Bildern erzählt habe.

Noch bis zum 12. März zeigt das Hoffmann-von-Fallersleben-Museum in Wolfsburg großformatige Fotografien unter dem Titel "Charkiw", wegen des großen Besucherinteresses wurde die Schau verlängert. Es sind poetische Bilder aus der ostukrainischen Millionenmetropole in Friedenszeiten, die Ogloblin bei Spaziergängen festhielt. "Es geht um das friedliche Leben in Charkiw. Wir wollen zeigen, was wir verloren haben", sagt der studierte Historiker, der vor der Gründung seiner Fotoschule eine Werbeagentur leitete.

Die Bilder seiner Kollegin Dolzhenko in der Wolfsburger Schau dokumentieren die Zerstörung durch den Krieg und das Leid der Menschen. Sie hat als Fotojournalistin eine Akkreditierung bei der ukrainischen Armee und pendelt zwischen Deutschland und ihrer Heimat. Derzeit suchen beide Geldgeber für weitere Ausstellungen mit aktuellen Bildern aus dem Krieg. Die Aufmerksamkeit in Europa sei geringer geworden, dabei habe sich fast nichts geändert, sagt die Fotografin: "Menschen sterben." Der zunächst geheim gehaltene Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im zerstörten Charkiw am 10. Januar sei immens wichtig gewesen.

Sinkendes Interesse am Ukraine-Krieg

Bis zum 2. Februar gastiert eine andere Schau Ogloblins mit dem Titel "Von Horizont zu Horizont" in der Marienkirche in Aerzen bei Hameln. Präsentiert werden Landschaftsaufnahmen und Porträts aus Charkiw vor dem Krieg, ergänzt durch Aufnahmen aus der Solling-Vogler-Region. Vor dem russischen Angriff bereiste Obgloblin mit seiner Kamera mehr als 40 Länder.

"Es war eine schreckliche Situation", erinnert er sich an den Kriegsausbruch. Sein erster Impuls sei gewesen, sich der Verteidigung seines Landes anzuschließen. Wegen seines hohen Alters sei es aber besser, auf andere Weise für die Ukraine zu kämpfen, nämlich indem er den Menschen in Deutschland die Situation nahebringe. Während der ersten Ausstellung in Einbeck wurden Bilder verkauft, so dass mehr als 4000 Euro für die humanitäre Hilfe in Charkiw zusammenkamen.

"Ich habe jetzt realisiert, dass ich auch hier helfen kann", betont Ogloblin. Zurückkehren nach Charkiw will er aber auf jeden Fall, sobald das irgendwie möglich ist. "Wir müssen das Heimatland wieder aufbauen", sagt er. "Deutschland war vorher für mich nur ein Fleck auf der Landkarte, jetzt möchte ich meine Erfahrungen aus Deutschland in die Ukraine mitnehmen und beide Länder einander näher bringen."