Kolumne

Ungelegte Eier (2)

Die zweite Runde der "Ungelegte Eier"-Kolumne. Die Herausforderung als Gastgeber: Im Essen Eier unterzubringen, obwohl die Gäste keine Eier essen. Die Herausforderung als Kolumnist: Gästen gerecht zu werden, die sich an keine Regeln halten, weil sie nicht ein, sondern gleich zwei, drei oder noch mehr ungelegte Eier mitbringen

Meine kleine Tischgesellschaft besteht diesmal aus den Künstlern Björn Dahlem, Andreas Greiner und Lisa Seebach, den beiden Kuratoren Lutz Henke und Lydia Korndörfer sowie der der Architektin Gesine Weinmiller.

Gesine Weinmiller outet sich gleich als Eierexpertin, ihr Großvater Lothar Weinmiller war Hühnerzüchter. Ihn trieb unter anderem die Frage um, wie man Hühner auch auf wenig Raum zum Eierlegen bewegt. Womit wir bei den Legebatterien wären. Wie alle Architekten blickt sie auf viele ungelegte Eier zurück, denen sie meistens schon aus professionellem Selbsterhaltungstrieb nicht lange hinterhertrauert. Aber eines der Eier, die sie immer noch gerne ausbrüten würde, ist ihr – abgelehnter – Wettbewerbsbeitrag für das Berliner Einheitsdenkmal. Sie hat aber auch ein Ei dabei, das vielleicht noch gelegt werden wird: an einer Kunsthochschule Bildhauer eine architektonische Perspektive auf Raum nahebringen. Vielleicht wird daraus ja mal was an der HFBK Hamburg, wo Gesine Weinmiller von 2000 bis 2005 unterrichtete.

Lydia Korndörfer berichtet von dem Eiertanz, den sie ständig zwischen ihrer kuratorischen Praxis, dem alltäglichem Geldverdienen und ihrem Promotionsvorhaben vollführen muss. In dieser will sie sich mit den Botschaften auseinandersetzen, die als Vermächtnisse der Menschheit ins All geschickt werden. Ihr wissenschaftliches Interesse überschneidet sich mit dem kuratorischen, ab dem 22. Juni ist ihre Ausstellung "Hey Mars" im Haus am Lützowplatz in Berlin zu sehen. Dementsprechend konsequent ist ihr ungelegtes Ei: eine eigene Botschaft ins All senden. Inhalt muss allerdings noch ausgebrütet werden.

Gesine Weinmiller und Lydia Korndörfer

Gesine Weinmiller und Lydia Korndörfer


Lisa Seebach, deren Ausstellung "When the Stage Turns Dark Tomorrow" bis vor Kurzem im Kunstverein Braunschweig zu sehen war, stellt erstmal die Sinnfrage. Muss ein Ei überhaupt gelegt werden? Wäre man glücklicher, wenn man alle ungelegten Eier … Bevor wir uns in diese Frage vertiefen, rückt sie aber ein sehr konkretes Ei heraus, das direkt an die architektonische Raumfrage anknüpft. Lisa Seebach wird oft die Frage gestellt, wie ihre Skulpturen transportiert werden sollen. Aus pragmatischer Sicht wäre es sinnvoll, die Skulpturen zu zerlegen, aber dann, so Lisa Seebach, sind es keine Skulpturen mehr. Die Konsequenz: Sie muss viel Luft transportieren, was sehr unökonomisch, geradezu verschwenderisch sei. Wobei am Tisch sich alle einig sind, das Kunst verschwenderisch sein darf, ja vielleicht sein muss.

Wie Lydia Korndörfer beschäftigt auch Björn Dahlem sich mit dem Weltraum, wovon man sich gut in seiner aktuellen Ausstellung "Club Strangeness (Hubble Ultra Deep Space)" überzeugen kann, die noch bis zum 8. Juni in der Galerie Guido W. Baudach in Berlin zu sehen ist. Er ist ein Ei-Fetischist. Nicht nur, dass er gerne Eier ist, er bringt sie auch in seinen Kunstwerken unter, in der aktuellen Ausstellung zum Beispiel ein ausgeblasenes Wachtelei. Er hat zwei ungelegte Eier dabei. Er träumt davon, einmal ein Edelrestaurant zu eröffnen. Es soll "Zur Kirchenmaus" heißen und tautologische Küche anbieten, also Gerichte, deren Zutaten in sich selbst gekocht sind. Anschauliches Beispiel: Onsen-Ei im Eimantel. Doch das Ei treibt Björn Dahlem noch viel grundsätzlich um. Denn dem Ei ist, so Björn Dahlem, ein Erwartungsgedanke eingeschrieben, das ungelegte Ei ist utopisch, weil es das Versprechen einer Alternative zur Wirklichkeit in sich trägt. Doch wenn die Utopie dann aber umgesetzt werden soll, so Björn Dahlem, entpuppt sie sich häufig als faules Ei. Sein ungelegtes Ei ist deshalb die Abschaffung der Zukunft.

Lisa Seebach und Björn Dahlem

Lisa Seebach und Björn Dahlem


Wer bei Eiern an Hühner denkt, kommt nicht an Andreas Greiner vorbei, zumindest, wenn man das acht Meter hohe Hühnerskelett kennt, das er 2016 in der Berlinischen Galerie gezeigt hat. Im Moment beschäftigt er sich mit Kohlendioxid, Bäumen und dem Wald. Aus Interesse an Landschaftsmalerei füttert er seit 2017 eine Künstliche Intelligenz mit Bildern von Wäldern, zuletzt war er im Hambacher Forst. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Und er setzt sich mit den Absurditäten des Kunstsystems auseinander, in dem zum einen utopisch gedacht und andererseits extrem pragmatisch und ökonomisch gehandelt wird. Über Nachhaltigkeit nachdenken und dafür nach Venedig fliegen. Dieser Logik will er sich nun entziehen, und pflanzt deshalb Bäume. Nächstes Etappenziel: 1000 Anpflanzungen.

Der letzte in der Runde ist Lutz Henke. Er erklärt, dass er kein Künstler sei und auch keiner seien wolle, sondern lieber an der Schnittstelle von Kunst und Gesellschaft agiere. Er hat eine Vorliebe für megalomane Eier, die manchmal auch erst nach zehn Jahren gelegt werden. Als Beleg hat einen ganzen Korb voll prächtiger Eier dabei, sie reichen von der Antarktis bis zum Teufelsberg. Und auch sein ungelegtes Ei hat es in sich. Denn anders als Björn Dahlem glaubt er an die Utopie. Voller Begeisterung erzählt er von einem utopischen Ei – um mich später zu bitten, darüber doch nicht zu berichten. Das Ei sei noch so ungelegt, dass es noch geheim bleiben muss.

Andreas Greiner und Lutz Henke

Andreas Greiner und Lutz Henke


Womit alle Spannungsfelder der zeitgenössischen Kunst auf dem Tisch liegen: Nachhaltigkeit und Verschwendung, Utopie und Pragmatismus, Darstellungswünsche und Exklusivitätsverpflichtungen. Das Mittagessen nimmt kein Ende, wir reden über Greta und C02-Kompensation, über Kunst und Mehrwert, über Instrumentalisierung und Maden. Wir trinken zehn Kannen schwarzen Tee, und um 19.30 Uhr habe ich für alle, die noch da waren, Spaghetti mit Kürbis und grünem Spargel gekocht. Und was habe ich dabei gelernt? Ungelegte Eier sind ergebnisoffen.