Vagina-Museum in London

Schluss mit der Scham

In London gibt es jetzt ein Vagina-Museum, das mit Mythen und Vorurteilen über das Geschlechtsorgan aufräumt. Die Ausstellung ist ein wenig brav - aber längst überfällig

Rot glitzert das Blut, weiß leuchtet die Wolle. Schön sieht es aus, das Riesentampon, das einen zentralen Platz in der aktuellen Ausstellung im neuen Vagina-Museum in London einnimmt. Und tatsächlich stellen sich Besucherinnen und Besucher davor, um Fotos zu machen. Und das, obwohl sonst alles, was aus der Vulva herauskommt, bei den meisten Menschen (ausgenommen kleine Kinder) genau das Gegenteil auslöst: Ekel, Abscheu, Schweigen.  

Wie tabuisiert die Vulva noch immer ist, zeigt eine aktuelle Studie aus Großbritannien: 60 Prozent der Frauen können sie auf einer anatomischen Abbildung nicht identifizieren. Eines von vier Mädchen weiß laut derselben Studie nicht, dass es eine Regelblutung gibt, bis sie das erste Mal selber eine hat. Und das Wissen über die Klitoris, systematisch aus medizinischen und anatomischen Lehrbüchern verbannt, ist vergleichbar mit der Eisbergspitze, welche der Kapitän der Titanic unterschätzte: Der größte Teil des Organs ist unsichtbar und im Körperinneren verborgen.

All das lernt man in der ersten Ausstellung des Londoner Vagina-Museums, die über die vielen Mythen und Falschinformationen aufklärt, welche über Jahrhunderte aus dem Unwissen und der Sprachlosigkeit über die Vulva entstanden sind. Das geht schon bei den Begriffen los: Die Vagina bezeichnet eigentlich nur den inneren Teil des Geschlechts, quasi den Kanal. Die Vulva hingegen bezeichnet den äußeren, sichtbaren Teil. Was also im Volksmund benannt werden darf, ist das Unsichtbare - unzeigbar, unsagbar, auch genannt "da unten".

Mini-Vulven im Museumsshop

"Schluss damit", dachten sich Florence Schechter, Zoe Williams und Sarah Creed und gründeten vor zwei Jahren in Großbritannien ein Projekt mit Pop-Ups und Wanderausstellungen über die Vagina. Sie waren damit so erfolgreich, dass sie nun einen dauerhaften Standort in London gefunden haben, ein wenig versteckt in einem kleinen Backsteingebäude mitten auf dem wuseligen Gelände der Camden Markets, auf das jedes Wochenende über 100.000 Menschen kommen. Im Museumsshop werden Ohrringe mit zartrosa glänzenden Mini-Vulven verkauft. Mehr Mainstream geht kaum.

Ganz pädagogisch wird in der kleinen Halle auf Texttafeln mit einfachen Illustrationen aufgeklärt: Dass die Vagina von viel Sex nicht ausleiert. Dass Jungfräulichkeit eine kulturelle Erfindung ist. Dass die rostroten und gebleichten Flecken in der Unterhose von saurem Schleim kommen, der gesund und völlig normal ist. Dass Schamhaare eine durchaus sinnvolle Funktion haben, weil sie Bakterien abhalten. Dass nicht nur Frauen eine Vagina haben, sondern auch intersexuelle Menschen oder trans Männer. Dass der weltweite Markt für Hygieneprodukte für Menschen mit Vagina 24.350.300.000 Dollar beträgt. Und dass es, anders als bis heute in einigen Regionen geglaubt und praktiziert, keine Verhütungsmethode ist, die Vagina nach dem Sex mit Coca Cola auszuspülen. Kein Witz.

Schulbuch-Aufklärung statt Komplexität

Ein wenig schulaufklärungs-didaktisch kommt die übersichtliche Ausstellung daher, die zwar hübsch illustriert ist, aber auf Objekte aus der bildenden Kunst fast vollständig verzichtet. Damit opfert sie auch Komplexität und ein Stück Weitsicht, denn in der zeitgenössischen Kunst setzen sich immer mehr Künstlerinnen facettenreich mit dem Thema auseinander. Der Wunsch nach einem unkomplizierten, niedrigschwelligen Angebot zeigt sich auch im Namen des Museums: Soziokulturell akzeptiert heißt es eben Vagina-Museum, nicht etwa Vulva-Museum.

Das ist einfach zu verzeihen, weil gleich zu Beginn in wenigen Sätzen noch einmal einleuchtend die wohl wichtigste Frage geklärt wird: Warum braucht es überhaupt ein Vagina-Museum? Antwort: Weil die Hälfte der Bevölkerung eine hat, aber sie trotzdem im Leben so viele Menschen noch immer stigmatisiert oder schamvoll ins Unsagbare verbannt wird.

Auf der anderes Seite: eine Prozession der Riesenpenisse

Umgekehrt übrigens der Penis, der hier bewusst in einen der hinteren Absätze verbannt wird: Der darf sich seit jeher ausbreiten, je größer desto besser, ob im Porno (wo hingegen Frauen ihre inneren Schamlippen teilweise "wegstecken"), oder in Japan, wo jedes Jahr ein "Fest des stählernen Penis" gefeiert wird. Stolz prozessieren dort meterhohe Riesenpenisse durch die Straßen, eine absurde Machtdemonstration der patriarchalen Ordnung.

Die Vulva hingegen, das Gegenteil: möglichst wenig sichtbar möge sie bitte sein. Die Vagina Dentata, die bezahnte Vagina, ist ein kulturgeschichtliches Symbol dafür, was aus der lustvollen, sich öffnenden Vagina wird: Ein fleischfressendes Monster. Hure, Heilige, Mutter, das sind die Rollen, die Frauen lange Zeit zustanden.

Frauen wollen immer noch "wie Brötchen" aussehen

Die beschränkte Vorstellung gilt auch für ihr Geschlechtsorgan. Und obwohl Künstlerinnen seit den 60er-Jahren mit radikaler Body Art dagegen vorgingen: Das Idealbild ist bis heute, "wie Brötchen" auszusehen, und Schönheitschirurgen auf der ganzen Welt operieren es nach Wunsch herbei. Klein, geschlossen, streng begrenzt. Die herauslappenden Schamlippen werden einfach abgeschnitten, ohne Wissen über Langzeitfolgen, ohne das Organ gut zu kennen oder gar zu würdigen.

Erneut sind es junge Frauen, welche dagegen ankämpfen und versuchen, die Vulva im Mainstream zu etablieren. Es ist gut, dass sie nun ein eigenes Museum hat, in dem sie sich in aller Öffentlichkeit ausbreiten darf.