Debatte

Verkauft den Richter!

Foto: dpa
Foto: dpa
In Bielefeld hat der Vorschlag, eine Gerhard Richter-Arbeit aus der Kunsthalle zu verkaufen, für Aufregung gesorgt

Museen wollen den westlichen Kanon aufweichen und Kunstgeschichte nicht mehr linear erzählen. Doch der Verkauf eines Werkes aus der eigenen Sammlung bleibt ein großes Tabu. Wieso eigentlich, fragt Daniel Völzke Kürzlich war es mal wieder soweit: Ein Politiker – diesmal der Oberbürgermeister von Bielefeld – machte eine einfache Rechnung auf. Für den Gegenwert eines Bildes von Gerhard Richter aus der Sammlung der städtischen Kunsthalle könne man doch "locker einen Kunsthallenanbau finanzieren", sagte Pit Clausen in einer Rede. Der Stadt liege nämlich ein Angebot eines US-Kunstsammlers im "zweistelligen Millionenbereich" für eines der beiden Richter-Bilder im Besitz der Institution vor.

Ein Aufschrei ging durch den Rat der Stadt: "Der Auftrag der Kunsthalle heißt, Kunst zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen", widersprach sogar ein Parteifreund. Ein FDP-Politiker sah in Clausens Gedankenspiel eine besondere Respektlosigkeit, es sei peinlich, ja, ein Imageschaden für Bielefeld, wenn man ans "Tafelsilber" gehen will. "Mit öffentlichen Mitteln erworbene Kunstwerke gehören in öffentliche Sammlungen", sagte eine Linke-Politikerin.

Die Kunsthalle selbst, die gerade mit einer Ausstellung 50-jähriges Jubiläum feiert, schweigt zu den Vorgängen. Verständlich: Schließlich hat die Institution nie erwägt, die Bilder zu verkaufen. Das Angebot des Kunstsammlers ging an die Stadt und wurde offenbar von dem vermittelnden Kunstberater öffentlich gemacht. Inzwischen will auch der OB alles nicht so gemeint haben. Der SPD-Politiker betont, Ziel der Kunsthalle sei es, Kunstobjekte für die Nachwelt zu bewahren.

Stimmt schon. Und doch: Was wäre eigentlich so falsch daran, wenn Museen und Ausstellungshäuser Werke aus ihrer Sammlung verkaufen? Schließlich rebellieren doch gerade viele Institutionen gegen einen Kanon, den sie selbst im 20. Jahrhundert geprägt haben. "Wir wollen klarmachen, dass die Sammlung nicht in Stein gemeißelt ist", formulierte etwa Glen Lowry kürzlich im Monopol-Interview seine Pläne für das von ihm geleitete New Yorker Museum of Modern Art. Von "Missverständnissen der Moderne" sprach Max Hollein im Sommer, bevor er den Posten als Direktor am Metropolitan Museum in New York antrat. Der Österreicher wünscht sich für sein Haus einen breiteren, überraschenden Dialog zwischen Stilen und Epochen. Auch in Deutschland ist dieses Bemühen, den Kanon aufzuweichen und andere Narrative zuzulassen, überall zu spüren. Das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte große Ausstellungs- und Forschungsprojekt "Museum Global" etwa will Brüche und Nebenwege in den Museumssammlungen aufzeigen.

Nur: Aus all diesen begrüßenswerten Vorhaben folgt nie, dass ein Haus Platz schafft im Depot. Die Entscheidungen von zumeist männlichen, westlich orientierten Direktoren und Ankaufskommissionen, die vor langer Zeit getroffen wurden, sind offenbar für alle Ewigkeiten unwiderruflich. Ein Ausstellungshaus muss erst in eine Notlage geraten, um wirklich einmal die Sammlung anzutasten.

So wie vor acht Jahren das Weserburg Museum. Das Haus, das als Sammlermuseum auch nur zum Teil öffentlich finanziert wird, hatte damals Gerhard Richters Werk "Matrosen" von 1966 in New York für umgerechnet fast zehn Millionen Euro versteigern lassen. Der Erlös aus diesem und weiterer Verkäufe wurde in einen Zukunftsfonds gesteckt, der dringend notwendige Sanierungen finanzierte.

Die konservatorische Lagerung, die Versicherung von Kunst und der Unterhalt der Depots kosten Geld. Viele Werke bekommen die Museumsbesucher dabei so gut wie nie zu Gesicht – häufig weil ihre kunstgeschichtliche Relevanz mittlerweile in Frage steht. Auf dem Markt könnten sie immerhin nach dessen Kriterien neu evaluiert werden.

Natürlich sollen Museen ihre Sammlung pflegen und für die Nachwelt erhalten, so steht es im Verhaltenskodex des International Council of Museums (ICOM), das in Zusammenarbeit mit der UNESCO als globale Kontrollinstanz gegründet wurde. Doch es gibt Ausnahmen. In einem "Positionspapier zur Problematik der Abgabe von Sammlungsgut", das ICOM-Deutschland und der Deutsche Museumsbund 2004 verabschiedet haben, heißt es: "Im Zuge der Weiterentwicklung von Sammlungskonzeptionen kann es im Einzelfall jedoch sinnvoll sein, dass ein Museum sich von einzelnen Objekten trennt." Es ist ein komplizierter Vorgang, und bevor ein Werk auf den Markt kommt, muss es mindestens drei anderen Museen angeboten werden. Vielleicht scheuen viele Museumsleiter auch deshalb diesen Schritt. Aber er ist möglich.

Einen Anbau dürfen Museen sich von ihren verkauften Richters allerdings nicht kaufen: "Finanzielle Erlöse aus der Veräußerung von Sammlungsgut sind ausschließlich für neue Erwerbungen für die Sammlungen des Museums zu verwenden", heißt es im Positionspapier. Aber nicht nur in diesem Punkt muss man den Bielefelder OB enttäuschen. Zwar stammen die beiden Bielefelder Richter-Bilder mit den Titeln "Kelch" und "Kurs" (für welches der Werke ein Angebot vorliegt, ist nicht durchgesickert) von 1981 und 1989 und fallen so nicht unter das Kulturgutschutzgesetz. Aber wie solle man argumentieren, dass es kein öffentliches Interesse an ihnen gibt, solange jede Richter-Ausstellung in der Republik Besucherrekorde einfährt?

Das ist nur einer der vielen Einsprüche, mit denen jemand rechnen muss, der  die Sammlung mit Verkäufen lebendig halten will: dass kunsthistorische Relevanz, öffentliches Interesse und Marktwert dann doch oft zusammenfallen, einer Verkauf also entweder der Bewahrungspficht eines Museums widerspricht - oder schlicht nicht lohnt. Auch muss ein Museum befürchten, nie wieder Kunst geschenkt zu bekommen, wenn Mäzene sich sorgen müssen, dass ihre Gaben wieder verkauft werden.

Es bleibt also kompliziert. Das Museum muss seine bisherige Sammlungsgeschichte reflektieren, erweitern und neu kontextualisieren - und dabei weiter mit dem Bestand arbeiten. In Bielefeld hat das Aussprechen des Tabus immerhin wie eine geheime Zauberformel etwas bewirkt: Der Rat der Stadt will nun Leitlinien erarbeiten, wie grundsätzlich mit kommunalen Kunstbesitz umgegangen werden soll. Und die Kunsthalle, die seit 1996 mit keinem Ankaufsetat der Stadt mehr ausgestattet ist, soll ab 2020 wieder Geld für Einkäufe erhalten.

Gerhard Richter selbst sah den Verkauf seiner "Matrosen" damals übrigens gelassen: "Ehrlich gesagt begreife ich die ganze Aufregung nicht ganz. Ich finde es folgerichtig und völlig in Ordnung. Auch Museen entwickeln sich, nichts bleibt wie es ist."