Architekturfotografie von Veronika Kellndorfer

Wenn Bilder Räume werden

Veronica Kellndorfer, Installationsansicht Mies Van Der Rohe Haus, 2020
Foto: Ulrich Schwarz, courtesy Veronika Kellndorfer und Mies van der Rohe Haus

Veronika Kellndorfer, Installationsansicht Mies van der Rohe Haus, 2020

Die Künstlerin Veronika Kellndorfer verlegt die Neue Nationalgalerie ins Berliner Mies van der Rohe Haus – und führt damit zwei Bauten des Meisters der Moderne in einer vielschichtigen Ausstellung zusammen 

Lockdown hin oder her, man konnte in den vergangenen fünf Jahren ohnehin nicht in die Neue Nationalgalerie hinein - und kann es auch bis mindestens Jahresende nicht. Der Berliner Prestigebau, von Ludwig Mies van der Rohe entworfen und 1968 fertiggestellt, wird gerade unter Federführung des Architekten David Chipperfield saniert. Doch es gibt andere Möglichkeiten, die Bauten des Meisters zu erfahren, wie im Mies van der Rohe Haus in Alt-Hohenschönhausen bereits in der ersten Jahreshälfte bewiesen wurde. Die Schau "Modell Mies" zeigte mit einer Reihe von "Gedankenmodellen" die Architektur des großen Konstrukteurs der Moderne en miniature. Und jetzt stellt die Berliner Künstlerin Veronika Kellndorfer fotobasierte Werke aus – im 1933 von Mies erbauten Landhaus Lemke, dem letzten von Mies vor seiner Emigration entworfenen Haus in Deutschland, das seit langem als Kunstpavillon genutzt wird.

Architektur ist dreidimensional, ein Foto flach. Gebautes lässt sich oft schwer ins Bild setzen, die Neue Nationalgalerie liefert dafür ein Musterbeispiel. "Mies’ Bauten scheinen den sie umgebenden Raum aufzuladen, sie erzeugen Territorien", schrieb das Architektenpaar Alison und Peter Smithson. Architektur und Außenraum durchdringen sich bei Mies’ einzigem deutschen Nachkriegsbau auf besondere Weise – und die Kamera muss kapitulieren.

Veronika Kellndorfer versucht gar nicht erst, das Wesen der ikonischen Architektur zu zeigen, als Architekturfotografin versteht sie sich nicht. Kellndorfer schafft Werke um Bauwerke der Moderne, die Künstlerin reflektiert darüber, wie sich Gesellschaft in Baukunst manifestiert. Ihr Portfolio umfasst Architektur-Ikonen von Rudolph M. Schindler, Lina Bo Bardi oder Erich Mendelsohn, aber die Künstlerin hat sich auch schon anonymen Wohnblocks deutscher Aufbauarchitektur gewidmet.

Innen- und Außenräume fließen ineinander

Nun also Mies van der Rohe: Kurz vor Sanierungsbeginn 2015 konnte die Künstlerin noch im leergeräumten Innenraum der Nationalgalerie fotografieren. In ihrer Ausstellung im Mies Haus tauchen die schwarz-weißen Ansichten als Siebdrucke auf großen Glasscheiben wieder auf.

Üblicherweise tritt Fotografie als Medium vor dem Sujet in den Hintergrund. Nur Experten sinnieren über die Qualität des Fotopapiers. Kellndorfers Glasbilder lösen sich dagegen vom Abbildhaften. Und sie dekonstruieren oder verdichten die architektonischen Räume, mitunter lassen sie sie auch verschwimmen. Wie durch einen trüben Vorhang blickt man auf die mit Marmor verkleideten Belüftungschächte des Mies-Baus ("Ventilation Shafts"). Die Eigenarten und "Fehler" der Medien werden von Kellndorfer offengelegt. Wo eine Architekturfotografin störende Reflexe wegfiltern würde, lässt Kellndorfer die Spiegelungen zu, sodass Innen- und Außenräume ineinander fließen. Zusätzlich spielen sich Realraum und Betrachter in den bedruckten Glas-Screens. Das Vielschichtige kann bei Kellndorfer ins Opake umschlagen. Darin zeigt sich der kritische Ansatz der Künstlerin: Mies’ Glasfassade zeigt sich transparent und offen, was dem Zustand der Gesellschaft weder entsprach noch entspricht.

In der "Screens and Sieves" betitelten Soloschau zeigt Kellndorfer auch das Sieb, mit denen der "Ventilation Shafts"-Druck hergestellt wurde. Wie Bilder entstehen – auch ohne autoritative Geste – diese für sie zentrale Fragestellung demonstriert die Künstlerin mit einem Werkzeug, dessen rot-blaue Färbung technisch begründet ist. Auch der Alurahmen des Siebs, das textile Gewebe, diese Materialien sind Mittel zum Zweck und nicht Ergebnis künstlerischer Entscheidungen.

Bogen von der europäischen zur amerikanischen Phase

Es geht Veronika Kellndorfer um Raum, Zeit und Bild. Doch fraglos prägen Leben und Werk Mies van der Rohes die Ausstellung. Indem sie die Neue Nationalgalerie virtuell in die ehemalige Lemke-Villa stellt, schlägt Kellndorfer einen weiten Bogen von der europäischen zur amerikanischen Phase des Architekten. Dem bescheideneren Ansatz des frühen Mies, der die Wünsche des Fabrikantenehepaars berücksichtigte, entsprechen zwei kleine Kellndorfer-Skulpturen im ehemaligen Wohnzimmer – Bildträger mit Haus-Lemke-Ansichten und Quasi-Architekturen zugleich. Die speziell farbbeschichteten Gläser, jeweils drei „Wände“ sind zu einer Kleinskulptur aneinandergefügt, schimmern psychedelisch.

Vergleichsweise wuchtig wirken die vier bedruckten Glastafeln der Arbeit "National Gallery, Shortly Before Renovation". Die englischen Titel rühren übrigens von der zweiten Architektur-Biennale Chicago her, auf der Kellndorfer den Zyklus erstmals präsentierte. Für "National Gallery" hat die Künstlerin vier Fenster-Segmente des Berliner Museumsgebäudes frontal fotografiert, das Bild ist derart zerschnitten, dass die abgebildeten Stahlrahmen wie Einfassungen der vier realen Glasteile erscheinen. Die Schrägstellung des Werks verstärkt noch den Vexiereffekt: Einmal öffnet sich das Bild wie ein Fenster – dann wieder drängen die Tafeln wie dreidimensionale Objekte ins Wohnzimmer. Eine starke Ausstellung, weit mehr als nur Surrogat für Ungeduldige, die schon am Bauzaun an der Potsdamer Straße kratzen. Und wer nur die Nationalgalerie kennt, sollte Mies’ Villa ohnehin dringend besuchen.