Skurrile Archivfotos

Verstehen Sie Stasi?

Die Staatssicherheit ist gescheitert, aber die Fotos sind noch da: Simon Menner hat Bilder aus dem Stasi-Archiv gezogen, die bizarr, lustig und furchteinflößend sind

Warum fotografiert jemand ein zerwühltes Doppelbett? Man könnte bei Susan Sontag nachschlagen, die in einem ihrer Essays allen Fotografen das "Interesse daran, dass die Dinge bleiben, wie sie sind", unterstellt. Ihr Wunsch sei, am "Status quo festzuhalten". Auf kuriose Weise trifft Sontags Postulat sogar auf das Polaroid von einem Teddybären zwischen zerknautschten Bettdecken zu, eines von Bildern, die Simon Menner in den Archiven der Staatssicherheit gefunden hat. Die Aufnahme wurde während einer heimlichen Wohnungsdurchsuchung von Stasi-Mitarbeitern gemacht – um die Wäsche wie das Kuscheltier nach der Aktion wieder in die ursprüngliche Position bringen zu können. Solche Vertuschungen waren meistens erfolgreich. Viele Ausgespähte erfuhren erst nach 1989 von den Einbrüchen der Staatsmacht.

Die Staatssicherheit ist gescheitert. Die Dinge blieben nicht, wie sie waren. Aber die Fotos sind noch da. Simon Menner hat über zwei Jahre im Archiv der Stasi-Unterlagen-Behörde recherchiert und die Fundstücke thematisch gegliedert. Die Zusammenstellung bietet gleichermaßen Informatives, Erschreckendes und Amüsantes. Helge Schneider könnte mit den Strickjacken, Sonnenbrillen, falschen Bärten und Perücken aus einem Verkleidungsseminar nicht lächerlicher wirken.

Aus der Serie "Die Firma" von Simon Menner
Courtesy Simon Menner

Aus der Serie "Die Firma" von Simon Menner

Hochkomisch – und hinsichtlich der Professionalität der damaligen Organe durchaus fragwürdig – ist auch die Abteilung "Verkleidung als westlicher Tourist“" Beamte werden mit Plastiktüten, Birkenstock-Sandalen und teuren Spiegelreflexkameras ausrüstet, um den Klassenfeind zu imitieren.

Seit Längerem interessiert sich der 1978 in Baden-Württemberg geborene Simon Menner für die mitunter winzigen Spuren von Realitäten, die der normalen Alltagswahrnehmung verborgen bleiben. Dass er zumindest ansatzweise noch an die erkenntnisfördernde Kraft der Fotografie glaubt, verbindet ihn mit dem US-Künstler Trevor Paglen, der Militärbasen oder Abhörsatelliten dokumentiert. Die von Menner 2005 in Chicago fotografierten Obdachlosen ("Metacity", 2005–09) waren unter ihrer schützenden Tarnung noch gerade auszumachen. Bei den Bildern seiner "Camouflage"-Serie von 2008 muss man Menner glauben, dass im Gestrüpp der abgelichteten Waldstücke Bundeswehr-Scharfschützen auf ihn zielen. Zu sehen sind sie nicht.

Die Stasi-Aufnahmen, zu denen 2013 das Buch "Top Secret – Bilder aus den Archiven der Staatssicherheit" erschienen ist und die nun in Berlin zu sehen sind, bieten eine Art Antithese: Was verborgen bleiben sollte, wird nun an die Rampe gestellt. Ob sich der Covermann mit hochgeklapptem Pelzkragen und Sonnenbrille im Einsatz bewährt hätte, ist ohnehin fraglich.