Kunstmesse Viennacontemporary

Phönix aus der Schlammschlacht

Die Viennacontemporary ist wegen wiederholter Querelen zwangsläufig die wandlungsfähigste unter den Kunstmessen. Nun zeigt sie sich mit neuem Konzept an einem prächtigen Ort und will auch politisch sein

Europa ist in den vergangenen Monaten enger zusammengerückt. Mit der Ukraine wurde ein vermeintlich fernes, vermeintlich fremdes Land plötzlich zum engsten Freund der Westeuropäer. Wobei: In Wien erzählen einem die Menschen, dass die Ukraine von hier aus eigentlich nie weit weg gewesen sei, und dass die Distanz täuschte. Österreich hat schon in den frühen 90-Jahren als eines der ersten Länder künstlerische Kooperationen mit der Ukraine aufgenommen. Wenn man in den Wiener Museen keine ukrainischen Künstler finde, dann liege das höchstens daran, dass sie dort als sowjetische Künstler geführt würden. Und überhaupt könnten die vielen ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Wien, die mehrheitlich urban, gebildet und künstlerisch begabt seien und von denen man noch vieles lernen könne, den Wienern gar nicht ähnlicher sein.

Für die künstlerische Leitung der Viennacontemporary war bei Kriegsbeginn klar, dass die Ukraine ihre volle Solidarität verdient. Die Vorbereitungen wurden über den Haufen geworfen, der Besitzer und die Rechtsform wechselten, das Board und die Aktionäre sind neu dabei – und nach viel Pech und Misswirtschaft in den letzten Jahren steht die diesjährige Ausgabe sogar unter dem Ehrenschutz des österreichischen Bundespräsidenten. Es geht also ums Ganze in Wien.

Zum neuen Konzept der Messe gehört, dass sie ab jetzt jedes Jahr ein anderes "Statement" zu einem brisanten Thema formulieren wird. Für das aktuelle "Statement Ukraine" hat sich das Team erfreulicherweise nicht auf seiner bisherigen Osteuropa-Expertise ausgeruht (von den 62 ausstellenden Galerien ist diesmal wie üblich etwa ein Drittel aus dieser Region), sondern hat möglichst viele neue Stimmen hinzugezogen. Eine solche ist die renommierte Kulturmanagerin und Diplomatin Yana Barinova, die in Odessa geboren wurde, in Kiew gewirkt hat und vom Krieg persönlich betroffen ist. "Der Völkermord hat meine Familie jetzt zweimal heimgesucht", sagte die Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden bei der Eröffnungsfeier der Messe am Donnerstag.

Galerie auf Rädern

Es war dieser historische Ernst, mit dem auch die Kiewer Galerie The Naked Room am prächtigsten Stand im Wiener Kursalon empfangen wurde. The Naked Room ist durch den Krieg so bekannt geworden, dass sie mittlerweile eine Galerie auf Rädern ist: Ihre Räume in Kiew dienen fortan als Archiv für externe Künstler, und Wien ist eine der ersten von vielen Stationen auf ihrer Europatour.

Mit dabei ist der ukrainische Künstler Pavlo Makov, dessen kunsthistorische Bedeutung dem wuchtigen Ambiente des Kursalons ebenbürtig war und der seit seinem Beitrag zur aktuellen Venedig-Biennale weltberühmt ist. Seine großformatigen Zeichnungen mit Tiefdruckverfahren setzen seiner Heimatstadt Charkiw ein surreales Denkmal, früher in düsteren Tönen, neuerdings in bunt. Für insgesamt 91.000 Euro konnte er gleich am ersten Messetag drei Bilder an eine noch anonyme Kulturinstitution verkaufen.

Der ukrainische Background allein ist aber kein Erfolgsgarant. Für die litauisch-ukrainische Galerie Tsekh gingen die Verkäufe eher schleppend los. In den Aquarellen des Ukrainers Ievgen Petrov (3000 bis 4000 Euro) sind die weißen Pitbulls oder die grauen Haie ein wiederkehrendes Symbol für Gefahr – für die aggressive Jugend, die Petrov verbracht habe und während derer sich Jugendliche gegenseitig gebissen hätten. Ein wenig zaghaft reagierten die anwesenden Sammler zunächst auf Petrovs Raubtiere, was dem Galeristen das Herz brach. Manche wichtigen Sammler hatten vor lauter Vorsicht die Viennacontemporary gemieden, die gerade erst wie ein Phönix aus der Schlammschlacht um ihren ehemaligen Träger (einen russischen Investor) aufstehen muss.

Atmosphäre eines Salons oder einer Boutique

Dabei hätten Ort und Präsentation gar nicht besser gelingen können. Der schöne Kursalon im Zentrum Wiens bietet drei Ebenen, von denen die oberste ein Konzertsaal und das Erdgeschoss ein Ballsaal ist. Die vielen Kronleuchter verleihen der Viennacontemporary die Atmosphäre eines Salons (für künstlerisch denkende Menschen), beziehungsweise einer Boutique (für wirtschaftlich orientierte Menschen). Viele künstlerische Positionen reagierten auf diese außergewöhnliche Kulisse. Bei der Wiener Galerie Thoman machte sich die Lichtkunst von Mai-Thu Perret (für jeweils 33.900 Euro) sehr schön und zeigte, dass sich barocke Formen in etwas Amorphes, Zeitloses verwandeln lassen.

Im Keller des Gebäudes wartet mit der Zone1 für Künstlerinnen und Künstler bis 40 Jahre ein starker Gegensatz: mit Betonhügeln auf dem Boden, bröckelnden Fliesen an den Wänden, sowie einem gut sichtbaren (und von den Künstlern teils thematisierten) Lagerraum. Möglichst "uninstitutionell" wurde die Zone1 von Tjaša Pogačar kuratiert, die im Kellergeschoss eine Metapher für den Untergrund sieht, in dem sich die aufstrebenden Positionen momentan noch befänden, bevor sie nach oben aufsteigen dürften. Einen "kritischen Spiegel" zur restlichen Messe erwartet sich der für oben zuständige künstlerische Leiter Boris Ondreička von dem Keller.

Fliesen und Beton sind die Materialien, mit denen sich die junge österreichische Künstlerin Schirin Charlot Djafar-Zadeh bestens auskennt. Bei der Wiener Galerie Suzie Shride erklärt sie die Fliesen, die ihr aus Nachtclubs und U-Bahn-Schächten vertraut sind, kurzerhand zum "Fresko unserer Gegenwart". Bei ihr ergeben die Fliesen das Bild eines Pitbulls (je 3400 Euro), mit dem sie die Modifikation von Körpern thematisiert, die je nach Sachlage entweder grausam oder empowernd sein könne. Einen Schutzengel in Schokoladen-Alufolie hat Djafar-Zadeh gleich am ersten Tag für 1400 Euro verkauft.

Preis an die "gefährlichste Frau der Welt"

Ein wenig vorhersehbar war, dass der Bildrecht Solo Award innerhalb der Zone1 an die Roma-Künstlerin Selma Selman gehen würde, die in ihren 31 Lebensjahren bereits einen erstaunlichen Weg zurückgelegt hat und auf der aktuellen Documenta zu sehen ist. Die Autoteile und Gasflaschen, die Selmans Familie für Geld ausschlachten und wiederverwerten muss, dienen ihr am Stand der Budapester Galerie acb als Leinwände für ihre kühnen Selbstporträts.

Selmans aufsehenerregende Werke (zwischen 5000 and 19.000 Euro) hatte sich schon vorab ein Shareholder der Messe reservieren lassen. Auf den Schwingen dieses Erfolgs getragen und von ihrer Roma-Community als Heldin gefeiert, wendet Selman gern magisches Denken an und bezeichnet sich in ihren Arbeiten nicht nur als gefährlichste Frau der Welt, sondern auch als Millionärin.

Auf Magie waren am ersten Messetag noch manche der Galeristen angewiesen, die sich mehr Verkäufe erwartet hätten. Für das Meckern der anderen gab es bei der Wiener Galerie Georg Kargl Fine Arts jedoch kein Verständnis – stattdessen ein strahlendes Lächeln über die prächtige Messe. Zwar war hier bisher nur ein Bild von Katrina Daschner verkauft worden, aber der Besucherstrom der Kuratorinnen und Direktoren sei niemals abgerissen. Und mit David Fesl und David Maljković hat die Galerie direkt eine Einladung zum gleichzeitig eröffneten Galerien-Festival Curated By ausgesprochen, in dessen Rahmen sie Fesl und Maljković zeigt. Insofern verstehe man die Viennacontemporary, die vielleicht die wandlungsfähigste unter den Kunstmessen ist, als eine langfristige Mission.