Virtuelle Architektur

Zu schön, um wahr zu sein

Foto: Hayden Clay Williams / Gestalten 2020
Foto: Hayden Clay Williams / Gestalten 2020

Design von Hayden Clay Williams, aus dem Buch "Dreamscapes & Artificial Architecture", Gestalten, 2020

Mit Architektursoftware entstehen Räume, die es nie geben wird. Wie verführerisch die aussehen können, zeigt ein neues Buch über virtuelle Traumbauten und die endlos verlängerte Adoleszenz

Wie besang Stephen Malkmus mit seiner Band Pavement 1999 das Dilemma junger Gebäude-Entwerfer? "Architecture students are like virgins with an itch they cannot scratch / never build a building 'til you’re 50 / I mean, what kinda life is that?" Eingedenk dessen ist es doch eine schön pragmatische Haltung, mit der junge Designer, Künstler und Gestalter architektonische Softwareprogramme zunehmend zweckentfremden: Als Planungsmethode für Räume und Landschaften, die gar nicht erst für die reale Umsetzung gedacht sind. 

Das Buch "Dreamscapes & Artificial Architecture“ versammelt nun einige der bemerkenswertesten Arbeiten, die allesamt lediglich auf dem Bildschirm respektive Papier (beliebt offenbar auch in Hochglanz-Editorials) existieren. Neben einschlägigen Architektur-Planungsprogrammen spielen 3D-Visualisierungen natürlich längst auch in anderen Bereichen eine Rolle. Genutzt werden hier ergo auch Programme aus der Gaming-Industrie und solche, die die genannten Methoden für den Hausgebrauch herunterbrechen. Ob man die hier gezeigten Ergebnisse eher auf Seite Weißer oder Schwarzer Romantik verortet, sie malerisch hübsch oder beunruhigend menschenleer findet, ist vielleicht nicht zuletzt auch eine Generationenfrage.

Die Welt mit Abperl-Effekt

In jedem Fall hat die Zugänglichwerdung räumlicher Simulation eine ganze Riege an Künstlern, Designern und Kollektiven hervorgebracht, deren Werk hier schwelgerisch aufbereitet wird. Man kann sich verlieren in der überkandidelten Ästhetik vom Schlage eines digitalen Ludwig IVX., auch wenn Neuschwanstein hier ausschaut wie auf ewig gefangen in der Mid Century-Dauerschleife. Die Postmoderne taugt designtechnisch natürlich ebenfalls oder vielleicht noch besser zum Albtraum-Szenario, wie unter anderem Pizza Studio im Buch unter Beweis stellen.

Die Qualität der Simulationen ist manchmal geradezu irritierend nah an dem, was es tatsächlich gibt: Die surrealistischen Landschaften, die Notoostudio kreieren, könnten durchaus einem Bild von de Chirico entsprungen sein. Überhaupt ist die Wald-und-Wiesen-Romantik ja nicht nur hier längst der existenziellen Anziehungskraft der Wüste gewichen. Andere Ansichten erinnern verblüffend an Ricardo Bofills Häuserpaläste. Wieso, fragt man sich dann, eigentlich Dinge simulieren, die genau so schon existieren? Die naheliegende Antwort: Weil da wohl zu viel vom echten Leben kleben bleibt. Hier stattdessen Welt mit Abperl-Effekt.

Auch im imaginierten Drinnen gibt es viel zu sehen: Türkis und pink schimmernde Schwimmparadiese, wie man sie sich in den kühnsten Kindheitsträumen kaum besser hätte ausmalen können (Blake Kathryn), menschenleere Neonhöllen (Blunt Action), Wellnessoasen mit Teppichboden von Reisinger Studio (als ob Fassbinders "Welt am Draht" doch endlich in einer Millenial-Version wahr geworden wäre, nur der junge Rainer Langhans als Barkeeper am Poolrand fehlt). Es ist ein einziger Miami-Beach-Pastell-Neon-Interieurmagazin-Reigen. Wenn man ein Bilderbuch für die ins Unbestimmte verlängerte Adoleszenz benötigte, hiermit wäre es gefunden.