Zum Tod von Vivienne Westwood

Eine Ikone, die man nicht vergisst

Die Designerin Vivienne Westwood ist tot. Die Grande Dame des Punks hat Mode als Mittel zu einem höheren Zweck genutzt und dadurch Modegesichte geschrieben

Zum Ende des Jahres 2022 verliert England auch seine zweite Queen. Am Mittwoch starb die britische Modedesignerin Vivienne Westwood im Kreise ihrer Familie in Clapham, Südlondon, wie es Sprecher ihrer gleichnamigen Marke bestätigten. In einem Interview vor wenigen Jahren wurde Westwood gefragt, was sie über das Wort Ikone denke und darüber, als eben solche beschrieben zu werden. "Nun, das interessiert mich nicht", hatte sie geantwortet. "Ich meine, zehn Jahre nach meinem Tod wird sich niemand mehr daran erinnern. Es spielt keine Rolle. Es ist mir egal. Ich will nur die Welt retten und ein Leben haben."

Diese Aussage erklärt ihre Motivation, Inspiration und Ideale – von Beginn bis Ende ihrer Karriere. "Get a life", den zukünftigen Generationen ein Leben auf diesem Planten garantieren können, das war gerade in den letzten Jahren ihres Wirkens Westwoods größtes Anliegen. Ihr Credo: den Status Quo hinterfragen, sich für einen Wandel einsetzen, etwas bewegen – mit der Geburt des Punks oder Klima-Engagement.

Geboren 1941 in einer englischen Kleinstadt, zog Westwood 1958 mit ihrer Familie nach London, wo ihre Eltern eine Postfiliale leiteten. "Ich mochte es, ich selbst zu sein, und ich war zufällig ein Mädchen. Ich wollte ein Held sein, und ich sah keinen Grund, warum ein Mädchen das nicht sein konnte," erinnerte sich die wohl einflussreichste britische Modedesignerin an ihre Jugend. Nach einer Ausbildung zur Lehrerin unterrichtete Westwood in einer Grundschule, bis sie durch ihren Bruder auf Malcolm McLaren traf. Der rebellische Kunststudent teilte ihre antiautoritäre Haltung und half Westwood bei der Herstellung von Schmuckstücken, die sie nebenbei auf dem Portobello-Markt verkaufte. Als sie von McLaren schwanger wurde und auf dem Weg zu einer Abtreibungsklinik war, soll sie sich spontan um entschieden und das von McLaren aufgetriebene Geld stattdessen in ein Kaschmir-Twinset investiert haben.

Das Hässliche wird begehrenswert

In der 430 King’s Road eröffnete das Pärchen 1971 "Let It Rock", ein Geschäft für Vintage-Kleidung und einen Ort, "an dem wir uns richtig austoben konnten", wie McLaren einst in einem Essay für den "New Yorker" schrieb. Oft änderte sich der Name und damit auch immer die angebotene Kleidung der Boutique. "SEX" hieß sie 1974, im selben Jahr entdeckte McLaren die entstehende Punk-Bewegung bei einer Reise in den Untergrund New York Citys für sich und etablierte sie zusammen mit Westwood in London, wo er kurz darauf die Punkband Sex Pistols zu managen begann. Die Idee hinter dem Punk entsprach Vivienne Westwoods Ethos und Anti-Establishment-Überzeugung, sie wünschte sich Veränderung durch Provokation, ein Umdenken, das Aufbrechen festgefahrener Normen – und plötzlich wurde das einst Hässliche und Abstoßende begehrenswert.

Sie begann Bühnenkleidung für Punkbands zu designen und nähen, etwa die Sex Pistols einzukleiden, Vintage-Stücke zu dekonstruieren und mit Sicherheitsnadeln neu zusammen zu setzen – ein Stilmittel, das den Punk-Look noch heute definiert. "Wir haben der älteren Generation nur gesagt: 'Wir akzeptieren eure Werte und Tabus nicht, ihr seid alle Faschisten'", faste die "Mutter des Punks" ihre Message an die Gesellschaft zusammen.

Doch ihr Anspruch an die Bewegung war größer. Leeres Demonstrieren und Schockieren, Protest um des Protests Willen – das reichte ihr nicht. "Ich hatte eine messianische Einstellung zum Punk und wollte sehen, ob man dem System irgendwie einen Strich durch die Rechnung machen kann." Als die von ihr erhoffte Revolution ausblieb und Punk eher als Marketing- denn als Instrument zum Aufstand eingesetzt wurde, verlor sie das Interesse – jedoch niemals ihre Mission aus den Augen.

Aus der Mitteheraus das System umkrempeln

Schließlich entschied Westwood, sich der Mode voll zu widmen, und das unter ihrem eigenen Namen. Mit "Pirates" designte sie 1981 ihre erste Laufsteg-Kollektion, die ihre immerwährende Faszination für Geschichte und Kunst reflektierte. Man könne nur ein wahrer Künstler sein, wenn man sich der Geschichte nicht verschließe, über sie lerne, immer auch den Blick in die Vergangenheit werfe, erklärte sie einmal. Historische Recherche machte so immer einen gewichtigen Teil ihrer Arbeit aus.

Aktiv in der Mainstream-Kultur arbeiten und von dort aus, aus der Mitte des Geschehens, das System umkrempeln, war nun ihre Devise. Mit den "Mini-Crinis", einer kurzen Version viktorianischer Krinolinen, landete die Designerin einen ihrer größten Hits, wie auch mit der "Harris Tweed"-Kollektion, in der sie den britischen und royalen Kleidungsstil parodierte. "Buffalo Girls", "Punkature" und "Witches" betitelte sie ihre Kollektionen, die sie inspiriert von peruanischen Frauen, "Blade Runner" oder Keith Haring entwarf. Mitte der 1990er-Jahre hatte sich "Vivienne Westwood" als Name in der Modewelt etabliert.

Schnitttechniken aus dem 18. Jahrhundert, BDSM-Akzente, viel Schottenkaro, Korsetts und Marie-Antoinette-Kleider dominierten ihre Designs genau wie die klare Ablehnung jeglicher Trends, zu Gunsten von zu Kunststücken werdender Kleidungsstücke, die sie über den Laufsteg schickte.

"Kapitalismus ist ein Verbrechen"

Eine Dekade lang hatte Westwood Männer nach ihrer Trennung von Malcolm McLaren gemieden, bis sie auf den österreichischen Kunststudenten Andreas Krontahler traf, der ihre Ansicht "Mode ist Kunst" teilte und bald an ihrer Seite für "Vivienne Westwood" designte. Je größer ihr Modeimperium wurde, desto engagierter nutzte es Westwood, um auf gesellschaftliche und politische Probleme aufmerksam zu machen. "Was ich jetzt tue, ist noch immer Punk. Es geht noch immer darum, auf Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und Leute zum Nachdenken zu bringen, auch wenn es unbequem ist. In diesem Sinne werde ich immer Punk sein." Sie, nunmehr als Teil der Elite, war an nichts mehr gelegen, als aktiven Widertand zu leisten, gerade, wenn es um das Thema Klimawandel ging. "Kapitalismus ist ein Verbrechen. Er ist die Hauptursache für Krieg, Klimawandel und Korruption", sagte Westwood vor ihrem Tod. "Dies ist ein Krieg um die Existenz der menschlichen Rasse selbst. Und um die des Planeten. Die wichtigste Waffe, die wir haben, ist die öffentliche Meinung. Werdet Freiheitskämpfer.“

Ihre theatralischen Modenschauen wurden zu Klimaprotesten, als eine der ersten schickte sie Models mit Plakaten und politischen Slogans über den Laufsteg. "Buy Less, Choose Well, Make it Last" wurde zu einem ihrer meistzitierten Statements. Kultur statt Konsum – diesen Gedanken lebte Westwood auf eine so überzeugende Art und Weise, dass sie die Welt der Mode zu einem Diskurs für relevante, weltbewegende Themen werden lassen konnte.

Gleichzeitig nahm sie sich selbst und gerade konventionelle Institutionen nicht zu ernst. 1992 wurde ihr von Queen Elizabeth II. der britische Ritterorden (OBE) verliehen. Als sie vor dem Palast eine Pirouette in ihrem ausgestellten grauen Wollkleid drehte wurde offenbar, dass sie zu diesem Even auf Unterwäsche verzichtet hatte. 2006 dann wurde Vivienne Westwood zur Dame ernannt. Sie wird erinnert werden als eine Grande Dame des Punks, die Mode als Mittel zu einem höheren Zweck genutzt und dadurch Modegesichte geschrieben hat. Als eine Ikone, die man nicht vergisst.