VR-Ausstellung in München

Wenn die KI vom Oktoberfest träumt

Ein Trost für leidende Oktoberfest-Fans soll es sein: die VR-Ausstellung von Philip Gröning in der Münchner Villa Stuck. Doch die Bilder haben Gruselfaktor

Das Münchner Oktoberfest fällt aus. Das ist seit Ende April bekannt. Doch gerade jetzt wird das noch einmal besonders deutlich. Denn die Bilder fehlen. Pünktlich mit dem Anstich am Samstagmittag hätten eigentlich wieder Millionen Selfies und Videoclips das Netz fluten müssen. Schließlich machen vom deutschen Instagram-Sternchen, über die australische Sauftouristentruppe bis hin zu den Ur-Münchnern alle mit bei der alljährlichen digitalen Dokumentation der Groß-Gaudi.

Diesmal bleibt nur die Erinnerung – natürlich medial gestützt. Und die interessiert den in Düsseldorf geborenen Dokumentarfilmer und Regisseur Philip Gröning. Er beauftragte eine KI damit, die beliebtesten Sehenswürdigkeiten des Oktoberfests nur anhand von Fotos im Internet zu rekonstruieren. Herausgekommen ist "Phantom Oktoberfest – Oktoberfest Phantom", eine VR-Installation in der Villa Stuck.

Auf den ersten Blick scheint das auch zu funktionieren. Die aus Farbpunkten zusammengesetzten Bilder sind zwar etwas verschwommen und undeutlich – ganz so wie es verblassende Erinnerungen auch sein könnten –, doch lässt sich das Paulaner Festzelt recht gut am Pavillon mit seinen blau-weißen Säulen erkennen. Da mag es eingefleischten Oktoberfest-Fans warm ums Herz werden.

Die KI hat in der ungeheuren Fülle der Oktoberfestfotos nach Gemeinsamkeiten gesucht, nach räumlichen Fixpunkten in der digitalen Repräsentation der Erlebnisse der Oktoberfestbesucher. Und das ist der Punkt, an dem Grönings Werk unheimlich wird. Denn damit der Paulaner-Pavillon so gut auszumachen ist, müssen sehr viele Menschen ein Foto der gleichen Ansicht des Festzelts gemacht haben.

Warum so viele Selfies vorm Pavillon? Weil man vor dem eigenen Besuch bereits Bilder gesehen hat, die für eine authentische Oktoberfest-Erfahrung stehen. Egal ob es die Lieblingsinfluencerin im Dirndl oder Freunde mit Maßkrügen waren, jetzt imitiert man ihre Bilder, um zu zeigen, man hätte dort die gleichen, tollen Erfahrungen gemacht. Mit hinein spielt auch der Grundsatz der visuellen sozialen Netzwerke: "Pic or didn't happen", sinngemäß: "Zeig mir ein Foto, sonst glaube ich dir nicht, dass du da wirklich gewesen bist". Erinnerungsfotos nach Gestaltungsvorgaben.

In ihrem Bestreben, die Sehenswürdigkeiten zu rekonstruieren, geht die KI aber noch einen Schritt weiter. Sie sucht nicht nur Gemeinsamkeiten, sie rechnet auch Unterschiede aus den Bildern heraus. Und zu diesen Unterschieden gehören zuallererst deren ursprüngliche Protagonisten, die Menschen selbst. Wenn sich die KI erinnert, verschwindet das Individuum – entweder völlig oder es wird zum gesichtslosen Schemen in der Masse. Damit nimmt man auch dem millionsten Selfie in Lederhose vor der immergleichen Festzeltkulisse das, was ihm noch ein wenig Einzigartigkeit verlieh: die ganz persönliche Erfahrung.

Grönings Installation soll über den Phantomschmerz des ausgefallenen Oktoberfestes hinweghelfen. Doch man merkt schnell: Technik erinnert anders. Die Besucher wollen mit einem Selfie ausdrücken "Schau mal, ich war da!". Der KI geht es nur um das "da". Ob das tröstet?