Warten, bis es dunkel wird

 

Bislang blieb der Kunstmarkt von Finanzkrisen immer verschont: Als zwischen Oktober 2002 und Januar 2003 der Dow-Jones-Index um vier Prozent fiel, wuchs der amerikanische Kunstmarkt um fast das Doppelte. Diesmal allerdings geht es nicht um irgendeine „Krise“. Die Börsen verlieren in zweistelliger Höhe, Banken müssen verstaatlicht werden, eine Rezession scheint unvermeidbar. Geht auch das wieder spurlos am Kunstmarkt vorbei?
 

„Die Finanzkrise wirkt sich dort genauso aus wie auf alle anderen Märkte auch“, sagt der New Yorker Galerist David Zwirner. „Galerien, die Künstler vertreten, deren Preise zu nahe an Auktionsrekorden liegen, haben ein Problem.“ Das sei bei ihnen aber nicht der Fall. Stimmt: Obwohl eine seiner Künstlerinnen, Lisa Yuskavage, im vorigen Jahr bei einer Auktion 1,3 Millionen Dollar erzielte, kosten ihre Arbeiten in der Galerie „nur“ eine halbe Million. Und Zwirner versichert zudem, er habe in den Wochen nach dem Lehman-Brothers-Bankrott einige Verkäufe im sechsstelligen Bereich abgeschlossen.
Wie er reden die meisten big shots in Chelsea die Situation hartnäckig schön, doch es fällt schwer zu glauben, dass der Kunstmarkt demnächst keinen Einbruch erleben wird. Natalia Mager Sacasa, Direktorin von Luhring Augustine, räumt immerhin ein, „besorgt“ zu sein. Deutlicher formuliert es der New Yorker Kunsthändler und frühere Börsenhai Asher Edelman: „Wir stehen am Anfang einer Malaise des Kunstmarktes. Vieles wird sich plötzlich einfach nicht mehr verkaufen. Insbesondere Künstler, deren Werke nicht aus künstlerischen Gründen, sondern vor allem wegen des sozialen Prestiges begehrt waren, werden das zu spüren bekommen. Bei den meisten Händlern sind die Umsätze in den vorigen drei Monaten bereits zurückgegangen.“
Am schwersten wiegt dabei der Rückzug der amerikanischen Käufer, die eine Schlüsselrolle auf dem Markt spielen. Philip Hoffmann zufolge, Präsident des Fine Art Fund, lag der Anteil nordamerikanischer Bieter bei Damien Hirsts Auktion im September bei unter zehn Prozent. Schon zur Art Basel 2007 sei nur die Hälfte der amerikanischen Käufer gekommen, sagt Denis Gardarin, Direktor der Galerie Sean Kelly in New York. „Amerikaner sind bekannt dafür, auf Veränderungen sofort zu reagieren“, bestätigt der Berater Philippe Ségalot. „Sie hören über Nacht auf zu kaufen und fangen genauso schnell wieder an. Galeristen, die vor allem den amerikanischen Markt bedienen, haben es momentan schwer.“
Das könnte auch für seinen Kollegen Sandy Heller gelten, der ausschließlich Amerikaner berät. Vor allem solche, die ihr Geld überwiegend im Finanzsektor verdienen. „Einige meiner Kunden haben sicherlich gerade Probleme. Aber das ändert ja nichts an ihrem Kunstinteresse“, beteuert Heller. „Kein einziger hat zu mir gesagt: Ich will jetzt nichts mehr sehen. Wer viel Geld verdient, hat es nicht nötig, mit Kunst zu spekulieren.“ Problematisch wird es allerdings, wenn sie kein Geld mehr verdienen. Einige Fachleute erwarten frischen Wind aus dem Osten. So „rettet“ etwa gerade die russische Unternehmensgruppe
Mercury Phillips de Pury, indem sie das Auktionshaus übernimmt. Trotz steigender Umsätze soll das Unternehmen, dessen Vorsitz weiterhin Simon de Pury innehaben wird, Gerüchten zufolge hochverschuldet sein. Im Zuge der neuen „Partnerschaft“ soll eine Phillips-Filiale in Moskau eröffnet werden. Unterdessen hat Sotheby’s die Eröffnung eines eigenen Büros in Katar verkündet. Aber auch die Märkte im Osten und im Mittleren Osten kennen die Rezession: In Sotheby’s enttäuschender Hongkongauktion Anfang Oktober wurden einige der Toplose nicht verkauft.
 

Nun warten alle gespannt auf die New Yorker Herbstauktionen. Am 3. November kommt bei Sotheby’s Edvard Munchs ikonisches Gemälde „Vampir“ unter den Hammer, dessen Schätzpreis bei 35 Millionen Dollar liegt. Ein weiteres Toplos ist eine suprematistische Komposition von Malewitsch, für die um die 60 Millionen Dollar erwartet werden. Allerdings ist es dem Auktionshaus nicht gelungen, weitere hochkarätige Werke zusammenzustellen, wie man es bei dieser Größenordnung eigentlich gewohnt ist. Es scheint, als seien die Sammler gerade nicht erpicht darauf, etwas abzusetzen. „Schon möglich, dass sie nichts Neues kaufen, aber verkaufen werden sie nur, wenn sie wirklich müssen, und das ist im Moment nicht der Fall“, bestätigt Ségalot.
Eingebettet in eine insgesamt nicht sehr aufregende Auswahl stellt Sotheby’s wenige Tage später, am 11. November, ein wichtiges Werk von Yves Klein zum Verkauf, das blaue Schwammrelief „R 11“, das auf 25 Millionen Dollar geschätzt wird. Außerdem Philip Gustons "Beggar’s Joys“, für das eine Garantiesumme von 15 Millionen Dollar angesetzt ist. Etwas hochgegriffen für einen Künstler, der nie zuvor Höchstpreise erzielen konnte. Deutlich wird, dass Sotheby’s auf die Marktsituation reagiert und die Anzahl der Werke reduziert hat. „Niemand hat im Moment Lust auf 80 Posten“, sagt Aley Rotter, der Leiter der Auktion.
Konkurrent Christie’s bietet zwar vergleichsweise mehr Werke unter einer Million als über 20 Millionen Dollar an, doch gerade im Bereich impressionistischer und zeitgenössischer Kunst ist das Angebot höchst attraktiv. Gleich drei bedeutende private Kunstschätze werden gehoben: Die Sammlungen von Alice Lawrence, von Robert und Jean Shoenberg sowie der Alex Hillman Family Foundation werden aufgelöst. Außerdem zu haben: 16 Arbeiten auf Papier von Künstlern der New York School wie Gorky oder de Kooning aus der Sammlung von Kathy Fuld – deren Mann Richard Fuld Chef der Lehman Brothers war.
Bei Sammlungsauflösungen liegen die Schätzungen normalerweise im vernünftigen Bereich, das Problem ist also nicht so sehr das Preisniveau, sondern vielmehr, dass die Auswahl sehr auf den amerikanischen Geschmack zugeschnitten ist. Darauf angesprochen, hält Robert Manley, Seniorvizepräsident von Christie’s, dagegen: „Man sollte nicht vereinfachen, was eigentlich höchst komplex ist. Die Stärke von zeitgenössischer Kunst liegt ja gerade darin, dass die Verkäufe eben nicht von einer Gruppe dominiert werden. In manchen Jahren sind die Russen sehr aktiv, in anderen die Asiaten. Einige der aktivsten Bieter für de Koonings kommen beispielsweise nicht aus Amerika.“ Außerdem bei Christie’s im Angebot: ein abstraktes Gemälde von Gerhard Richter aus dem Jahr 1990, das auf zwölf Millionen Dollar geschätzt wird, nachdem im Mai ein anderes Richter-Bild 15,6 Millionen Dollar eingebracht hatte.
 

Beide Auktionshäuser haben es tunlichst vermieden, ihre Kataloge mit Spekulationsobjekten aus den Werkstätten junger Künstler zu füllen. In schwierigen Zeiten hält man sich an große Namen, geht auf Nummer sicher. Werden es aufstrebende Künstler also in Zukunft schwer haben? Philip Hoffmann jedenfalls nimmt an, dass Sammler ihr Geld lieber in ein Werk von Rang investieren werden, als es auf mehrere Entdeckungen für unter 100 000 Dollar zu verteilen. Matthew Slotover dagegen, Mitbegründer der Frieze Art Fair, sieht das anders: „Es ist doch viel weniger gewagt, 10 000 Dollar in einen jungen Künstler zu investieren, als drei Millionen für ein Bild auszugeben, das vor ein paar Jahren gerade mal 200 000 wert war. Die Käufer von junger Kunst kennen sich aus, das sind Experten, keine Newcomer wie bei den großen Auktionen.“ Die Zukunft wird zeigen, wer recht behält.