Was heißt hier, bitte schön, Kopie? Sturtevant bringt Paris durcheinander

Am 5. Februar dieses Jahres, dem Tag, an dem der Blogger Deef Pirmasens erstmals Plagiatsvorwürfe gegen die Autorin Helene Hegemann erhob, eröffnete in Paris „The Razzle Dazzle of Thinking“, eine große Einzelausstellung von Elaine Sturtevant, jener Künstlerin, die mit Arbeiten berühmt wurde, mit denen andere Künstler berühmt geworden waren. Mitte der 60er-Jahre begann Sturtevant damit, Werke ihrer Zeitgenossen nachzubilden, die heute zu den Ikonen des 20. Jahrhunderts zählen: Andy Warhols „Flowers“, die Flaggengemälde von Jasper Johns, Joseph Beuys’ Fettstühle. Die Fragen, die sie damit aufgeworfen hat, sind klüger als alles, was in den vergangenen Wochen zum „Fall Hegemann“ zu lesen war.

Es beginnt damit, dass nicht zu bestimmen ist, worum sich ihre Arbeiten eigentlich drehen. Sie sind weder „Kopien“ noch „Aneignungen“. Mit der Appropiation-Art einer Sherrie Levine oder eines Richard Prince hat Sturtevant schon deshalb nichts gemein, weil sie sich stets an das Format der Werke hält, die sie reproduziert. Auch kann man nicht von Plagiat sprechen. Sturtevant klaut keine Motive, um damit Geld zu verdienen. Im Gegenteil: Ihre Repliken befinden sich auf einem derart hohen technischen Niveau, dass sie als eigene Schöpfungen bestehen. Sie stellt also nicht Autorschaft per se in Frage, wohl aber eine Gesellschaft, die Copyright als Marktinstrument missbraucht und Kreativität in Cash berechnet.

Elaine Sturtevant spielt Bilder gegen Objekte aus, und sie lässt keinen Zweifel daran, wer von beiden gewinnen soll. Neben „ihren“ Meisterwerken hat sie ins Musée d’Art moderne auch eine echte Geisterbahn gebaut. Darin fährt der Besucher vorbei an einem Remake aus Paul McCarthys Performance „Painter“ (ein Maler hackt sich den Finger ab) und dem üblichen Repertoire aus Skeletten, Fledermäusen, Henkern. Das Versprechen des Entertainments: Konsumiere, um deiner Traumata habhaft zu werden! Sturtevants Logik ist eine andere. Am Ende des Horrortrips bekommt der Gast eine Plakette überreicht, auf der steht: même pas peur. Bloß keine Angst.

Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, bis 25. April