Ausstellung im Musée d'Orsay

Ein Zimmer für Sophie Calle

In den 70ern schlich sich Sophie Calle immer wieder in ein verlassenes Hotel im Pariser Gare d’Orsay. Im Lockdown spukte die Künstlerin dann durchs leere Musée d'Orsay. Dort wird das Projekt nun ausgestellt

Über eine offen stehende Tür verschafft sich Sophie Calle 1978 Zugang zu einem verlassenen Hotel inmitten des stillgelegten Gare d’Orsay. Jahrelang kehrt die französische Künstlerin immer wieder zurück, sammelt Zimmernummern, verrostete Schlüssel und Kundenkarteien und dokumentiert den Verfall des vergessenen Orts in klaren Schwarz-Weiß-Fotografien: Parkettdielen, die sich über geplatzten Rohren emporbäumen, der sich auflösende Kadaver einer Katze, Farbe, die in Locken von Wänden und Decken abblättert, dazwischen schmale Lichtstreifen in langen Korridoren.

In begleitenden Texten berichtet Calle von den vielen Tagen, die sie hier allein verbringt, von der Logik ihrer archivarischen Arbeit und davon, wie sie auch nach Beginn der Gebäudesanierung ganz selbstverständlich an den Bauarbeitern vorbei zu ihrer Asservatenkammer im Hotelzimmer 501 spaziert.

1986 sind die Bauarbeiten abgeschlossen, das Musée d’Orsay eröffnet im ehemaligen Bahnhofsgebäude. Calle ist da bereits weitergezogen nach Venedig, hat getarnt als Zimmermädchen die Hinterlassenschaften von Hotelgästen fotografiert und ist bekannt geworden für ihre verspielt voyeuristische Form der Konzeptkunst, der sie bis heute treu geblieben ist.

Rückkehr nach Paris

Als das Museum 2020 aufgrund der Pandemie schließt, wandelt Calle erneut durch die verlassenen Flure des ehemaligen Bahnhofs und fotografiert im Schein ihrer Taschenlampe die impressionistischen Meisterwerke der Sammlung. Dämmernde Beleuchtung entzieht den fotografierten Malereien ihre Farben, goldene Bilderrahmen werfen lange Schatten.

Dieser neue Werkzyklus trifft in Paris auf Calles frühes Orsay-Archiv, ihre eigenen Texte werden begleitet von Beiträgen des Archäologen Jean-Paul Demoule, der die Artefakte mit historischem Witz um eine fantastische Bedeutungsebene erweitert.

Die nackte Frau auf einem Pin-up-Plakat etwa deutet er als Wassergespenst zum Schutz des Hausmeisters Oddo, der in dem immer weiter herunterkommenden Hotel vornehmlich mit Wasserschäden zu kämpfen hatte. Sie ist nur einer von vielen Geistern, die in dieser Ausstellung heraufbeschworen werden.