Fabian Marcaccio / Frank Badur

Wege der Malerei in Berliner Galerien

Wird die Genwissenschaft der Kunst dereinst den Rang ablaufen? Auf dem Feld des chromosomalen Surrealismus scheint alles möglich, angefangen von einer Maus mit einem Menschenohr auf dem Rücken. Fabian Marcaccio scheint die Forscherkonkurrenz auf dem Feld der (auch nicht mehr so) schönen Künste übertrumpfen zu wollen. Der in New York lebende Argentinier rekombiniert Bilder einer digital aufgelösten, abstrusen Medienrealität – und wendet sie zurück ins Körperhafte.
 
Die Kleinskulptur „21-Chromosomes-Paintant“ – ein auf allen Vieren kriechende Mickymaus mitten in der Mutation zur haarigen Feldmaus – gehört zu den harmloseren Beispielen in der Soloausstellung „Analytical Rage-Paintants“ der Berliner Galerie Thomas Schulte. Mit dem Begriff fängt die Verwirrung an: In Marcaccios Kunstwort „Paintant“ stecken Wörter wie „Schmerz“, „Malerei“ und „Mutant“. Der Künstler versteht sich als Maler, obwohl schon seine Arbeit für die Documenta 2002 das Medium um fotografische und skulpturale Aspekte erweiterten. Zwar müsste man die neuen „Paintants“ strenggenommen Skulpturen nennen, doch sie erinnern tatsächlich an Action Paintings, die gleichsam in die Luft gemalt sind. Inhaltlich gemahnen sie an jene Tagesschau-Bilder, die einem regelmäßig die Vorabendserienstimmung vergällen.
 
Tatort-Markierungen flankieren die Bodenskulptur „CNN-Paintant": ein von einer Bombe grässlich zerrissener Reporter, der wacker bis zuletzt das Mikrofon hochhält. Woanders liegt ein autoerotischer Fleischklumpen in den letzten Zuckungen. Er traktiert sich selbst mit Messern und filmt sich mit einer Videokamera, die an seine Blutgefäße angeschlossen ist („Paint-Fuck-film-kill-itself-Paintant"). Wer Davids Cronenbergs Film „Die Fliege“ gesehen hat, muss unweigerlich an jenen Seth Brundle denken, der aufgrund eines Fehlers seiner neu erfundenen Teleportationsmaschine erst zur „Brundlefly“ mutiert, dann gar zu einem schaurigen Gen-und-Technomix aus Mensch, Fliege und Apparatur.
 
Natürlich lässt sich aus Marcaccios Hybriden aus Blut, Knochen, Wunden, haariger Haut und grinsenden Zahnreihen – einer Art Francis-Bacon-Bildwelt im YouTube-Zeitalter – ein Kommentar zur gewaltbereiten wie durchpornografisierten Gesellschaft herauslesen. In den 15 gezeigten Arbeiten waltet eine Maßlosigkeit, die für Gegner des Splatterkinos wohl schwer auszuhalten ist. Doch selbst wer das zynisch findet, muss doch die technische Raffinesse bewundern, mit welcher Marcaccio Fotodrucke zu Skulpturen formt und mittels Silikon und Alkydfarbe malerisch weiter verunstaltet. Zudem gestaltet der Künstler die Übergänge zwischen Kolografie-Druck, Malerei und plastischen Elementen so skrupulös, dass man ihm formale Intelligenz nicht absprechen kann.
 
Angesichts der explosiven Wirkung der „Paintants“ – Figuren, die einen grünen Silikonschwall ausspeien oder Selbstmörder mit Revolver am Mund, aus deren Hinterkopf schon die Hirnmasse herausspritzt – wirkt die Teilnahme Marcaccios an der Leverkusener „Slow Paintings“-Ausstellung merkwürdig (bis 7. Februar,). Doch es geht den Kuratoren um das Zusammentreffen von zeitaufwändigen Malprozessen und entschleunigter Rezeption. Und insofern passen sie durchaus in die Langsamkeitsparade, Marcaccios paradoxe „Paintants“.
 
Jens Hinrichsen
 
Galerie Thomas Schulte, bis 23. Dezember. Bilder von Marcaccio sind bis 7. Februar 2010 auch in der Gruppenausstellung “Slow Paintings” im Leverkusener Museum Morsbroich zu sehen. Mehr Informationen unter www.museum-morsbroich.de
 
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Frank Badurs Arbeiten machen nicht traurig, sondern nachdenklich. Selbst dann, wenn sich der Künstler in einem Zeichnungszyklus mit einem Mahnmal des Holocaust auseinandersetzt. „Reflection on the Eisenman Grid“ sind 24 mit Bleistift angefertigte Grafiken, graue Farbbalken und Linien, zwischen denen Platz für eigene Imaginationen bleibt. Und doch hat sich beim Betrachter längst ein konkretes Gefühl zum Werk eingestellt. Denn der in der Tradition der Farbfeldmalerei und der geometrischen Abstraktion angesiedelte Badur hat eine Bildsprache gefunden, die Realität visualisiert, ohne sie zu bebildern.
 
Die Arbeit „Reflection on the Eisenman Grid“ stellt die Galerie Frühsorge in den Mittelpunkt ihrer Schau „Contemporary Drawings“. Eine von drei Berliner Galerien, die Frank Badur, der unter anderem im MoMA oder der Nationalgalerie gezeigt wurde, anlässlich seines 65. Geburtstages mit Ausstellungen und einer Jubiläumspublikation feiern.
 
Über eine Feuerleiter klettert der Besucher der Hamish Morrison Galerie in eine alte Fabrikhalle hinter dem Berliner Hauptbahnhof. Noch bevor er wieder Boden unter den Füßen hat, leuchtet ihm eine Kombination aus hellrot und grasgrün von der gegenüber liegenden Wand entgegen. Trotz der grellen Farben und der Rottöne, die in Badurs neuen Malerei dominieren, strahlen auch diese Bilder eine fast meditative Wirkung aus.
 
Man taucht in Frank Badurs Arbeiten förmlich hinein. Allerdings manchmal erst, wenn ein Schritt auf die Leinwand zu getan ist und Farbschicht über Farbschicht entdeckt werden kann. Ein Grau ist nicht einfach nur grau, ebenso wenig, wie die Struktur einer unüberlegten Anordnung folgt. Über die Jahre hat sich Frank Badur in diversen Techniken erprobt, er weiß, Farben, Formen und Strukturen zu setzten. Das zeigt sich auch in der Galerie Jordan Seydoux, die seine Siebdrucke und Radierungen in den Mittelpunkt rücken. Eigens für diese Schau fertigte der Künstler eine Serie aus sechs Holzschnitten an.
 
Das seine Werke etwas Meditatives, eine Art Zen-Energie haben, liegt vielleicht nicht zuletzt an den vielen Reisen, die er nach Asien unternahm. Seine Bilder dienen der Wahrnehmung und Erfahrungen, so Badur, „die jenseits der Sprache liegen“.
 
Jana Bach


Die Ausstellungen in den Galerien Hamish Morrison, Fruehsorge und Jordan Seydoux laufen bis 9. Januar 2010. Mehr Informationen unter www.hamishmorrison.com, www.fruehsorge.com und www.jordan-seydoux.com