Debatte

Weniger Viele wäre mehr

Foto: dpa
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Poster bei einer Pressekonferenz auf Kampnagel in Hamburg zu der Initiative "Erklärung der Vielen"

Der durch eine "Erklärung der Vielen" zum Ausdruck gebrachte Zusammenschluss deutscher Kulturinstitutionen gegen rechte Einflussnahme wirkt befremdlich: Statt selbstbestimmtes Denken zu fördern, verhilft sie antidemokratischen Strömungen zu größter Aufmerksamkeit, findet Annika von Taube

In letzter Zeit gilt der Schulterschluss wieder was. Wenn er eine Mehrheit bildet. Und für das Richtige steht. Das Problem ist nur, Mehrheit steht nicht automatisch für das Richtige (müssten zumindest Deutsche eigentlich wissen), weshalb hashtagaffine Initiativen wie "Wir sind mehr" oder zumindest "viele" höchstens für die Fehleinschätzung stehen, das von ihnen wie auch immer definierte "Richtige" werde mit jeder weiteren Stimme, die sich dazu bekennt, noch richtiger – und für eine Beförderung eines gefährlichen Umkehrschlusses: Was nur von Wenigen vertreten wird, ist falsch.

Das ist im Fall von rechtsradikalem Gedankengut zwar richtig, aber blöderweise ist es ja so, dass man als in einer Demokratie lebender Geist besser von selbst drauf kommen sollte, was man richtig findet, und dazu braucht es eine gewisse Auswahl und Ermunterung zur eigenverantwortlich individuellen Auseinandersetzung, und da ist es nicht besonders hilfreich, wenn Leuten auf dem Weg zur bürgerlichen Verantwortungswerdung gesagt wird: "Hier, musste gar nicht mehr nachdenken, das hier ist das Richtige, weil die anderen das auch alle richtig finden, keine Sorge, haben wir mit den anderen abgecheckt." Für Pubertierende ist es natürlich ein super Mittel gegen mangelndes Selbstvertrauen, wenn sie die gleichen Sneaker tragen wie alle anderen in der Clique auch, aber dass auch Kulturinstitutionen Peer-Kongruenz brauchen …?

Der gerade durch eine gemeinsame "Erklärung der Vielen" zum Ausdruck gebrachte Zusammenschluss deutscher Kulturinstitutionen gegen rechtes Gedankengut und versuchte (politische) Einflussnahme von rechts wirkt bei aller Befürwortung von solidarischem Miteinander jedenfalls erst einmal befremdlich. Angefangen damit, dass Kunst und Kultur einfach schon deshalb nichts mit "Viele" zu tun haben, weil sich nur ein verschwindend geringer Teil dieser Gesellschaft dafür interessiert.

Kultur für Viele, das führt gern zu jener Sorte Kulturentertainment, das nicht weh tut – und folglich auch nicht im Visier jener versuchten rechten Angriffe steht, die den Anlass für die"Erklärung der Vielen" gab, würde man meinen. Kultur, die weh tut, die aufrütteln, anprangern, verändern will, die ist per se auf sich gestellt, die sucht sich keine Mehrheit, um zu wirken, die ist Alleinkämpfer, die verteidigt sich aus sich heraus. In diesem Zusammenhang ist es auch völlig verständlich und in Ordnung, wenn aus der am 9. November im Berliner Max Liebermann Haus vorgestellten Erklärungsaktion durchscheint, mit der Solidarität unter deutschen Kulturschaffenden sei es bislang nicht so weit her gewesen. Dass diese Solidarität jetzt qua Organisation hergestellt werden soll, verwundert dagegen schon. Und es stellt sich die Frage, was genau denn da verteidigt wird, wenn es heißt: "Wer sich gegen einen von uns stellt, hat alle gegen sich"?

Die Freiheit der Kultur, heißt es. Und zwar gegen rechts. Wäre diese Freiheit es nicht aber wert, FÜR etwas verteidigt zu werden statt GEGEN etwas? Ist es wirklich so, dass erst eine kulturell auf Teppichbodenniveau agierende Partei auftauchen muss, damit sich die deutsche Kulturlandschaft ihrer Freiheit bewusst wird? Fuck! Das FÜR würde mich im Zweifel mehr interessieren. Das GEGEN ist nämlich zwar gut und wichtig (kritischer Dialog über rechte Strategien, keine Plattform für rechtes Gedankengut, Abwehr von Versuchen rechter Einflussnahme, Solidarität mit Zielen rechter Angriffe, listet die Erklärung auf), aber halt eine Selbstverständlichkeit.

Und so fängt die fiese kleine Schlange im Hinterkopf an, einen schrecklichen Gedanken zu nähren: Die deutschen Kulturinstitutionen müssten sich einen Gegner heranzüchten, um ihre Daseinsberechtigung zu untermauern. Und wählen sich als Referenzpunkt ausgerechnet die Scheiße in diesem Land und betreiben damit negative framing vom Feinsten.

Der Umfang der öffentlichen Kommunikation macht die ganze Chose übrigens nicht besser: Das Hauptziel des Trägervereins der Kampagne, Die Vielen e.V., ist aktuell, Kultureinrichtungen deutschlandweit dazu zu bringen, sich auch auf regionaler oder stadtweiter Ebene zu weiteren Erklärungen zusammenzufinden. Sich zu erklären. Haltung zu zeigen. Eine Haltung, die erklärt werden muss, bevor oder anstatt dass sie zur Anwendung kommt, ist nichts als virtue signalling. Und die ganze Aktion dazu geeignet, einem aber mal so richtig Angst vor rechts zu machen. Weil die kulturelle Landschaft eines Landes den antidemokratischen Strömungen darin mehr Aufmerksamkeit schenkt als der Beförderung selbstbestimmten, demokratischen Denkens.

Die Rechten werden sich nicht mehr einkriegen vor Freude angesichts der ihnen von der "Erklärung der Vielen" zugeschriebenen Macht – hoffentlich keine selbsterfüllende Prophezeiung.