Film über Kreativität

Alle sind sich in ihrer zornigen Weltsicht einig

Er ist wieder da: Wenn ein unauffälliger Deutscher Kulturstars stalkt und ihnen immer wieder die gleiche Frage stellt, dann muss es sich um den etwas ermüdenden neuen Film von Hermann Vaske handeln. Auch diesmal geht es um Kreativität

"Why are we (not) creative?" macht einfach da weiter, wo die Vorgänger-Doku "Why are we creative?" von Hermann Vaske stecken geblieben ist. Das Personal kennt man eigentlich auch schon: Marina Abramović, Shirin Neshat oder Julian Schnabel – Originalität sieht anders aus.

Der Soziologe Andreas Reckwitz diagnostizierte schon 2012 in seinem Buch "Die Erfindung der Kreativität" einen an Hysterie grenzenden Zwang zur Schaffung von Neuem. Was früher einmal die Spezialität von Künstlerzirkeln war, sei zum Modell für den Mainstream geworden. Der soziale Druck, der durch den Kreativitätsimperativ entsteht, ist allerdings nicht das Thema von Regisseur Hermann Vaske. Prominente Kreative sind seit drei Jahrzehnten seine Obsession. Und sie bleiben es auch. Vielleicht, weil er in dieser Nachbarschaft selbst die Hoffnung hegt, im Wettkampf um eine schillernde Biografie zu bestehen? Ich und der Dalai Lama. Ich mittendrin auf der Straße mit den "Black Lives Matter"-Demonstranten. Ich und der Hollywood-Rebell Sean Penn - die Liste der Berühmtheiten und Querköpfe, die er rund um den Globus interviewt hat, ist jedenfalls prahlerisch lang.

Die Geheimnisse der Originalität erforschte Vaske bereits 2018 im ersten Doku-Teil seiner Trilogie und fragte in "Why are we creative?" seine Gesprächspartner nach den Stimuli, die Geistesblitze befördern, von Spiritualität über Sex bis zu Geld und Ehrgeiz. Im zweiten Teil geht es nun um die Faktoren, die ungewöhnliche Problemlösungen geradezu verhindern. Der inzwischen verstorbene Musiker David Bowie gesellt sich zu T. C. Boyle oder zu der für Tibet Partei ergreifende Sängerin Björk. Sie alle erkennen die Übeltäter in Zensur, Bürokratie und Geld, glauben aber auch, Gegenrezepte anbieten zu müssen, was den Stimmenreigen zu einem etwas pathetischen Plädoyer für mehr Courage anwachsen lässt.

Ermüdend lange Reise

"Den Schmerz zu einer Waffe machen", beschreibt etwa Shirin Neshat ihren Umgang mit Unterdrückung, "eine Waffe, um etwas zu verändern, nicht zu zerstören und der Tyrannei die Stirn zu bieten." Natürlich kommt auch Angst wieder vor, als lähmende Emotion, die sich aber in einen antreibenden Widerstandsimpuls verwandeln kann. Aufnahmen aus Hongkong im Jahr 2019 sollen belegen, dass sich eine massenhafte Bewegung nicht in Schach halten lässt. Vaske interviewt Joshua Wong und andere Kämpfer, die von der bedrohten freien Meinungsäußerung berichten. "Filter lassen sich immer umgehen", sagt eine Aktivistin gut gelaunt, und gerne würde man erfahren, wie es ihr inzwischen nach den massiven Reaktionen aus Peking ergeht. Wie hoch war der Preis, den sie für ihren kreativen Umgang mit Zensur zahlen musste? Vielleicht im dritten Teil?

In der Herangehensweise beweist Vaske selbst keinerlei Ambitionen auf eine Machart, die vom ersten Teil abweichen würde. Das Collagieren der Interviews mit Animationselementen kam dort auch schon vor. Seine Erzählerstimme aus dem Off kehrt erwartbar wieder, man sieht ihn durch New York flanieren und beinahe im Sekundentakt den Ort wechseln, auf der irgendwann ermüdend langen Reise zum Kloster St. Florian in Österreich, wo Hermann Nitsch den Wiener Aktionismus mit blutigen Skandalaktionen wiederbelebt, und bis nach Russland zur Aktivistinnengruppe Pussy Riot. Diese berichtet von ihren Erfahrungen mit der Polizei, die ihren Auftritt im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft nicht verhindern konnte. Die Stimmung ist ausgelassen, Widerstand kann so spaßig sein, suggeriert Vaske. War der Aktivist Pjotr Wersilow kurze Zeit später nicht mit einer mysteriösen Vergiftung in der Berliner Charité gelandet? Wie geht es ihm heute? Würde er diese Aktion wiederholen?

Nicht allein deshalb, weil eine zeitliche Chronologie fehlt, verbreitet der Fluss von Köpfen, die sich alle in ihrer zornigen Weltsicht einig sind, weder neue Einsichten noch so etwas wie eine erkennbare Dramaturgie. Am Ende bleiben einzelne unkonventionell kluge Statements von Jim Jarmusch oder dem exzentrischen Schriftsteller Sebastian Horsley im Gedächtnis. Der Rest erscheint in der Summe als eine mühsam zusammengesammelte Abfolge von öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellungen, der jede Idee einer möglichen Zuspitzung oder überraschenden Pointe abgeht.