Wie Deimantas Narkevicius in Bern den sozialistischen Realismus zerlegt

Die propagandistischen Kunstwerke aus der Zeit der Sowjetherrschaft sind nicht selbst die Verbrechen, sondern deren Zeugen. Und gleichzeitig das visuelle Erbe einer Epoche, das als solches bewahrt werden muss, wenn wir die Vergangenheit verstehen wollen. Das ist die feste Überzeugung des litauischen Künstlers Deimantas Narkevicius.

Bekannt wurde sein Vorschlag für die „skulptur projekte“ 2007, die Karl-Marx-Bronze aus Chemnitz, eines der imposantesten der kommunistischen Denkmäler, die nach dem Bildersturm der Wendezeit übrig blieben, abzubauen und nach Münster zu transportieren. Jetzt läuft der Film zum gescheiterten Vorhaben bei der ersten großen europäischen Retrospektive von Narkevicius in der Kunsthalle Bern: ein amüsanter Zusammenschnitt alter Aufnahmen von der heroischen Errichtung des Schädels 1971, darunter der russische Künstler Lew Kerbel, der mit großer Geste letzte Tonklumpen auf die dynamische Nase des Modells klebt.
Als die Sowjetunion zusammenbrach, hatte der 1964 geborene Narkevicius selbst gerade eine Ausbildung als Bildhauer nach den Prinzipien des sozialistischen Realismus gemacht. Der Künstler legte den Meißel weg und begann, mit der Kamera draufzuhalten. Die Berner Schau, die vorher in anderer Form in Madrid und Eindhoven zu sehen war, zeigt vor allem seine Filme: über die Geschichte des Ghettos in Vilnius, über ein litauisches Kraftwerk, dessen Ingenieure heute noch enthusiastisch über den Fortschritt reden, den Elektrizität darstellt, oder über seine Reise zum geografischen Mittelpunkt Europas, der sich im Niemandsland seiner Heimat befindet.

Entscheidend für die künstlerische Qualität des Werks: Narkevicius bleibt nicht beim Dokumentarischen stehen. Wenn er spielfilmartig Inszeniertes mit historischem Material mischt, Neues auf alten Rollen dreht, bis die zeitliche Zuordnung verschwimmt, oder Zeichnungen und Animationen einarbeitet, beweist er formale Raffinesse. Sein Thema ist schließlich genau dies: dass Kunst mehr sein soll als ein schönes Gefäß für eine politische These.

 

Kunsthalle Bern, bis 6. Dezember