Hochschulreport 2006

Wie lehrt man Kunst, Durs Grünbein?

Durs Grünbein, geboren 1962, studierte Theaterwissenschaft in Berlin. Der Dichter ist Professor für Poethik und künstlerische Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf.

Warum wird man vom Künstler zum Lehrer? Wie lehrt man Kunst?
Ich bin Dichter. Und gesucht war an der Kunstakademie Düsseldorf eben ein Dichter. Was manchem abwegig erscheint, war für den Maler Markus Lüpertz, ihren Direktor, die natürlichste Sache der Welt. Mir selber war es immer schon lieber, mit zehn Künstlern in einem Raum zu sein als mit zehn Schriftstellern. Die eine Egomanie ist erträglicher als die andere. In Düsseldorf geht es darum, Studenten aus Bildhauerei, Malerei und Fotografie anzulokken, sie neugierig zu machen auf die Geheimnisse der Poesie. Es gibt Vorlesungen, Proseminare, und da wird beispielsweise ein Bogen geschlagen von Baudelaire bis zur Gegenwart. Wichtig ist es immer, die tiefe Verstrickung der Künste zu zeigen. Kein Rilke ohne Cézanne, kein Bruce Nauman ohne Beckett usw. Das Problem vieler heutiger Studenten: Sie kennen jede Nebenarbeit von Cindy Sherman und gehen abends mit Harry Potter ins Bett.

Was tun Sie, damit Ihre Schüler nicht zu Epigonen werden?

Das ist bei den Kunstprofessoren ein größeres Thema. Da gibt es die Gefahr der formalen Abhängigkeit, den Nachahmungskomplex. Das fängt bei der Auswahl der Farben an und geht mit gewissen Motiven weiter, von denen das Unbewußte längst infiziert ist. Zu mir bringen die Studenten manchmal Texte mit, aber das geschieht eher nebenher. Mein Job trägt die etwas blumige Bezeichnung „Professur für Poetik und Künstlerische Ästhetik“, damit bin ich in einer Jokerposition. Ich schwebe sozusagen über den Wassern. Aber da es tatsächlich so etwas wie ein eigenständiges poetisches Denken gibt, fühle ich mich ganz wohl neben der Philosophie, der Psychologie und der Kunstgeschichte. Ich meine, ein Fach wie Poetik gehört an jede Kunsthochschule.

Was können Ihre Studenten besser als Sie?
So gut wie alles – bis auf das eine. Die verfügen über Ausdrucksmittel, von denen ich nur träumen kann. Ich bin ein so gräßlicher Maler, daß ich aus Scham fast alle meine Kinderzeichnungen vernichtet habe. Ich kann nicht einmal fotografieren. Ich muß das alles mit Sprache, mit Worten kompensieren. Aber es gibt eben doch eine Möglichkeit der Verständigung, indem man über Wahrnehmung spricht. Ich schaue von der einen Seite, die Studenten von der anderen, und wir alle sind versuchsweise Phänomenologen. Der Kreis schließt sich, wenn wir über Rilke, Cézanne und Merleau-Ponty gleichzeitig sprechen können. Meine Studenten konzentrieren sich auf die Materie. Ich kümmere mich um das Immaterielle


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